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dem Kopfe. Sie blieb stehen, als ob sie | „Schwarze,“ sagte ich, „glaub mir, du ihn noch einmal anrufen wollte, dann thätest besser, ihm nicht oft zuzuhören. wendete sie sich kurz ab und ergriff eine Er spielt dich um deine Seele." Harke, um auf dem nächsten Beet zu arbeiten. Mich sah sie nicht, da ich mich hinter die Hecke geduckt hatte. Mir klopfte aber das Herz, als wäre ich einem gefährlichen Geheimnis auf der Spur. Und da ich noch eine Viertelstunde durch den Zaun gesehen hatte, ohne etwas Bedenkliches zu entdecken, beschloß ich, am Abend meine Freundin geradezu zu befragen.

Wonach aber eigentlich? Ob sie ein heimliches Einverständnis mit dem Landstreicher, dem Knecht ihres Vaters habe? Das schien mir doch selbst zu abenteuerlich, um es für möglich zu halten. Woher kam mir nur der Verdacht, daß der fremde Mensch und die Seufzer meiner „Schwarz zen" irgend etwas miteinander zu schaffen hätten?

Auch lachte sie mir frei ins Gesicht, als ich wirklich abends hinter dem Staket damit herauskam: sie möchte sich vor dem fremden Gesellen in acht nehmen; es sei etwas in seinem Wesen, das mir unheimlich vorkomme. — „Du hast ihn noch nicht spielen hören, Goldene," erwiderte sie. „Dann würdest du nichts Schlimmes von ihm denken. Böse Menschen haben keine Lieder. Warte nur bis morgen abend, da soll er seine Harmonika mitbringen auf die Wiese hinter eurem Baumgarten. Du wirst dann schon anders von ihm reden."

Das geschah denn auch, und wirklich, obwohl ich zu musikalisch war, um die scharfen, unreinen Töne dieses Justrumentes nicht zu verabscheuen die Art,

Meine Seele ist mein," sagte sie sehr heftig und wandte sich von mir ab. „Wenn ich die verspielen wollte, sollte mich niemand daran hindern. Aber es hat keine Gefahr, er denkt gar nicht an mich; und ich ich denke an niemand auf der Welt als an meinen Vater und an dich, Goldene."

Sie nahm meinen Arm und zog mich, ohne dem immer noch Fortspielenden eine Gutenacht zuzurufen, von der Parkthür weg in die nächtlichen Laubgänge. Plözlich stand sie still. „Horch,“ sagte sie, „das ist sein Leibstück! Es ist wirklich, wie du sagst: der Böse steckt in seinem Spiel. Weißt du was? du mußt dich jezt in der Stube hinseßen und auf dem Klavier mir etwas vorspielen. Willst du das? Willst du den Teufel beschwören, Goldene ?"

Sie lachte und küßte mich, und wir liefen dem Hause zu. Ich sezte mich wirklich an den Flügel und spielte das schönste, sanfteste Adagio, das ich auswendig wußte. Als ich fertig war und an das Parterrefenster trat, vor dem sie gestanden hatte, und fragen wollte, ob die Teufelsbeschwörung gelungen sei, war sie verschwunden.

Wir blieben vier Wochen draußen, und wenn ich an diese Zeit zurückdenke, ist mir nichts davon lebendig geblieben als das allabendliche verstohlene Geplauder mit meiner Schwarzen. Was die Tage sonst brachten, war mir völlig gleichgültig. Aus unseren Unterhaltungen könnte ich noch manches wörtlich wiederholen; ja, der Ton, womit sie es sagte, klingt mir noch heute im Ohr. Ihnen würde manches sehr kindisch und unbedeutend erscheinen. Mir, da ich sie liebte, hatte es einen unvergleichlichen Reiz und Wert.

wie er es behandelte, war so eigen, so leidenschaftlich und verwogen, dazwischen manchmal - Gott weiß, wie er es fertig brachte! so einschmeichelnd sanft und elegisch, daß ich es meiner Freundin nicht ableugnen durfte, er verstehe seine Kunst meisterlich. Ich konnte sie während des Konzertes, das sonst kein weiteres Publifum hatte, gespannt beobachten. Die Augen Von dem Hannickel war nie mehr zwihatte sie halb zugedrückt, ihre Brust atmete schen uns die Rede. Da sie sich immer schwer und die Flügel ihrer kräftigen in der gleichmütigsten Laune zeigte, nur Nase zitterten. Das gefiel mir gar nicht. | ihre Stirn finster zusammenzog, wenn sie

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von der Frau" wieder etwas Unholdes zu berichten hatte, übrigens aber ihr altes Lachen so übermütig wie je erschallen ließ, war mir aller Argwohn vergangen. Als wir uns endlich trennen mußten, gelobten wir uns aufs neue ewige Lieb und Treue. Sie freilich sah mich plötzlich scheu und düster an. „Du wirst mich doch nicht immer gern haben, du wirst's nicht können!" Warum nicht?" - Weil du die Goldene bist und ich wie viel schwärzer ich noch werde!" Ich drang in sie, mir zu sagen, was sie von sich selber fürchte. Da lachte sie wieder und sagte, indem ihre hellen Augen blizten: „Wenn ich auch weiß bliebe wie Schnee, die Leute würden schon dafür sorgen, mich bei dir anzuschwärzen. Aber glaube nur, für dich bin ich immer dieselbe!"

wer weiß,

Sie fiel mir dabei um den Hals und füßte mich so heftig, daß ich fast zu er sticken glaubte. Dann war sie auf und davon, ehe ich noch ein leßtes Wort hervor bringen konnte.

Wieder erlebte ich's, daß ich in der Stadt die Trennung von ihr nur schwer ertrug. Zu Weihnachten schickte ich ihr allerlei hübsche Sachen, die sie gut brauchen und mit denen sie ein bißchen Staat machen konnte. Ich hatte meine Mutter so weit eingeweiht, daß sie diese Christbescherung an ein armes Bauernmädchen, das zu Hause hart gehalten wurde, ganz in der Ordnung fand. Der Dank ließ lange auf sich warten und fiel gar nicht so aus, wie ich erwartet hatte. Ich würde es noch bereuen, schrieb sie, so viel an sie gewendet zu haben. Ich solle ihr nie wieder etwas schenken, sie brauche nichts, schöne Kleider könnten ihr nicht helfen; je schöner sie seien, desto schwerer sei ihr Herz. Nur daß ich immer gut von meiner Schwarzen denken möchte, wie es auch komme, darum bat sie immer wieder. Ein Brief, der mir nicht ganz geheuer schien.

Ich beantwortete ihn durch eine lange, sehr warme, aber sehr weise Epistel, die ich mit meiner überlegenen Weltkenntnis ihr schuldig zu sein glaubte. Ich bat sie,

mir ja alles anzuvertrauen, was ihr irgend das Herz beschwere, und versprach das tiefste Stillschweigen.

Auf diesen Brief kam keine Antwort. Ich wußte, wie mühsam sie die Feder handhabte, dennoch blieb mir ihr Schweigen unheimlich.

Nun können Sie denken, wie froh ich war, als der Arzt, da ich im Winter ein wenig viel getanzt und eine bleichsüchtige Miene hatte, meinen Eltern riet, mich früher als sonst aufs Land zu bringen. Mein Vater konnte nicht sogleich seine Geschäfte im Stich lassen; die Mutter aber war bereit, und so wurde nur die erste Baumblüte abgewartet, bis wir in den Wagen stiegen und die Fahrt nach Liebenwalde antraten.

Sie dauerte nicht viel über eine Stunde, aber ich meinte, der Weg nähme kein Ende, so wunderlich bange und ahnungsvoll war mir zu Mute. Als wir ankamen und nur von einigen Dorfkindern und alten Weibern empfangen wurden, bekam ich einen heftigen Schreck. Ich brauchte auch nicht lange zu warten, bis meine schlimme Ahnung bestätigt wurde. Denn gleich in den ersten zehn Minuten, während die Hausverwalterin der Mutter beim Auspacken half, erzählte sie ihr unter anderen Neuigkeiten, daß die schwarze Jakobe vor acht Tagen mit dem Hannickel davongegangen und alle Nachforschungen bisher erfolglos geblieben seien.

Sie selbst habe es freilich schon seit Weihnachten kommen sehen, auch die Gärtnersfrau gewarnt. Denn die heimliche Liebschaft habe die Tochter noch lässiger und troziger gemacht, als sie ohnehin schon. war, und alles Schelten und Schimpfen der Mutter habe sie so gleichgültig abgeschüttelt wie den ersten Schnee, wenn man eine warme Jacke am Leibe hat. Das aber habe nun gerade das böse Weib so in Wut gebracht, daß sie sich eines Abends, als die Tochter mitten unter ihrem Toben und Keifen ruhig zu Bette gehen wollte, so weit vergessen habe, ihr mit der Faust einen Schlag ins Gesicht zu geben, daß ihr das Blut aus der Naje

gesprißt und das eine Auge dick angemachte mir einen heftigen eifersüchtigen

schwollen sei. Die Jakobe habe nichts gesagt als: „Das verzeih dir Gott, Mutter!" - Dann sei sie an den Brunnen hinaus gegangen, sich das Gesicht zu waschen, und hernach in den Ziegenstall, wo sie sich eingeriegelt habe. Auch auf alles Klopfen und Bitten des Vaters, dessen Herzblatt sie gewesen, habe sie mit keinem Mucks geantwortet, daß der gute Mann endlich betrübt zu Bett gegangen sei.

Am anderen Morgen war der Ziegen stall leer und die Kammer im Ort, wo der Hannickel seinen Unterstand hatte, auch; und seitdem war von beiden nichts mehr gehört und gesehen worden.

Sie können denken, lieber Freund, wie diese Nachricht auf mich wirkte. Ich war so erschüttert, daß ich es vor der Mutter nicht verhehlen konnte, sondern mich mit Thränen in ihre Arme warf. Nach und nach sagte ich ihr einen Teil der Wahr heit, wie sehr mich dies arme verlorene Mädchen seit unserer ersten Bekanntschaft beschäftigt, wie ich keinen herzlicheren Wunsch gehegt hatte, als sie glücklich werden zu sehen. Und nun sicht in ein Leben voll Elend

welche AusKummer

Reue und Verzweiflung! Dann wieder sagte ich mir, daß meine Schwarze viel zu fest auf ihren Füßen stand, um selbst durch eine solche Verirrung ganz um sich selbst gebracht zu werden. Ich erkannte, daß ich viel mehr für mich als für sie betrübt und unglücklich war. Die einzige Person, von der ich mich wahrhaft geliebt wußte, um meiner selbst willen, nicht aus irgend einer Pflicht, wie ich es selbst von meinen guten Eltern glaubte die hatte ich nun verloren. Daß ich sie hier vermißte, wo ich mich auf einen langen Sommer mit ihr gefreut hatte, war nicht einmal das Bitterste. Daß sie mich nicht vermissen würde, daß sie mit ihrem Geliebten fröhlich und guter Dinge durch die Welt streifen und mich bald völlig vergessen haben würde, das

Schmerz, so daß ich die erste Nacht wirk lich keine Stunde Schlaf finden konnte. Auch sah ich am anderen Morgen zum Erschrecken bleich und fieberhaft aus, und als es nach der ersten Woche nicht viel anders mit mir geworden war, fand die Mutter, daß die Luft in Liebenwalde zu dieser Jahreszeit, wo Bruch und Wiese noch feuchte Dünste aushauchten, für ihr blutarmes Kind nicht heilsam sei und daß wir besser thun würden, auf unser Gut in Schlesien zu reisen, welches dicht am Gebirge lag und überdies in der Nähe eines kleinen Badeortes, dessen Eisenquelle mir gewiß heilsam sein würde.

Mich heilte aber so bald nichts von meiner Schwermut. Nur in meiner Musik fand ich das, was man Trost nennt, da ja der wirksamste Trost darin besteht, uns in unserem Kummer zu bestärken, indem man sein Recht einräumt, und uns so lange mit ihm zu nähren, bis wir selbst anfangen, uns seiner zu ersättigen. Der Vater holte uns dann ab, wir machten eine schöne Reise durch die Schweiz zusammen. Als wir im Herbst nach Hause kamen, fing die Bewerbung meines künftigen Gatten um mich an, und es dauerte nur wenige Monate, so war ich verlobt, und dann noch wenige Wochen, bis ich eine junge Frau war.

Eine

Ich habe Ihnen früher einmal gestanden, daß ich, so eifrig ich sonst darauf bedacht. war, ein eigenes Leben zu leben und alles Hergebrachte darauf anzusehen, ob es meinen innersten Bedürfnissen entsprach, dennoch ohne wahre Liebe und fast mit innerem Widerstreben in diese Heirat willigte. Jezt können Sie mir nachfühlen, wie mir damals zu Mute war. ähnliche leidenschaftliche Empfindung, wie ich sie für dieses Mädchen noch immer in mir trug, glaubte ich nie einem Manne gegenüber fühlen zu können. Noch weniger traute ich mir zu, je an einem Manne eine solche Eroberung zu machen wie an meiner geliebten Schwarzen. In dieser entsagenden Kühle und Trauer fand mich mein Bewerber, und, wie gesagt, es über

raschte mich und erwärmte mich fast, daß | Kopf zu mir hin, nur auf einen einzigen er mich so vielen weit Ansehnlicheren und Blick, wandte ihn dann rasch wieder zur Liebenswürdigeren vorzog. Da mein Ge- Seite und lief so schnell davon, daß an fühl für ihn überdies jenes andere, das ein Aufhalten nicht zu denken war. mich noch ganz beherrschte, in keiner Weise beeinträchtigte, ließ ich mir's gefallen als eine Art Zerstreuung, das Leben einer verheirateten Frau kennen zu lernen, so wenig mein Herz dabei zu seinem Rechte

fam.

Im zweiten Jahre unserer Ehe wurde mir mein Kind beschert. Da zuerst wurde das Verhältnis zu meinem Gatten ein innerlicheres. Ich sollte nicht erleben, daß es vielleicht noch ein beglückendes geworden wäre. Sie wissen, wie bald ich mit meiner kleinen Tochter allein blieb.

Nun hatte ich etwas, wofür ich lebte; nun trat auch die fast krankhafte Entbehrung meiner verlorenen Freundin mehr und mehr zurück, und es vergingen Wochen, ohne daß ihr Bild vor mir auftauchte. Mein kleines Mädchen war zwei und ein halbes Jahr alt geworden; es war meine ganze Freude, zumal ich auch die Eltern rasch nacheinander verloren hatte. Manchmal kam es mir vor, als würde mein Herz immer unempfindlicher, als sehe es wie ein Baum einen harten Jahresring um den anderen an, daß nur im innersten Mark noch der Lebenssaft auf- und niederströmte, die Außenwelt aber kaum noch einen Eindruck darauf hervorbrachte. Und doch war es noch das alte Herz.

Ich fuhr eines Nachmittags mit der Kleinen spazieren und passierte beim Rückweg eine Vorstadt, wo der ärmste Teil der Bevölkerung wohnte. Ich hatte den Wagen zurückschlagen lassen, und das Kind sah neugierig umher und ergößte mich mit seinen drolligen Fragen. Auf einmal erblickte ich unter den Leuten, die an den Häusern entlang gingen, eine Frauen gestalt, deren Gang und Haltung mich so lebhaft an die Jugendfreundin erinnerte, daß ich unwillkürlich ihren Namen rief und eine Bewegung machte, den Kutscher halten zu lassen. In demselben Augenblick sie konnte meinen Ausruf nicht gehört haben drehte die Person den

Ich hatte mich nicht getäuscht: sie war es wirklich gewesen. Damals freilich blicben all meine Bemühungen, ihre Spuren wieder aufzufinden, fruchtlos. Als wir uns aber später wiedersahen, gestand sie mir, es sei nicht das erste Mal gewesen, daß sie mir begegnet. Sie habe oft meinen Ausgang abgewartet und sei mir ein paar Straßen weit gefolgt. Mich anzureden oder gar mich zu besuchen, habe sie sich nie ein Herz fassen können, obwohl` sie im Grunde nicht habe glauben können, daß ich schlecht von ihr dächte wie alle anderen.

Das war im Spätherbst gewesen. Ich war durch diese flüchtige Erscheinung sehr aufgeregt. Soviel ich hatte sehen können, schien sie sich nicht dürftig zu tragen, sondern wie ein Dienstbote in einem guten Hause, nur mit bloßem Kopf, ein kleines Tuch über die schwarzen Flechten geschlungen. Es beruhigte mich ein wenig, daß ich sie nicht in Not denken mußte. Aber meine Sehnsucht, einmal wieder ihre Stimme zu hören, war nicht dadurch beschwichtigt.

Dazu sollte es nun auch kommen auf die seltsamste Weise.

Wenige Tage vor Weihnachten wurde mir ein Brief gebracht, mit Bleistift geschrieben, in einem groben Couvert. Ich erkannte auf den ersten Blick die steifen, aufrechten Buchstaben meiner Schwarzen und öffnete das Papier mit zitternden Händen. Es enthielt nur wenige Zeilen: die Bitte, nach ihrem kranken Kinde zu sehen, das sie einer armen Frau in Pflege gegeben und in den nächsten fünf Tagen nicht selbst besuchen könne, da ihr das Ausgehen unmöglich sei. Sie wisse bestimmt, ich werde ihr's nicht abschlagen. Was auch inzwischen vorgefallen, sie vertrane fest auf ihre treue und gute „Goldene". Später werde sie selber kommen, mir zu danken. Die Frau wohne da und da.

Auch daß sie eine so vornehme Bekanntschaft habe sie meinte mich damit —, habe sie ihr nie verraten.

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Ich nahm das kleine Mädchen, das etwa drei Jahre alt sein mochte, aus dem Bett, gab ihm gute Worte und versprach ihm, was es nur haben wollte, wenn es nicht weine und mit mir komme, wo es auch bald seine Mutter wiedersehen sollte. Die Pflegemutter überließ es mir gern. Sie war froh, der Verantwortung überhoben zu sein. So wickelten wir es sorgfältig in warme Tücher und Decken, und ich brachte es in meinem Wagen nach

Ich fuhr sofort nach dem bezeichneten Hause, das in jener Vorstadt lag, wo ich vor acht Wochen die Jakobe an mir vorüber schreiten gesehen. Ich fand ohne Mühe die Wohnung, die im vierten Stock eines armseligen Hauses lag, und die ältliche Frau, die mir öffnete, machte mir gleich einen günstigen Eindruck, daß ich begriff, wie man ihr im Notfall ein Kind anvertrauen konnte. Ehe ich mich noch weiter erklärt hatte, war ich an das Bettchen getreten, wo die kranke Kleine in einem un ruhigen Fieberschlaf lag. Es that mir weh, daß sie nicht die Züge ihrer Mutter trug, sondern dem Hannickel ähnlich sah, | Hause, wo ich sogleich meinen Hausarzt obwohl sie an Schönheit dabei nicht ver- beschickte und es inzwischen in das Bettlor. Als ich aber dann meinen Brief chen legte, worin meine eigene Kleine hervorzog, schlug die Frau die Hände überm Kopf zusammen, und ihr gutes blasses Gesicht nahm einen feindseligen Ausdruck an. Sie ergoß sich in Klagen und Scheltreden gegen die Jakobe, die bisher doch so ordentlich gewesen sei, und jezt habe sie sich zum Stehlen verleiten lassen und werde um ihren guten Dienst kommen, und wer würde sie, wenn sie ihre Strafe abgesessen, wieder ins Haus neh men? Dann fiele das arme Würmchen ihr zur Last, die doch selbst sich nur mit Mühe und Not durchbringen könne, und sie hätte es um die Jakobe wahrhaftig nicht verdient- und so ins Unendliche.

schlief. Die mußte sich's die nächste Zeit in einem großen Bette gefallen lassen.

Als dann der Arzt gekommen war und nur ein starkes Erkältungsfieber konstatiert hatte, ließ es mir keine Ruhe; ich fuhr nach der Stadtvogtei und verschaffte mir, da ich mit einem Polizeirat zufällig bekannt war, ohne große Mühe Einlaß in den Saal, wo meine arme Schwarze ihre Strafe verbüßen mußte.

Als ich in den niedrigen, durch die kleinen halbverschneiten Fenster nur trübe erhellten Raum eintrat, schlug mir eine schauerliche Luft entgegen, in der zu atmen allein schon eine Strafe sein mußte. Acht bis zehn Pritschen mit muffigen Strohsäcken lehnten gegen die kahle Wand, und auf jeder lag oder hockte eine weibliche Gestalt, bei deren Anblick mir so traurig und bang zu Mut wurde, daß ich unwillkürlich stehen blieb und erst wieder Mut und Atem schöpfen mußte, mich weiter in diesen Schlupfwinkel menschlicher Schuld und Misère hineinzuwagen. Aber ehe noch meine blöden Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, erhob sich auf dem zweiten Lager eine Gestalt, die mein Herz sogleich erkannte. Sie trat mir hastig ein paar Schritte entgegen, stand dann aber plößlich still und ließ die Hände, Fünfte Folge, Bd. VI. 31.

Ich konnte nicht aus ihr herausbringen, wie es denn nur so weit gekommen, daß die Jakobe sich bis zu einem Diebstahl vergessen habe. Nur daß sie ihr vor gestern aus der Stadtvogtei einen Zettel geschickt, sie müsse sechs Tage sizen, sie möge die Kleine gut halten und einen Doktor kommen lassen, es werde alles sicher bezahlt werden. Sie sei als ein feineres Hausmädchen bei einem ansehnlichen kinderlosen Ehepaar im Dienst und hätte es gut gehabt, wenn ihr Lohn nicht für die Kleine draufgegangen wäre. Seit dem Frühjahr habe sie ihr das Kind in Pflege gegeben, und so lange sei sie auch wieder in der Stadt. Von dem leicht sinnigen Menschen, mit dem sie in die Welt hinausgelaufen, rede sie nie ein Wort. Monatshefte, LVI. 331. April 1884.

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