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löste seine Aufgabe auf wahrhaft geniale fassung der Natur, die lebensvolle Charakterisierung brachte dem Meister vicl Lob ein. Dieser scheint damit den rechten Ton für seine Kunst gefunden zu haben. Er, der Bürgerssohn, wurde der Anwalt des bürgerlichen Familienlebens. Bild wurde für Friedrich den Großen erworben und befindet sich jezt im Schlosse zu Berlin.

Weise; er griff ins volle Leben hinein und stellte den Chirurgen in seiner Offizin dar, wie er einem im Duell Verwundeten, der zu ihm gebracht wurde, Beistand leistet. Diese Hauptgruppe ist von vielen Zuschauern umgeben, deren jeder nach seiner Art seine Neugierde offenbart. Auch der Polizeikommissär fehlt nicht, der mit ernster Amtsmiene den Fall untersuchen will. Alle Dargestellten waren Bildnisse, es war ein lebensvolles, dramatisches Bild aus dem Pariser Volksleben. Kaum war das Schild aufgestellt, strömten Menschen herbei, es zu betrach ten und zu bewundern. Selbst Künstler erschienen, um das Werk eines ihnen ganz unbekannten Malers anzusehen.

Obgleich Chardin der erste Wurf gelungen war, kehrte er doch zu einer ähn lichen Auffassung eines Sittenbildes nicht wieder zurück.

Ein Bild, welches das Innere einer Küche mit ihrem reichen Inhalt schildert, wurde selbst von Akademikern so vortrefflich gefunden, daß sie Chardin aufforderten, sich um einen Plaz an der Akademie zu bewerben. An eine solche Auszeichnung hatte der Künstler nie gedacht. Einzelne Umstände seiner Bewerbung um diesen Plaz sind recht charakteristisch. Chardin stellte in einem Vorsaal der Akademie einige seiner Bilder, darunter das erwähnte Innere der Küche, so auf, als ob sie zufällig hingeraten wären. Diesen Saal mußten die Herren der Kommission passieren. Der Künstler wartete in einem Nebengemache, wo sich die Kommission versammeln sollte. Zuerst kam Largillière, der, als er die Bilder bemerkte, von denselben so gefesselt wurde, daß er sie eingehend musterte; er hielt sie für Werke irgend eines guten niederländischen Meisters. Dann kam Cazes, unseres Chardin früherer Lehrer. Auch er ließ sich täuschen. Largillière sagte dann zu dem Kandidaten: „Sie besigen da ein paar treffliche Bilder. Nun aber lassen Sie uns auch Ihre Arbeiten sehen.“

Für angehende Künstler oder solche, deren Bilder im Salon nicht zugelassen wurden, bestand zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts eine eigentümliche Anstalt zum Ausstellen von Gemälden. Man hatte alljährlich zum Fronleichnamsfeste auf dem Plaze Dauphin Tapeten wände aufgestellt. Auf denselben wurden die Bilder angebracht, natürlich unter freiem Himmel und nur auf die wenigen Stunden der Festlichkeit. Hier hatte auch Chardin zum erstenmal 1728 mehrere Bilder mit Stillleben ausgestellt. Ein Bild des Jahres 1732 wurde besonders gerühmt, es war ein bronzenes Relief Mein Herr," erwiderte Chardin freudig, nach Fiammingo, das so täuschend gemalt „Sie haben sie soeben gesehen.“ - „Wie, war, daß selbst Künstler verleitet wurden, diese Bilder haben Sie gemalt? Vortreffdurch das Betasten sich zu überzeugen, ob_lich!“ — Cazes fühlte sich zwar ein wenig es wirklich ein Bild und nicht ein Relief jei. beleidigt, daß er sich durch die Kriegslist Mit dem Jahre 1734 macht sich eine seines früheren Schülers täuschen ließ, Wendung in Chardins Kunst bemerklich: aber schließlich mußte er sich wieder glücker wendet sich dem Genre zu. lich schätzen, einen solchen Schüler gehabt zu haben. So war die Kommission für den Kandidaten günstig gestimmt und dieser wurde am 25. September 1728 „als Maler von Blumen, Früchten und Stillleben" in dieselbe aufgenommen. Die oben erwähnte Küche sowie ein Fruchtstück

Im genannten Jahre stellte er nämlich ein Mädchen im einfachen bürgerlichen Gemache dar, das eben den Brief voll endet hatte und mit Ungeduld auf das Licht wartet, das ein Diener herbeibringt. Der einfache Vorwurf, die treue Auf

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den wir namhafte Vertreter des Still lich fühler diesem Genre gegenüberzulebens, so Kalf für Kücheninterieurs, stellen, machte der Künstler eine SchwenMignon, Huysum und Ruysch für Blumen, Weenig für tote Jagdtiere. Chardin vereint alle Arten. Er malt Geschirr und Geräte, Blumen und Früchte, Tiere des Feldes und Waldes, Fische und Fleisch. Man bewunderte namentlich den frischen Sammet der Pfirsiche, die Durchsichtig

kung. Man glaubte, das Genie des Künstlers ermüde, und Chardin machte einen kühnen Schritt vorwärts, um sich die Gunst der Kunstfreunde neu zu erobern. Er trat als Maler des Sittenbildes auf.

Diese Gattung Malerei hat bekannt

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keit der Weintrauben, den feuchten Purpur lich ein sehr weites Gebiet; es umfaßt der Erdbeeren, den safttriefenden Sprung geographisch alle Völker, chronologisch überreifen Obstes. Mit höchster Naturtreue ist jedes einzelne aufgefaßt, aber es ist keine gedankenlose Abschrift der Natur, der Künstler hat durch reizende Reflexe, durch Anordnung des Einzelnen, durch die Harmonie des Vielartigen dem naturalistischen Bilde die Weihe der Kunst aufgedrückt.

alle Jahrhunderte, social alle Stände; das ganze Reich der Seelenstimmungen, von der unschuldigen Freude des Kindes und der innigsten Frömmigkeit bis in die Orgien des Sinnentaumels und in die düsteren Regionen des Verbrechens, bietet reichen Stoff dem Genrebilde.

Chardin bewegt sich in diesem Reiche Da sich die Menge durch die öftere nur auf einem eng begrenzten Bezirke: er Wiederkehr solcher Gegenstände gesättigt versucht es, uns das Heim der Bürgerzeigte und die Kritik aufing, sich allmäh-familie mit ihren einfachen unschuldigen

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eigenen Heim umgaben und die ein Reflex | glücklich sich der Künstler an ihrer Seite feines Charakters sind.

Es war der Wunsch seines Vaters, daß der Sohn die Tochter eines seiner Freunde, des Kaufmanns Saintar, heirate. Die jungen Leute lernten sich kennen und lieben. Dem Brautvater war gerade der arme Maler nicht sehr willkommen, weshalb die Hochzeit verschoben wurde. Da starb Saintar, und es zeigte sich, daß der vermeintlich reiche Kaufmann nichts hinter ließ. Jezt wollte der alte Chardin von der Ehe nichts wissen, aber der Sohn

fühlen mußte. Das Spizenhäubchen, die weiße Halskrause, alles sigt so nett und sauber; der Künstler konnte kein besseres Modell für seine Genrebilder finden (j. Abbildung Seite 119). Er hat sie auch auf mehreren seiner Bilder verewigt. Noch als altes liebenswürdiges Mütterchen hat er sie 1775 in Pastell gemalt (im Louvre).

Durchwandern wir nun, von Chardins Bildern geleitet, das einfache Bürgerhaus, wie es sich der Künstler als Ideal dachte.

Höchst wahrscheinlich hat uns Chardin in diesen Bildern seinen Sohn vorgestellt, der sich später unter den Augen des Vaters zum Künstler ausbildete, auch im Jahre 1754 den großen Preis für Italien erhielt, aber noch vor dem Vater starb.

Da führt er uns in die Kinderstube, vor sich auf den Knieen ausgebreitet und wo wir die kleine Welt bei ihren Spielen, zeichnet nach einem akademischen Akt. Freuden und kleinen Sorgen überraschen. Es sind keine der Phantasie entsprungene Puppen, sondern wirkliche, natürliche Kinder, deren Bekanntschaft uns Chardin machen läßt. Diese Kinderwelt, kern gefund an Leib und naiv im Beneh men, mußte eine rechte Augenweide für die Bürgerfrauen und Mütter abgegeben haben, wenn sie im Salon Chardins Gemälde zu betrachten Gelegenheit fanden. Da ist das kleine Mädchen, welches mit der Puppe spielt und sie in Vorahnung seines künftigen Berufes mit aller Liebe und Sorge umgiebt. Das Mädchen soll das Porträt einer Tochter des Kaufmanns Mahon sein. Der Künstler hat eben das Bildnis zu einem Genrebilde gehoben. Ist ja doch jedes gute Genrebild ein Porträt, wenn auch nicht der einzelnen Person, doch einer ganzen Gattung.

Das Verhältnis der älteren Geschwister zu den jüngeren hat uns Chardin in einem netten Bildchen geschildert. Ein halb erwachsenes Mädchen sucht dem jüngeren Bruder die Geheimnisse des Abc klar zu machen. Das Präceptorgesicht des Mädchens, welches die Sache ganz ernst nimmt, wie auch die Passivität des Jungen, dem die Lektion nicht behagt und dessen Gedanken wohl bei einem Spiel sind, ist sehr gut ausgedrückt (s. Abbildung Seite 120).

Endlich schlägt die Stunde der Freiheit, das Büchlein wandert in die Schublade des Tisches und das Spiel kommt zu seinem Rechte. Da zeigt uns der Künstler Kinder, welche Kartenhäuser aufbauen, auf einem anderen Bilde einen kleinen Knaben, der Seifenblasen macht, und dann wieder einen, der sich mit dem Kreisel unterhält.

Einen kleinen Zeichner hat Chardin dreimal gemalt; einmal zeichnet dieser den Merkur von Pigalle, ein andermal einen Kopf, und das dritte Mal hat er es sich recht bequem gemacht und sich auf die Erde des Ateliers gesetzt, ein Portefeuille

Weiter bringt der Künstler die Kinderwelt. mit der Mutter in Berührung, um uns die Ordnungsliebe, die Fürsorge, die vernünftige Erziehungsweise der lezteren zu zeigen. Chardin hat dieser Gruppierung die reizendsten Motive zu verleihen gewußt.

Ein Mädchen ist zum Ausgang bereit (vielleicht in die Schule); die anmutige Mutter sorgt dafür, daß das Töchterchen reinlich und ordentlich erscheint und der häuslichen Pflege Ehre macht. Da siht eine Masche am Häubchen noch nicht recht, und die Mutter bringt sie in Ordnung. So einfach die Komposition ist, der Künstler hat die Scene recht anziehend geschildert und noch eine reizende psychologische Pointe beigebracht. Das kleine Mädchen schielt nämlich, während die Mutter das Häubchen zurecht macht, als eine echte Evatochter nach dem Spiegel auf dem Toilettentisch hin.

Auch der Knabe darf nicht zur Schule ohne vorhergegangene Musterung der Mutter. Da steht der junge Mann, ordentlich gekämmt, nett angezogen, die Bücher unter dem Arm. Die Spielsachen liegen auf der Erde, das Spiel muß dem Ernst der Schule weichen. Schon will er sich durch die halb offene Thür entfernen, doch halt! der prüfende Blick der Mutter hat noch etwas nicht in Ordnung gefunden; sie nimmt das dreieckige Hütchen des Sohnes, um es ordentlich abzubürsten. Man nannte das Bild: „Die Gouvernante." So tritt keine gemietete Pflegerin auf, das ist. der Blick der liebevollen, treu sorgenden Mutter, deren Häubchen und Schürze allein uns erzählen, wie nett und reinlich es in ihrem Hause zugeht.

Die Mutter ist die natürliche erste

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