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in anderer Hinsicht sticht die Capella Palatina und mit ihr die normannischen Kirchen von Monreale und von Cefalu gegen die übrigen sicilianischen Kirchen ab, und auch hier wieder, um sich einer, ich möchte sagen reineren christlichen Auffassung anzuschließen: das Bild, das in diesen Kathedralen alle anderen überragt, ist nicht dasjenige eines Heiligen, auch nicht das Marienbild, sondern der Erlöser selbst. Hoch oben unter der Kuppel, umgeben von betenden Engeln und in gewaltigen Dimensionen, strahlt das Christusbild; die Heiligen, die Evangelisten, die Muttergottes, die an den Wänden und Säulen abgebildet sind, sie verschwinden vor diesem strahlenden Antliß. Wie ganz anders ist es in den übrigen Kirchen! Die Heiligen verdrängen hier den Heiland; das Volk vergißt ihn; nicht zu ihm erheben sich seine Hände und Gebete, sondern zu der heiligen Rojalia, oder zu der heiligen Agata, oder zu einer von besonderen Attributen umgebenen Maria, Madonna della Lettera oder Madonna della Scala und wie all die Madonnen heißen, deren Tempel die sicilischen Städte füllen.

schwimmenden Religion liegen zerstreut auf | noch Denken; hier webt und lebt christliche der Insel; die Geschichte erwähnt Gottheiten, Religion; hier auf dieser Schwelle verstummt die hier verchrt wurden und die weder mit das fröhliche Lachen der Außenwelt; hier fühlt dem Olymp noch mit den phönicischen Göt- der Geist sich gebannt und mächtig ergriffen; tern verwandt sind: so das fabelhafte Brüder- ein Hauch des Nordens weht noch durch diese paar der Palliken, den unbekannten Ätnagott, von nordischen Fürsten erbauten Hallen; die dessen Tempel in dem heutigen Städtchen Sonne, die alte heidnische, olympische Sonne Aderno stand, und endlich die Kreta verwand- | des Südens, hier verliert sie ihre Kraft! Noch ten, von Goethe aus der sicilischen Mythologie in die Faustsage hereingetragenen „Mütter“. Wie dem nun auch sein mag und wie weit zurück die religiösen Anfänge dieses Volkes reichen mögen, ein besonderes Gepräge liegt auf dessen jeßiger Religion. Der sicilianische Katholicismus deckt sich nicht vollständig mit dem von Norditalien oder gar von den ger manischen Ländern; er hat, wenigstens in seiner äußeren Erscheinung, etwas Originelles, Morgenländisches behalten; er bewegt sich in einer leichteren, sonnigeren, vielleicht aber auch weniger religiösen Atmosphäre als der nordische; er hat mehr äußeren Prunk, einen sinn- | licheren Glanz als jener, es fehlt ihm aber das mystisch Ergreifende; das Herz der Gläubigen scheint weniger berührt zu werden als ihre Sinne. Dies ist der Eindruck, den wir beim Betreten der weitaus größten Mehrzahl der sicilianischen Kirchen und Kathedralen empfinden, derjenige auch, der uns bei den Kirchenfesten überfällt. In diesen von lachenden Sonnenstrahlen durchströmten Gotteshäusern herrscht ein frohes, lustiges Leben; die von hell farbiger Mosaik überzogenen Wände, Pfeiler und Decken werfen nach allen Seiten hin ein so fröhliches Licht, die schweren Gold- und Silbereinfassungen des Altars und der Bilder blizen und schillern so lebendig, die Andacht der Gläubigen paart sich mit so seltsam auffallendem, unseren Kirchensitten so tief widersprechendem Gebaren, die Priester selbst verrichten ihre Gebete und kirchlichen Handlungen mit einer so gewohnheitsmäßigen, leicht hingeworfenen Routine, daß es uns fast vorkom men muß, als befänden wir uns eher in einem weltlichen Festraum als in einer Kirche. Ein einziges Gotteshaus möchte ich von diesem Urteil ausnehmen: es ist dies die Capella Palatina im alten Königsschloß von Palermo, dies herrliche Kleinod der normannischen Gotik. Ein Kleinod wahrlich, im vollen Sinne des Wortes! Welch mystischer Zauber erfüllt diese hohen, in golddurchfunkeltem Halbdunkel ruhenden Gewölbe! Wie geheimnisvoll gleiten aus den oberen Fenstern herunter die über die weich abgerundeten Kanten sich hinschmiegenden Sonnenstrahlen! Welch Leuchten in der Kuppel, wo das gewaltige Christushaupt in seiner altbyzantinischen Formung, mit seinem Aus druck von so göttlich ernster Ruhe herunterblickt zum Hochaltar! Nein, in dieses Gotteshaus verirrte sich kein altheidnisches Fühlen

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Ich weiß nicht, ob es ein anderes Land giebt, wo der Heiligenkultus verbreiteter ist als in Sicilien, wo derselbe tiefer als hier im Herzen des Volkes wurzelt. Fast möchte man glauben, daß diesem Volke das Gefühl innewohne, als ob Gott zu hoch und zu entfernt sei, um sich um die Welt zu bekümmern, und als ob die Heiligen eingeseßt seien als Vermittler, mit denen die Menschen sich menschlich unterhalten können, fast wie mit ihresgleichen. Das Verhältnis, das sich im Laufe der Jahrhunderte zwischen Menschen und Heiligen herausgebildet hat, trägt diesen Stempel eines gemütlichen Zusammenlebens. Die Sicilianer lieben ihren Heiligen, sie zanken aber zuweilen mit ihm, wenn er ihnen das nicht gewährt, um was sie zu ihm beteten. Es giebt auch besondere Heilige zu besonderen Zwecken. Auf der kalabresischen Küste beten die Uferbewohner zu dem heiligen Rocco, daß er doch fremde Schiffe möge stranden lassen; der heilige Pancrazio soll dem Regen vorstehen. Man hat schon blutige Kämpfe erlebt zwischen den Verchrern von zwei verschiedenen Heiligen; eine jede Partei behauptete, der ihrige sei der beste, und es kam zum Raufen und Schlagen. Ein italienischer Schriftsteller hat darin den Vorwurf einer seiner reizendsten Novellen ge

funden.* Man erzählt sich, daß in einer | die sich eben unter die Bedrohten rechnen, aus fleinen Stadt Siciliens die Verwaltung einem Messina in irgend ein höher gelegenes Städtsolchen Heiligenkrieg nur dadurch ein Ende zu chen auswandern, wo sie der Fluch dieses Gemachen vermochte, daß sie die beiden Heili- sanges nicht mehr erreichen dürfte. Was die genstatuen unter Schloß und Riegel brachte Schiffer eigentlich unter dem Singen der und sie in dieser gemeinsamen Haft dem Sirenen verstehen, habe ich nicht zu ermitteln Wüten der beiderseitigen Parteien entriß. vermocht; die Antwort lautet einfach: „Wir haben es gehört." Die Sirenen singen auch nicht gerade bei stürmischem Wetter, daß man also annehmen könnte, es sei ein besonderes Pfeifen des Windes oder Rauschen der tobenden Wellen — nein, dies sonderbare Singen ertönt meistens bei ganz ruhigem Wetter, und keine Macht des Himmels oder der Erde würde im stande sein, den Schiffern auszureden, daß sie dies Singen gehört hätten. Daß dieser Aberglaube ein Überbleibsel der alten griechischen Zeiten ist, wird wohl niemand bestreiten; woher käme diesem ungebildeten Fischervolk der Gedanke an einen Sirenengesang als aus den Überlieferungen der griechischen Mythologie? Sonderbar bleibt es jedenfalls, daß gerade diese ganz untergeordneten Halb- oder Viertelsgötter sich durch die Jahrhunderte im Munde des Volkes erhalten haben, während Zeus und Poseidon und sogar Aphrodite längst verschwunden sind. Eine andere mythologische Legende hat sich auch vielleicht noch auf die Jchtzeit übertragen, wenn auch in ganz modernem Gewande. Es wird bei den Alten erzählt, daß Orion (oder auch Nimrod) von Kalabrien nach Sicilien überseßte, in gewaltigem Sprunge, ohne von dem Wasser verhindert zu werden; heute erzählen die Fischer, daß der heilige Francesco di Paolo von dort herüberfam, indem er seinen Mantel wie ein Segel ausbreitete und vom Winde, ohne das Wasser zu berühren, nach Sicilien geführt wurde. Vielleicht dürfte man noch manche andere Legende auf die älteren Legenden zurückführen, besonders in den inneren Gebieten, wo die großen, heute völlig entschwundenen Heiligtümer der verschollenen sicilischen Gottheiten standen, bei Castrogiovanni, dem alten Enna, oder in der Umgebung des Ätna. Nur ein eingeborener Sicilianer könnte dies aber unternehmen, denn dem Fremden eröffnet sich dies Volk nicht leicht. Und wer nicht die Sprache dieses Volkes spricht, der bleibt ein Fremder, und wäre er auch der italienischste Italiener.

Denkt man zurück an die Vergangenheit Siciliens und an die lange Herrschaft, welche hier Griechenland und Rom ausübten, und an die tiefen Wurzeln, die das olympische Heidentum in diesem Volke geschlagen hatte, so darf man sich fragen, ob dieser besondere und ganz lokale Heiligenkultus nicht etwa auf jene Zeiten zurückzuführen sei, in welchen die verschiedenen Götter des Olymp ihre speciellen Heiligtümer hatten, die sich untereinander beneideten und bekriegten. Das Gewand ist ein anderes geworden, aber was sich die heutigen Sicilianer dabei denken, mag von demjenigen nicht so sehr verschieden sein, was sich ihre Urväter darunter dachten. In konkreterer Weise übrigens sehen wir die alten mythologischen Überlieferungen heute noch unter die jem Volke spuken. In der nächsten Nähe von Messina erhebt sich eine von einer Kuppel gekrönte Kirche; man nennt sie la Grotta; und hier soll in heidnischer Zeit ein Tempel des Neptun oder auch ein Heiligtum der Nymphen oder der Sirenen gestanden haben. Von Odysseus wissen die Fischer dieser Küstengegend nichts; was und wer die Sirenen waren, das haben sie längst vergessen; aber zuweilen, wenn die Schiffer zum Fischfang ausgefahren sind und wenn die wettergebräunten Seeleute zurückkehren, hört man sie nachdenklich zu ihren Weibern sagen: „Die Sirene hat wieder gesungen!“ — Und wenn die Sirene gesungen, so hat dies eine ganz besondere Bedeutung; dann kommt nämlich eine Seuche, die den in guter Hoffnung stehenden Frauen besonders gefährlich ist; Wöchnerinnen und Neugeborene sterben in diesem Jahre. Nicht nur unter dem Schiffervolk ist der Glaube an den Sirenengesang verbreitet, er dringt bis in die Stadt, und heißt es eines Morgens, daß die Sirene gesungen habe, so kann man sicher darauf zählen, daß eine Anzahl von Frauen,

* Verga: Guerra dei Santi.

Monatshefte, LVI. 381. — - April 1884. — Fünfte Folge, Bd. VI. 31.

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Litterarische Mitteilungen.

Neuere Dramen.

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Jach der guten alten Regel: „Das | angeeignet. Sein früher erschienener und auch Beste zulezt", sei einzelnes Treff in den Monatsheften" besprochener Hochliche aus der Hochflut der vor- meister" zeigte gegen seine älteren und ersten liegenden dramatischen Werke zum Veröffentlichungen einen ganz bedeutenden FortSchluß der Besprechung aufgeschritt. Auch das vorliegende Trauerspiel in spart und vorerst einiger Werke gedacht, die, fünf Aufzügen: Herzog Ernst (Kiel, Lipsius obwohl mehr oder minder anfechtbar, immer- und Tischer) ist durchaus bühnenfähig, enthält hin von erfreulichem Talent, von etwas Wissen, energisch und konsequent gezeichnete Charaktere, ja gelegentlich von wirklicher Bühnenkenntnis echt dramatische Motive und einen fesselnden zeugen. Dagegen ist einem stattlichen Quan- gedanklichen Inhalt. Leider werden diese Vortum von Versuchen gegenüber, welche vom züge verdunkelt und zum Teil in ihrer Wirkung Dramatischen fast nichts als die äußere Scenen- vernichtet. Der einfache Stoff: politischer Streit einteilung besigen, während sie innerlich an zwischen dem deutschen Kaiser Konrad II. und Wert null und nichtig erscheinen, ein schonen- Ernst von Schwaben, welchen Streit die Gedes Schweigen geboten. mahlin des Kaisers und Ernsts Mutter vergeblich zu vermitteln sucht wird durch die Breitschweifigkeit der Sprache schier erdrückt. — Das entgegengesezte Princip eilender Knappheit wendet Freiherr v. Vinde an, der Calderons Das Leben ein Traum (Freiburg i. Br., Fr. Wagner) mit sehr „freier Benußung" des Originals derart drunter und drüber schüttelt und rüttelt, daß das Unterste zu oberst, das Hinterste nach vorn gerät - eine wohlgemeinte, jedoch gewagte Vergewaltigung, deren künst lerische Berechtigung zu beweisen, nur ausgezeichnete Aufführungen bei vorzüglichem Spiel versuchen dürften. Ein neueres spanisches Drama, das (größere) Erstlingswerk des Don José Echegaray: Die Frau des Rächers (Wien, L. Rosner), hat der in der jüngeren spanischen Litteratur bewanderte Dr. J. Fastenrath in das Deutsche übertragen, nachdem er schon früher ein bedeutenderes Werk desselben Dichters dem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Vorliegendes Drama behandelt cine von Leidenschaft erfüllte Liebestragödie zwischen einem feurigen jungen Edelmann und einem zarten Mädchen, einer bei der Ermordung ihres Vaters durch Schreck Erblindeten. Der Mörder, den sie in jenem Schreckensmoment nur gesehen, nicht gekannt und gehört hat, ist eben jener Edelmann, der

Unter der Menge der den Luthertagen gewidmeten Verherrlichungen verdient das Reformationsdrama in fünf Akten und einem Vorspiel Martin Luther von Wilh. Henzen (Leipzig, Karl Reißner) besondere Beachtung. Es zeugt von großem Fleiß der Ausführung, und die zahlreich darin vorkommenden Volksscenen sind frisch und lebendig. Dagegen erscheint die Hauptgestalt nicht mannhaft und poetisch genug erfaßt (sie dramatisch zu ge stalten, wird wohl keinem gelingen!), um eine tiefere Wirkung zu erzielen. Was die Menge bei den etwaigen Aufführungen packen wird, das ist die Reihe lebender Bilder, aus denen das Stück eigentlich besteht.

Etwas weiter zurück in die Geschichte der Menschheit faßt Gottfried Aga: Die Sklaven (Halle, C. E. M. Pfeffer), der den Sklavenaufstand des Spartacus in theatralischen Situationen effektvoll behandelt. Figuren und Handlung zeigen eine verständige Steigerung. Der gute Eindruck wird indessen durch Unfertigkeiten und Naivetäten der Sprache und der Fabel vielfach wieder aufgehoben. Der Verfasser wird sich noch sehr um die Kenntnis der Bühne bemühen müssen. Emil Wolff hat sich diese unumgängliche Bühnenbekanntschaft im Laufe der Jahre erfreulicherweise immer mehr

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dann später der Blinden zärtlichste Liebe ge- | sprechen. Dennoch scheint unseren jüngeren winnt und ihr geloben muß, wenn sie es ver- Dichtern eine Art von Zwangsteufel im langt und den Mörder erkennt, an diesem Nacken zu sißen, der sie, unerachtet aller ErRache zu üben. Ein psychologisch-pathologisches | fahrung, immer wieder verleitet, die spröde Motiv von echt spanischer Grausamkeit und Muse zu umwerben. Die Tochter des PräKühnheit der Erfindung. Mit der von Akt fidenten von O. Felsing (Braunschweig, Fr. zu Akt steigenden Leidenschaft der Liebenden Wagners Hofbuchhdlg.). Dieses mit allen Ingreund der zugleich steigenden Aussicht auf Heilung dienzien eines,,modernen“ Bühnenopus versehene der Blinden geht troß aller künstlerischen Be- | vieraktige Schauspiel enthält außer den erforderdenken eine nagende Spannung des Lesers lichen zeitgemäßen Anspielungen und großHand in Hand. Die Lösung ist furchtbar aber städtischen Typen den in Mode gekommenen schön. Leidenschaft und Seelenkunde sind Eche- | Feuilleton - Redacteur, der hier eine mehr als garahs Kennzeichen. Die eigentümliche, in der zweideutige Rolle spielt. Außerdem agiert die deutschen Übersetzung fast an Monotonie gren- altbekannte Kindesunterschiebung als drohendes zende feierliche Getragenheit der Sprache, die Verhängnis, um zwei sich liebenden vermeintmehr typischen als individuellen Gestalten, der lichen Geschwistern unter mancherlei Ach und Zug zur Grausamkeit in der Fabel, die bilder- Weh zu einem schließlichen Verlobungsfest zu reiche Darstellung glühender Empfindung geben verhelfen. Mehr als diese Vorgänge interessiert diesen spanischen Dramen das Gepräge düsterer | eine Nebenperson des Stückes, die von GeheimRomantik, für deren ideale Wiedergabe die nis umwobene Mutter des Helden, welche an Vertreter auf der deutschen Bühne ausgestor- die Mad. Bernard in „Haus Fourchambault“ ben sind. Dennoch sollte der Versuch gemacht erinnert. Weit mehr als dieses anspruchsvoll werden, durch pietätvolle und kunstsinnige Inter- auftretende Schauspiel spricht die graziöse einpretation dieje echt dichterischen Erzeugnisse auch aktige Plauderei Immergrün (Verlag von auf dem deutschen Theater einzubürgern. A. Entsch) für das Talent des Verfassers. Resolut greift Andreas May ins Menschen-| Anknüpfend an die italienische Sitte, nach leben. In seinem Zögling von San Marco, welcher statt der prosaischen Knackmandel das Trauerspiel in fünf Aufzügen (München, Th. | poetische Immergrünzweiglein als „VielliebAckermann), schildert er eine charaktervolle, fein chen" gilt, verbindet sich die schalkhafte Komik individualisierte Frauengestalt, Imperia, deren eines schmollenden und dann sich versöhnenden Schicksal nur leider sehr äußerlich mit den Vor- Paares mit liebenswürdigen Feinheiten des gängen des Stückes - Kampf und Empörung Dialogs. Ein ähnliches gefälliges Scherzspiel zwischen den Feinden und Freunden Savonaro- präsentiert sich in dem einaftigen Die Aufrichlas und tragischer Untergang eines Schülers des tigen von Ludwig Fulda (Heidelberg, Georg lepteren, der nur episodisch in die Aktion tritt | Weiß). Das Extrem, welches ein allzu „Aufverknüpft ist. Die Titelrolle, eben dieser | richtiger“ befolgt, wird mit harmloser MunterSchüler, ist in ihren unvermittelten Gefühls- keit bespöttelt; in der Art, wie der Wahrheitsexplosionen gar zu unglaubhaft, um wärmeres | fanatiker durch die Liebe zu civilisiertem MittelInteresse zu erregen. Die Wandlung eines maß zurückgeführt wird, erfreut, troß großer asketischen Mönches in einen feurigen schwert- | Unwahrscheinlichkeiten, manch hübscher Zug. gegürteten Liebhaber muß denn doch besser Diejen harmlosen Scherzen geistesverwandt vorbereitet werden, als es hier geschieht. zeigt sich ein dreiaktiges Lustspiel von Albin G. Thies, der Verfasser eines recht talent- | Rheinisch: Die Freunde der Frau (Berlin, voll geschriebenen Tendenzdramas, „Otto von Freund und Jeckel). In merklicher Anlehnung Back", macht in dem vorliegenden Schauspiel in an französische Vorbilder persifliert der Autor vier Aufzügen: Im Hause des Kommerzienrats ein Cicisbeotum, wie es bei uns wohl kaum (Kassel, Ernst Hühn) den Versuch, zeitgemäße existiert. Die fernliegende Vorausseßung inFiguren und Zustände nach dem Leben zu zeich- | dessen zugegeben, ist die Frische und gute nen, doch fehlt ihm noch die Kraft einer über- | Laune anzuerkennen, mit welcher ein kaum zeugenden Anschaulichkeit und die Erkenntnis der für ein einaktiges Stück ausreichender Stoff nötigen Bedürfnisse des modernen Theaters, durch allerlei Einfälle ausgedehnt und glückzudem sind seine Personen gar zu alltäglich: lich verwertet worden ist. Manche gelungene realistisches Reden und Handeln ist keineswegs Wendung, manch geistvoller satirischer Hieb immer gewöhnliches Reden und Handeln, und auf moderne Zustände und die sogenannte Originalität hebt auch das Kleinste in das Dankbarkeit" der Rollen haben dem Stück Reich der Poesie. Doch fehlt die Originalität, freundliche Erfolge am Berliner Schauspielso mögen auch diese erfolglosen Versuche seh- hause gesichert. Bedeutender in der Erlen. Du lieber Gott, man ist ja nicht ver- findung und Gestaltung der Fabel und der pflichtet, Dramen zu schreiben, am wenigsten Charaktere zeigt sich Der Kurier nach Paris, moderne, bei denen so bequem kontrolliert wer- | Lustspiel in fünf Aufzügen von Felix Dahn den kann, ob sie auch der Wirklichkeit ent- |(Leipzig, Breitkopf und Härtel). Nach einem

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bei der Lektüre gewinnt das Stück durch die Schärfe der Charakteristik und die anmutende Erfindung die Sympathie des Lesers. Zwar läßt es sich anfänglich ganz wie eine Wichertsche Badenovelle an: die rätselhafte Einsame als Lockvogel für etliche Lieutenants und Muttersöhnchen, die bald einem interessanten Doktor oder Professor weichen müssen, Frau Toutlemonde“ mit ihrem anscheinend naiven Gänschen von Tochter, das sich zur rechten Zeit als eine ganz raffinierte kleine Kokette erweist, eine brave Hauswirtin, Badegäste u. s. w. sind nicht eben ganz neue Bekannte, auch der praktische Amerikaner und sein bleiches, exotisches Töchterchen, dem die Millionen und die Anbeter nur so zu Füßen liegen, sind dem Leser resp. dem Theaterbesucher schon vielleicht begegnet auch die Handlung beruht auf bekannten Motiven: das unverstandene Weib, der aus Mißverständnissen hervorgehende Liebeskonflikt ließen sich wohl aus dem einen oder dem anderen Roman oder Theaterstücke herbeicitieren. Dagegen schuf der Dichter in der die kleine Amerikanerin begleitenden Hindufrau Maya eine originelle und rührende Gestalt, die zu wahrhaft poetischen Konflikten und Scenen Anlaß giebt. Die sechste Scene des dritten Aktes zwischen Maya und dem Konsul, als in lezterem etwas von der früheren Liebe für die Mutter seines Kindes erwacht, ferner jene Scene, in welcher Liddy entdeckt, daß Maya ihre Mutter ist, und dieselbe mit ausbrechender Zärtlichkeit liebkost, endlich der Moment, in welchem Liddy mit souveräner Naivetät der versammelten Gesellschaft die Mutter vorstellt, das sind Züge liebenswürdiger Dichternatur.

frischen, sprühenden ersten Akt mit klarer, durch | sichtiger Exposition, kecker Steigerung und kräftigem Schluß zeigt sich der stark possenhafte zweite Akt zwar matter, doch der dritte effekt reiche Akt im Palast der Marquise, in welchem das nach französischem Muster gewobene Intriguenneß scheinbar unlöslich festgefnotet wird, spannt die Neugier des Lesers auf das höchste. Mit dieser Spannung und Befriedigung einer rein äußerlichen Neugier hat das Stück jeinen Zweck erfüllt. Das als „Kurier nach Paris“ | gehende verkleidete deutsche Mädchen, welches mit seiner Zofe (beide unerkannt in ihren Husarenuniformen!) in Paris sogar bis an den Hof König Ludwigs XV. gelangt, sich in allerhand erotische und militärische Händel verwickelt, glücklich die Befreiung des Herzallerliebsten bewerkstelligt (nicht ohne eine bedenkliche Attaque des Königs siegreich abgeschlagen zu haben), stellt an die allgemein übliche Glaubhaftigkeit zwar sehr starke Ansprüche; doch, wer wird das so genau nehmen! Auch daß der Schluß des Stückes eine frappante Kopie der peinlichen Situation der überraschten Herrscherin und des sich für sie scheinbar opfernden Paares im „Glas Wasser“ darbietet, mag nicht ins Gewicht fallen. Genug, das Stück ist amüsant und giebt Darstellerinnen für jogenannte „Hojenrollen“ sogenannte „brillante“ Partien. Es weht ein Hauch von parfümierter | Hofeleganz durch das Lustspiel, welcher die Sinne angenehm umschmeichelt. — Kein größe rer Gegensaß läßt sich dazu denken als die derb| zufassende, das Ding beim Namen nennende Art, wie sie dem auch in Deutschland heimischen schwedischen Dichter Henrik Ibsen eigen ist. Der Verfasser des hochbedeutsamen | Die Handlung ist spannend troß ihrer DurchBrand", der erfolgreichen „Stüßen der Ge- sichtigkeit und troßdem ihr eine eigentliche sellschaft", der pikanten „Nora“ erscheint hier Hauptgestalt, ein festgeseßter Mittelpunkt fehlt. mit einem stark tendenziösen Schauspiel in Anscheinend dreht sich alles um Liddy, doch fünf Aufzügen: Ein Volksfeind (Leipzig, Ph. Candida tritt energischer vor, schließlich ist uns Reclam jun.) vor seinen Verehrern. Die Charak- Maya am interessantesten. Eine form- und tere treten in sicheren Umrissen hervor und gedankenvolle Dichtung ist Don Juans Ende prallen in heftigen Konflikten aufeinander. Das desselben Autors. Doch mag es sein, wie es Thema ist äußerst drastisch concipiert: durch will: Don Juan als Vater macht troß aller die Enthüllungen eines wohlwollenden Bürgers berufenen und unberufenen Versuche einen entder Stadt, eines Dr. Stockmann, erfährt man, nüchternden Eindruck. Eine gewisse Sentimendaß der Ort, ein neuerdings in Aufschwung talität ist dabei nicht zu umgehen, und damit kommendes Bad, eigentlich eine Pesthöhle sei. steigt der faustische Held herab von der Höhe Statt dem Entdecker zu danken und Vorkeh- dämonisch-romantischer Poesie in zwar menschrungen zu treffen, Wasser und Luft zu reini- licheres aber alltäglicheres Profaleben. Ein allgen, wird Stockmann als ein Volksfeind täglicher Don Juan ist aber nicht Don Juan denunziert und verfolgt. Das tendenziöse mehr, und so ergiebt sich ein unvermeidlicher Stück beraubt sich durch Übertreibungen und Widerspruch zwischen künstlerischer Absicht und undramatische Längen selbst jeder besseren thatsächlicher Wirkung. So wenigstens erscheint Wirkung. Es befremdet, ja es ermüdet end- es uns nach der Lektüre des Stückes. Wir lich trop seiner Vorzüge. - Ein noblerer Geist wollen uns gern geirrt haben, wenn uns, wie spricht aus den drei von Paul Heyse vor- ja sehr wohl möglich, die Aufführung eines liegenden Dramen. Das Recht des Stärkeren | Besseren belehrt. Jedenfalls macht bereits hat an mehreren größeren Bühnen einen bei der Lektüre einen ungleich reineren und entschiedenen Erfolg davongetragen. Auch erhebenderen Eindruck das dritte vorliegende

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