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Arica nach dem Erdbeben. (Nach einer Originalphotographie.)

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Arica am 14. August 1868. (Nach einer Originalzeichnung des Verfassers.)

Dazu kam, daß die See die in dem wasserlosen Iquique so nothwendigen Destil lationsmaschinen zerstört hatte. Eine Bevölferung von immer noch sieben bis achttausend Menschen ohne Wasser! Glücklicherweise hatten die zahlreichen „Tiendas“ (Läden für Alles) genügende Vorräthe von Ale und „Chicha" (Maisbier), um für die aller ersten Tage auszukommen. Ebenso brachten einige Kriegsschiffe so schnell als möglich Wasser, Lebensmittel und Kleider, nahmen auch eine Menge Unglücklicher mit sich nach weniger arg heimgesuchten Orten, so daß das Allerschlimmste einstweilen abgewendet war. In der zerstörten Stadt blieb aber Niemand, wenigstens nicht über Nacht, und weit davon am Fuße der Berge waren eine Menge Hütten improvisirt, wo die früheren Einwohner Iquique's jezt ihre Zeit zubrachten. Die mächtig hereinstürzende See hatte ihnen doch einen zu gewaltigen Respect eingeflößt, als daß sie sich hätten entschließen können, an dem Schreckensort zu bleiben, namentlich da auch die Erschütterungen, wenngleich schwach, noch immer fortdauerten.

Soweit die See eingedrungen, und es war das bei der niedrigen Lage der Stadt wahrlich kein kleines Stück war der Boden wie rasirt, höchstens daß hie und da noch ein paar Pfähle oder festere Bretter ragten, sonst hatte die rückgehende Fluth so ziemlich Alles mit sich genommen. Meinem alten Wirth Soto war das Haus ein paar Mal übergekippt, doch hatte der speculative Kopf den Rest seiner Spiri tuosen unter den Bretterhaufen wieder her vorgesucht und am Ende der Stadt aus Stangen und Segeltuchen ein „Hotel" im provisirt, wo er Speisen sowohl als Getränke zu wahrhaft fabelhaften Preisen verkaufte. Ueberhaupt gingen an Menschenleben hier glücklicherweise nur etwa zweihundert verloren, wenig im Verhältniß zu den an deren Städten wie Arequipa, Arica, Tara paca 2c. Dagegen brach vier Monate später das gelbe Fieber aus, wer nicht rechtzeitig flüchtete, starb, und das sonst so gewerb thätige, lebhafte Iquique ging seinem gänzlichen Berfall entgegen.

In dem eine Tagereise nach dem Inneren hin entfernten Tarapaca war kein Stein auf dem andern geblieben, ebenso hatten die näher der Küste liegenden Sal peterminen bedeutende Schäden erlitten.

Die Sterne blinkten am Himmel, als wir Iquique verließen. Kopf an Kopf standen die zahlreichen Unglücklichen, die den Schauplatz des Elends verlassend, im Norden ein besseres Geschick suchten. Aber auch Mancher mochte unter ihnen sein, der früher ein armer Teufel, jetzt unter dem schmutzigen Poncho Schätze barg, deren Besiß er sich wohl nie hatte träumen lassen. Raub und Mord waren überall in den unglücklichen Städten an der Tagesordnung, und die entfesselte Habgier wüthete in der selbst bei ruhigen Zeiten fast gefeßlosen Republik auf eine gar schreckliche Weise. Es war das ein schwerer Tag für Peru, dieser 13. August, und der liebe Gott mußte einen ganz besonderen Groll auf das Land haben, daß er ihm mit Revolutionen, Erdbeben und Epidemien so arg zuseßte.

Gegen Mitternacht passirten wir Mejil lones de Peru. Vollständig verschwunden war der ganze kleine Ort, nur ein einziges Haus, das eines Deutschen, ragte oben auf dem Gipfel eines Felsens, den die Alles vernichtende Fluth nicht hatte erreichen können.

Pisagua, ein Städtchen mit bedeutenden Salpeterminen, das wir am Nachmittag des nächsten Tages berührten, war glücklicher gewesen. Nur soweit die See hatte eindringen fönnen, war es verwüstet, der größte Theil der Stadt war seiner höheren Lage wegen, wie es schien, ziemlich gut erhalten.

Immer dicht an der fast senkrechten, ges waltig hohen und felsigen Küste hinfahrend, kamen wir gegen Abend des folgenden Tages in Sicht der Schneeriesen Boliviens, die weit über das öde Küstengebirge, an dessen Fuß Arica sich ausbreitet, oder vielmehr sich ausgebreitet hatte, denn jet lag es, ein formloser Trümmerhausen, am Boden, herüberragten. Aber noch andere traurigere Anzeichen verriethen die Nähe desselben, schwimmende Balken, Schiffstrümmer, Cadaver von Kühen und dergleichen, trieben, unheimlich auf den Wellen schaukelnd, uns entgegen. Eine halbe Stunde später lagen wir gegenüber dem Morro" vor Anker.

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Arica liegt gerade in dem Winkel, den hier die nach Nordwest hinaufbiegende Küste macht. Obgleich peruanisch, ist es doch der Haupthafen Boliviens, da die Wege nach Cobija, der einzigen Stelle, wo

dieses Land an das Meer tritt, zu weit | nahm dann meine Tasche und schlenderte den Trümmern zu. Eben begegnete mir ein hoher, junger Mann mit blauen Augen und blondem Haar: wenn das ein Deut

und gefahrvoll sind, als daß sie der Handel hätte berücksichtigen können. Ein reges Geschäftstreiben herrschte das ganze Jahr hindurch in dem etwa zehntausend Ein-scher wäre! Richtig! ich hatte mich nicht gewohner zählenden Orte. Ein großes Zollhaus lag am Strande, an dem entlang eine Eisenbahn hinauf nach Tacna führte. Auch eine Garnison und Festungswerke besaß Arica und das alles, alles hatten wenige Minuten vernichtet, in grause Trümmer verwandelt, oder ins Meer geschwemmt.

An dem Molo standen dichte Menschengruppen, erwartungsvoll nach dem Dampfer schauend, von dem sie einige Milderung ihrer Lage hofften. Ich wandte mich an einen der dort herumstehenden Engländer, um vor allen Dingen etwas über die nach Tacna führende Eisenbahn zu hören lieber Gott! sie war auf eine Strecke von mehr als drei Leguas vollständig unfahrbar geworden. Auf meine zweite Frage, wo man die Nacht über bleiben könne, zuckte er die Achseln und ging mit einem phlegmatischen: I do'nt know hinweg. Das waren vortreffliche Aussichten. Dazu brach die Nacht dunkel herein und ich stand noch immer, meine Reisetasche in der Hand, rathlos an dem Molo daß ich Tacna nicht erreichen konnte, daß mein Apparat nicht möglicher, sondern höchst wahrschein licherweise zum Teufel war, kümmerte mich in diesem Augenblick sehr wenig, wo in aller Welt sollte ich vor allen Dingen erst einmal die Nacht zubringen? Sämmt liche Häuser lagen in Trümmern, in denen sich wildes Volk stehlend und raubend um hertrieb. Sollte ich allein in der Nacht bis da, wo die Eisenbahnstrecke fahrbar wurde, zu Fuße gehen? Wahnsinn! ich hätte mich unfehlbar bei der gänzlichen Unkennt niß des Weges und der Dunkelheit der Nacht verirrt, wenn mir nicht Schlimmeres passirte. Alle Bande der Ordnung waren ja gelöst. Dazu lungerten beständig ein paar dieser peruanischen Banditen um mich herum, wobei sie namentlich meiner Reisetasche, in der sie Gott weiß was vermuthen mochten, besondere Aufmerksamkeit schenkten. Nun jedenfalls öffnete ich dieselbe erst ein mal und nahm ein kurzes, schweres Doppelpistol, ein Geschenk Don Mercello's, her aus, sette frische Hütchen auf und steckte es unter meinen Poncho in den Gürtel,

täuscht und kaum daß ich ihm gesagt, in welcher Verlegenheit ich war, bot er mir auch schon freundlich sein Comptoir, das schon wieder auf den zusammengestürzten Wänden seines Hauses improvisirt war, zum Uebernachten an. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Don Carlos, wie mein neuer Bekannter hieß, führte mich auch gleich in das nur wenig Schritte entfernte, aus Segeltuch und Pfählen errichtete „Comptoir," und nachdem er die schweren Geschäftsbücher hinweggeräumt, lud er mich ein, es mir auf einem prächtigen Sopha so bequem als möglich zu machen.

Jezt aber ließ es mir auch keine Ruhe mehr, noch war es hell und am Himmel stand außerdem der volle Mond, ich hatte also noch vollkommen Muße, die Stadt zu sehen, und da auch Don Carlos sich bereit erklärte, mich zu begleiten, brachen wir wieder auf und gingen in die ehemaligen Straßen hinein. Hatte es aber in Iquique schon bös ausgesehen, so war es hier ge= radezu fürchterlich. Die Häuser, von großen, an der Sonne getrockneten Lehmsteinen, sogenannte „Adobes," gebaut, waren alle miteinander toll und wild über und durcheinander gestürzt, quer über der Straße lag der Thurm der Kirche; hier mußte man über Trümmer und Leichen wegklettern, dort wieder große Tümpel stagnirenden Secwassers umgehen. Und dann das bunte Conglomerat der umhergestreuten Waaren, durchweichter Kleider, Bücher und Karten, Seetang und halb verfaulter Fische! Und diese riesigen, von der mächtigen Fluth gleich kleinen Kiefeln herumgeworfenen Felsblöcke, diese tollen Massen von Schienen, Rädern, Kesseln, Röhren, Schiffstrümmern, entwurzelten Bäumen und Eisenpfeilern des einst so schön gewesenen, jezt ganz verschwundenen Zollhauses. Ueberall Kisten, Bretter, Möbel, Papiere, ja jogar Indianermumien, die vor uralten Zeiten hier bestattet, von der Fluth wieder aufgewühlt worden waren, lagen zu Dußenden herum und bildeten eine gar wunderliche Staffage zu dem an den jüngsten Tag erinnernden Bilde. Die meisten dieser braunen, eingetrockneten Ge

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stalten zeigten noch die hockende Stellung, Aber noch waren die Schrecken des Tain der sie beigesetzt, und wie sie da saßen ges nicht zu Ende; wie aus einem Munde im Mondschein und der Seewind die lan- tönte auf einmal der Schreckensschrei: sale gen, wohlerhaltenen, zahlreichen Zöpfe um el mar! Entseßlich! Die ganze, ungeheure die nackten Schädel flattern ließ, konnte Höhle des Hafens lag offen da, die See man seltsame Gedanken haben. Aber auch hatte sich zurückgezogen und die Schiffe an modernen Todten fehlte es nicht, der lagen an ihren Ankerketten auf dem Grunde. ganze Strand war damit bedeckt und gar Lange aber hielt sich Niemand mit Beunheimlich sah es aus, wie die schwarzen, trachtung des graufigen Anblicks auf, in formlosen Massen in dem matten, phospho- wilder Flucht stürzte Alles nach dem rischen Funkenscheine der See, in regel Morro, einem etwa zweihundert Fuß ho= mäßigen Pausen jezt ans Land und gleich | hen, am Südende der Stadt gelegenen, darauf wieder zurück, in ihr schäumendes steilen Hügel und kaum auf demselben anWogengrab rollten. gelangt, geschah das Furchtbare. Das Meer kam zurück. Eine lange, ungeheure, durchsichtig grüne, schaumbedeckte Woge tobte heran, stürzte sich über die unglückliche Stadt und überall Tod und Verwüstung verbreitend, vernichtete sie in wenig Augenblicken den Rest der noch stehenden Trümmer. Arica war nicht mehr. Wo die Fluth hingekommen, war Alles wie weggefegt. Der Verlust an Menschenleben und Gut war ungeheuer. Im Zollhause allein lagen für mehr als drei Millionen Pesos Waaren, von denen nichts, sage gar nichts gerettet wurde. Die Woge hob die Schiffe im Hafen empor, die Ankerketten riffen wie Zwirnsfäden und die Fahrzeuge wurden weit ins Land hineingeschleudert. Eins ging sogleich mit Mann und Maus unter, ein anderes dagegen, der nordamerikanische Kriegsdampfer „Wateree," lag wohlerhalten eine halbe englische Meile vom Strande, in einer muldenartigen Senkung des Bodens. Ihn zu bewegen kostet mehr, als er überhaupt werth ist, weßhalb er wohl zum Andenken an den Schreckenstag für ewige Zeiten dort liegen bleiben wird. Gegenwärtig wurde er aufs Rationellste ausgeplündert. Die übrigen Schiffe, darunter das mächtige peruanische Kriegsschiff „Amerika,“ lagen das eine hier, das andere dort, in tausend Stücke zertrümmert. Ersterem waren, so wie er Land berührte, sämmtliche Masten wie Glasstangen unten abgebrochen und hatten dieselben, auf Deck schlagend, mehr als zwanzig Matrosen ge= tödtet. Grauenhaft sahen die zerschmetterten Schiffe aus.

Es war das ein für mich unvergeßlicher Spaziergang, den ich an diesem Abend mit Don Carlos durch die vom hellen Mond licht erleuchteten, schreckenerfüllten Ruinen der unglücklichen Stadt machte, während er mir die Katastrophe, wie sie hier auf trat, schilderte. Er Don Carlos war gerade mit noch einigen Deutschen im Hotel an der Plaza, als die ersten Anzeichen des Erdbebens, ein dumpfes, lang anhaltendes Rollen, dem eine mäßig starke Wellenbewegung des Bodens folgte, eintraten. Man lachte und scherzte und es fiel Niemandem ein, das Zimmer zu vers laffen,Terremotos" waren etwas viel zu Gewöhnliches, als daß man sich viel darum gekümmert hätte. Da aber die Erschütterungen nicht enden wollten, im Gegentheil stärker wurden, verließen sie endlich das Haus und zwar zu ihrem Glücke, denn kaum waren sie draußen auf der Plaza, als der eigentliche Tanz losging. Wie eine flüssige Masse wogte, wallte, krümmte und bog sich der Erdboden, die Wellenbewegung verwandelte sich in eine horizon talstoßende, und so heftig trat dieselbe auf, daß Niemand sich aufrecht erhalten konnte. Schauerlich tönte der dumpfe Donner aus der Tiefe, krachten die einstürzenden Häuser, heulten und kreischten die vor Angst | halb todten Unglücklichen, und der aufsteigende dichte Qualm der zerschmetterten | Adobas machte die Scene nur noch graufiger. Was half es, daß alles Volk niederfiel, an die Brust schlug und misericordia schrie. Einem Engländer, der heftig durch eine Gruppe der um Erbarmen Schreienden rannte, wurde zugerufen, niederzuknien und zu beten, und als er eiligst seinen Weg fortsette, wurde er mit Revolverfugeln zum Stehen gebracht.

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Die Schrecken der Natur schwiegen. Aber nun begann der zweite, grausige Act dieses unseligen Tages. Mit dem Revolver in der Hand stürzten sich die Matrosen auf das überall herumliegende Gut der Ein

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