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heut will ich dich lieben weinen!"

und morgen | betroffen von ihm zu Kolinsky: „Der Oberstlieutenant?"

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Das Feuer brannte herunter, die ,Nein, nein,“ rief er lebhaft, „ihn Stunden gingen, und zwischen die Ge- meine ich, Max! Sie sehen mich an wie danken, die seiner Aufregung gefolgt einen Verrückten, aber es ist wahr, hier, waren, stahl sich mit der zunehmenden Kolinsky wird es Ihnen bestätigen.“ Müdigkeit das unbewußte Bedürfnis nach befriedigter Ruhe und wurde zum glücklichen Traum. „Es ist gut, es ist gut," sagte er im Halbschlaf leise, als wenn er jemandem wehren wollte, ihn zu stören.

Draußen fiel der Schnee still und unermüdlich. Als das zögernde Morgen licht aufstieg, lag die ganze Stadt, die Hügel ringsum, die Felder und Wege unter einer glatten glänzenden Decke, die in ihrer Einfarbigkeit tiefe Ruhe über das Land brachte.

In dem Zimmer, wo Heinrich Bauer schlief, war's gerade so hell geworden, daß die Formen der Gegenstände hervor traten; da öffnete sich leise die Thür, um Hildegard und Kolinsky einzulassen. Sie schirmte das Licht, das sie trug, mit der Hand, so daß die feinen Finger rot um rändert schienen, näherte sich dem Schläfer und beugte sich ein wenig, um ihn zu betrachten.

„Du aber wirst die Augen wieder öffnen," sagte sie leise vor sich hin.

Der Pfarrer stand mit gekreuzten Armen und düsterblickend neben ihr, zu deutlich las er auf ihren Zügen die Be stätigung von Bauers Worten, das Geständnis ihrer Neigung. Sie war matt vom Wachen, das blasse Gesicht hatte seine gleichmäßige Ruhe verloren, er sah eine erschöpfte blasse Frau.

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Sie stellte das Licht fort und faßte mit beiden Händen die Lehne eines Stuhles. „Ist es richtig? - Wissen Sie von ihm?" sagte sie zögernd.

Ich glaube zu wissen," erwiderte Kolinsky, doch ist mein einziges Erkennungszeichen ein Miniaturbild auf Elfenbein — Ihr Bild, wenn ich nicht irre. Hören Sie und urteilen Sie selbst, ob Sie den Unglücklichen kannten. Ich habe unter der barbarischen Fahne des Halbmondes den Krieg von 1877 mitgemacht. Es scheint seltsam für einen christlichen Prediger; doch sollte ich meine polnischen Landsleute in den Tod gehen lassen ohne die Möglichkeit der Versöhnung mit ihrem Gott? Aber wahrlich, nicht Liebe für die Türken war es, die uns trieb, sondern der ewige Haß gegen Rußland; es gelang den wenigsten von uns, sich mit den Verbündeten einzuleben.

„Unsere heiße Ungeduld hatte manches zu ertragen, dabei wurden wir über die Pläne unserer Anführer völlig im Dunklen gelassen und von dem gemeinen Soldaten, falls er nicht völlig stumpf war, mit Mißtrauen betrachtet. Und mit Recht: es giebt keine größere Scheidewand als die Religion.

„Verzeihen Sie, ich vergaß mich, ich wollte ja nicht von den Polen erzählen. Nur so viel: Wir waren mit der Widdinarmee nach Plewna gekommen und erwarteten hinter unseren guten Verschanzungen den Angriff der Ruffen. Wann und wo sie zum erstenmal angriffen, ist bekannt.

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Hildegard, weißt du, daß er tot ist?"
Sie war zurückgetreten und sah jezt
Monatshefte, LVI. 332. Mai 1884. Fünfte Folge, Be. VI. 32.

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mein Geist hängt an der Erde! Doch nur ein Narr trägt ein verdorbenes Leben ich nicht — nein, ich nicht! Ungern geh ich ungern!... Er umfaßte krampfhaft meine Hand und richtete sich mit einer wilden Bewegung auf:,... my soul be upon thine... with a power... sagte er und sank zurück, ein Schauer ging durch seinen Körper er starb mit einem Gesicht, in dem auch der Todeskampf die Leidenschaft nicht verdrängen konnte.

liegen, schwor er mir zu. — Am Nach- | nicht unter die Hyänen fallen mit mir. mittag hatten wir einen furchtbaren Sturm Ach, es ist hart zu sterben ohne sie auszuhalten; ich, der ich fortwährend in den Feldern und Weinbergen umherging, war so betäubt von dem Lärm, dem Schießen, Drängen, Schreien, dem Vorund Rückwärtswogen, daß ich mich wie im Halbschlaf bewegte. Eine dumpfe Gleichgültigkeit hatte mich erfaßt, in der ich weder Furcht noch Mitleid empfinden konnte. Ich wußte schließlich nichts mehr von dem Verlauf der Schlacht. Man sagt, die Russen seien bis in der Stadt gewesen; ich kann es nicht glauben, gegen abend hatten wir ja unsere ganze Stellung vollständig zurückgewonnen.

„Ich wurde wach, als mit dem Dunkel der Nacht der Lärm der Geschüße sich abschwächte und herzzerreißend statt dessen das Stöhnen der Sterbenden neben mir und weit in der Ferne hörbar wurde. Jeder Stein am Boden, jeder Halm in den zertretenen Feldern schien eine Stimme zu haben, um diesen Chor der Schmerzen zu ermöglichen. Wo war ich? Es lag alles in wüstem Knäuel durcheinander, Türke und Russe, und wo war mein Freund? Ich suchte weiter nichts als seine Leiche.

„Der Himmel, der tags über umwölkt gewesen, klärte sich auf. Der Mond kam und zeigte die wilden schwarzen Gestalten unserer barbarischen Bundesgenossen, die freudebrüllend auf dem Totenfelde noch eine Nachlese hielten; er zeigte mir vor den Füßen einen jungen russischen Offizier, der lautlos und regungslos lag, die Augen weit offen.

„Ich wandte mich ab, in unserem Lager war fein Lazarett für Feinde. Da rief er in deutscher Sprache und mit klarer Stimme zweimal hintereinander: , Gott, vergieb mir meine schwere Sünde!'

„Doppelt gefesselt beugte ich mich zu ihm nieder, um ihm die Vergebung zu zusagen, danach er verlangte. Er schien befriedigt und lag eine Weile still. Als er wieder sprach, war die Stimme so schwach, daß ich ihn nur mit Mühe verstand. Nehmen Sie das Bild, es soll

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Es waren wenige Minuten, und doch hat alles, was ich seitdem erlebte, die Erinnerung daran nicht ausgelöscht. Die Art, in der dieser Mensch über seinen sterbenden Körper herrschte, verrieten eine Willensstärke, die ans Unnatürliche grenzte.

Und diese Kraft, zu was war sie nüße? Vergeudet! Jawohl, ein ver= forenes Leben."

Kolinsky schwieg und sah finster zu Boden. Hildegard, die am Tische Plaz genommen hatte, bedeckte die Augen mit der Hand.

Rot und trübe brannte das Licht in den zunehmenden Tag, von einem Luftzug bewegt, den niemand fühlte als die Flamme. Ein langes Schweigen herrschte. Endlich richtete Hildegard sich auf. „Soll ich trauern, daß er tot ist ?" sagte sie, vor sich hinsehend. „Ich kann es nicht mehr, Max, ich habe zu viel schon um dich getrauert! Und während du dir Ruhe erzwingst, willst du sie mir nicht gönnen.

ach, ich weiß es wohl, was mir ein schweres Opfer scheint, für die Liebe ist's nichts eben gerade nichts! Und du weißt, daß es nichts ist, was ich dir gebe, und dies harte Nichts ist dir nicht genug!"

„Es ist genug, und viel mehr als genug!" rief Heinrich Bauer und faßte in heftiger Erregung ihre Hand. Sie ließ es geschehen, es war fast, als ob sie ihn weder sehe noch höre. Du hast ihn geschont, mit heldenhafter Selbstüberwindung, Hildegard; es war wunderbar zärtliche Rücksicht für den Lebenden

willst du sie auch dem Toten bewahren, und ihr Rechtsgefühl ihn dafür verdammt? jo ist's Wahnsinn!" Und er, den sie mit Freuden so hoch gestellt, auch er trat ihr mit diesem vorwurfsvollen Blick entgegen! War er's wirklich selbst, war's nicht der Geist des Toten, der sie zu verfolgen kam?

Jezt sah sie zu ihm auf mit klaren Augen: Der Tote hat keine Rechte? -Wohl wahr. Aber dieser ist mit dem Bewußtsein geschieden, daß auch nicht haarbreit umgangen wird, was ich ihm gelobte. Sprach ich in den Wind? Sprach ich zum Schein? Gab ich mein Wort, um es zu brechen, sobald er's nicht gewahr werden kann? Gesehen oder ungesehen, gewußt oder ungewußt, es ist dasselbe, nicht nur für mich, auch für dich, der du weißt, daß mein Wort ohne Rück halt bindet! Wenn ich's nicht wüßte, Heinrich," sagte sie sanfter und lächelte dabei, daß auch du der Lüge unfähig bist, daß du ebensowenig drehen und wenden kannst, was deine Pflicht ist, glaub mir's, ich hätte dich nie geliebt. Ich bitte dich, zürne mir nicht, du selbst wirst in die Lage kommen, gegen dich hart sein zu müssen und gegen die, die du liebst; es wird dich schmerzen, wie jezt mich; dann denke meiner und verzeihe mir."

Sie brach ab und wandte mit einem Seufzer den Blick, doch ruhte ihre Hand noch in der seinen. Auch er war ruhig geworden und sah sie ernst und traurig an. Ich habe in mir den Glauben an eine Liebe, vor der Gedanken und Bedenken verfliegen wie Spreu im Winde, größer und besser als höchste Moral du aber kennst sie nicht ...“

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„Soll ich dich immer wiederfinden, Max?" rief sie. „Sie reden mit deinen Worten, sie borgen deine Gedanken ach, es ist keine Gefahr da, daß ich dich vergesse!"

Sie stand mitten im Zimmer und sah gerade vor sich hin; die Augen, die in dem blassen Gesicht besonders groß schienen, leuchteten in fieberhaftem Glanz.

,,Doch, haben Sie mir nicht Freundschaft erwiesen?" wandte sie sich jetzt wie zerstreut an die Herren. „Ich danke Ihnen dafür, beiden. Nun bitte ich Sie, mich allein zu lassen, ich möchte schlafen.“

Und mit Schmerz begegnete Bauer ihrem fremden Blick.

„Hildegard, kein anderes Lebewohl für

mich?“

Sie strich mit der Hand über die Stirn.

"Ich wünsche Ihnen alles Gute, ich erwarte alles Gute von Ihnen. Ihre Freundschaft ist mir teuer gewesen, möge Ihnen die Erinnerung nicht bitter sein."

Und Sie," fragte er, wie werden. meine Gedanken Sie finden?"

Sie führte ihn an das Fenster. „Sehen Sie den klaren stillen Wintertag, der auf den Herbststurm folgte? Solch einen Wintertag erhoff ich noch für

Hildegard sprang heftig auf -fie wehrte mit der Hand seine Worte ab. Hatte nicht so, genau so Max gesprochen | mich."

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ruhende Niederlassung (von sogenannten „Ackerbürgern") Stadt ist, weil eines jener Geseze in ihr gilt, während ein größerer, überwiegend Handel und Handwerk treibender Verband Dorf oder Marktflecken geblieben ist.

ie beiden in dem Titel dieses kleinere, überwiegend auf Ackerwirtschaft Auffages angeführten Begriffe sind scharf auseinander zu halten; ihre Vermischung und Verwechselung hat lange Zeit die richtige Erkenntnis gehemmt und trübt auch heute noch Auffassung und Darstellung von Arbeiten, welche an sich in dem einen oder dem anderen der beiden Probleme Verdienstliches zu Tage fördern.

Die Antwort auf die Frage: Was ist eine Stadt?" ist durchaus nicht so einfach und leicht, als man wohl zu meinen sich versucht fühlt.

Nicht nur in verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern wechselt die Begriffsbestimmung selbstverständlich sehr erheblich - auch in derselben Zeit und bei demselben Volk, das in eine Mehrzahl von Stämmen oder Staaten geglie dert ist, können sich abweichende Definitionen finden.

So kann man z. B. nach heutigem preußischem Recht jene Frage nur ganz formal dahin beantworten: Stadt ist eine Siedelung, in welcher eine der zehn preu ßischen Städteordnungen gilt.

Dies allein ist entscheidend; weder auf Größe noch auf Grundlage des wirtschaftlichen Lebens des Verbandes kommt es an; regelmäßig zwar werden umfangreichere und überwiegend auf Handel und Gewerk ruhende Gemeinden Städte sein; aber es ist wohl denkbar, daß eine

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Im Mittelalter war das Kennmal (wie wir mit einem guten deutschen Wort sagen können, ohne das griechische Kriterium" zu bemühen) ganz ebenso ein rein for= males wie heute nach preußischem Recht: eine Stadt war eine Siedelung, welche „Stadtrecht" erworben hatte durch besonderen Erwerbstitel, meist durch königliche, später landesherrliche Verleihung, aber auch wohl durch Ersizung oder, bei fehlendem nachweisbarem Rechtstitel, durch unvordenkliche Zeit, welche durch eine Rechtsvermutung den fehlenden Beweis des Titels erseßte.

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Es handelt sich zuerst um die geschicht liche, dann um die juristische Genesis der Städte.

Der thatsächlichen Gestaltungsweisen, in denen die Städte in Deutschland erwuchsen, gab es eine mannigfaltig abgestufte Reihe. Jedermann weiß: die Germanen im späteren Deutschland lebten in Einzelhöfen und in Dörfern. Städte kannten sie nicht, und sie mieden es lange Zeit, sich in die keltisch-römischen und römischen Festungsstädte zu sehen, welche sie an Donau und Rhein vorfanden und seit Ende des dritten Jahrhunderts allmäh lich eroberten, plünderten, durch Feuer zu entwehren sich oft vergeblich abmühten und dann halb verbrannt und halb ent festigt liegen ließen, begnügt mit der Ansiedelung auf dem offenen Lande um die bezwungenen Städte her.

Immerhin ist thatsächlich eine nicht unbeträchtliche Zahl von späteren deut schen Städten aus solchen alten keltischrömischen und römischen Städten auch in dem späteren Deutschland (abgesehen von dem späteren Frankreich) hervorgegangen: wir nennen nur beispielshalber Salzburg, Augsburg, Kempten, Regensburg, Passau, Linz, Wien, zahlreiche Städte der Schweiz, Straßburg, Mainz, Koblenz, Trier, Köln, Leyden und gar viele der kleinen rheinischen und holländischen Orte.

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Wie sich im einzelnen diese Erhaltung oder Fortführung oder Erneuerung der Römerstädte gestaltet hat, wissen wir frei- | lich fast nie zu sagen; wir stellen neben die Erhaltung die Erneuerung, denn die Fälle sind nicht allzu selten, in denen wir römische Orte vorübergehend völlig verödet und verlassen, erst nach geraumer Zeit gleichsam neu entdeckt und wieder besiedelt wissen. (Salzburg).

Offenbar waren in der Erhaltung vor anderen solche Städte begünstigt, welche der Sig eines Bischofs waren oder das Grab eines hervorragenden Heiligen oder, jeit der Verbreitung des Mönchswesens, ein berühmtes cœnobium bargen.

Abgesehen davon, daß Bistümer nach kanonischer Vorschrift nur in bedeutenderen Städten, in vorteilhafter Lage errichtet werden sollten, trug das hohe geistliche und sittliche Ansehen, trug die mutvolle und treue Beharrlichkeit der Bischöfe und Äbte in solchen Städten gar viel dazu bei, die Bewohner auch nach Flucht und Abzug der kaiserlichen Beamten und Legionen, nach Niederbrechung der Mauern, unter der Herrschaft und in der Nachbarschaft der Barbaren beisammen zu halten an den altvertrauten, heiligen, kulturreichen Stätten. Gerade der Umstand, daß die Germanen in den ersten vier bis fünf Jahrhunderten sich durchaus nicht in die Städte selbst drängten, mußte das Verbleiben der alten Bewohnerschaft erleichtern. Die Germanen aber mißhandelten nun nicht weiter die unschädlich gemachten unterworfenen Städte, deren Märkte sie gern aufsuchten, Erzeugnisse einer Kultur zu kaufen, welcher sie nicht mehr entraten mochten, ohne sie schon selbst herstellen zu können.

Abgesehen von diesen altrömischen Niederlassungen, sind Städte sehr häufig entstanden durch Erweiterung von Dörfern, wie Einzelhöfe bei Vermehrung der Gesippen oft zu Dörfern erwuchsen, indem sich die heranwachsenden Söhne, aus der Were des Vaters und des ursprünglichen Hofes scheidend, neben demselben in eigenen Höfen auf neu von ihnen gerodetem Lande niederließen; so ist gar manches Dorf im Laufe der Jahrhunderte zur Stadt erwachsen, indem die Zahl der Häuser fortwährend stieg und die für Handel und Verkehr oder für Verteidigung oder Beherrschung des Umlandes günstige Lage einen König oder Landesfürsten bewog, die Umwallung der bisher offenen Siedelung zu verstatten oder anzuordnen.

Ganz besonders häufig haben sich Dörfer, ja auch wohl bloße Fährenhäuslein und Einzelgehöfte an Furten und Brücken allmählich zu Städten erweitert, wie zahlreiche Städtenamen darweisen: Furth, Fürth, dann Ochsenfurt, Schweinfurt, | Frank(en)furt, Bruck, Brück (in Zusam

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