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seitigen sogenannten Hafen der Ruhe ein- | pfangen war, und im tiefsten Grunde eines gelaufen je nachdem.

Aber für ihn selbst für den Dichter ist die Unruhe jeßt erst recht hereingebrochen, und er ist mitten in den Sturm und Drang geschleudert, aus dem er seinen Helden glücklich errettet.

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so

Was er bisher vor sich gebracht sehr es auch das A und O des Ganzen ist das Principium, ohne welches alles Andre weder sein noch gedacht werden kann es war ihm doch die Conception der Idee und der erste große Entwurf des Planes mit dem Helden (das Modell mit einbegriffen) — es war ihm, sage ich, doch gleichsam aus den Wolken, aus der Götter Schoß gefallen, wie ein jedes Glück, und wenn man das Wort nicht zu buchstäblich nehmen will in einem Augenblick geboren. Jetzt aber muß er die auf geflügelten Sohlen durchmessene Bahn zum zweiten nicht zum letzten Maledurchmessen und die Geschichte des Helden, seine Abenteuer und Schicksale, sich genauer ansehen; vor Allem aber die Lotophagen, Kyklopen und Nymphen kennen zu lernen suchen, ohne deren nähere, manchmal nicht | unbedenkliche Bekanntschaft zu machen, bekanntlich kein Held seine irdische Laufbahn zurücklegt.

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„Ihr drängt Euch zu; nun gut, so mögt Jhr walten." Das Dichterwort ist so recht bezeichnend für dieses zweite Sta dium. Sie drängen sich zu; aber freilich: es muß sich jede Gestalt über ihr Recht ausweisen; sie mögen walten, aber nicht ganz nach eigenem Belieben.

Was verstehe ich darunter? Dies, daß eine jede dieser Gestalten mit einer gewissen pragmatischen, aus dem Gang der Schicksale des Helden resultirenden Nothwendigkeit, welche eben ihr Recht ist, in den Rahmen der Geschichte eintritt; daß feine eintreten darf, die ihr ganz bestimmtes Verhältniß zu der Idee des Ganzen nicht nachweisen kann, nicht nachweisen kann, daß ohne sie die Totalität des Welt. bildes, welches dem Dichter vorschwebt, unmöglich wäre. Dies ist, wie gesagt, ihr Recht und zugleich ihre Nothwendigkeit, innerhalb welcher sie allerdings mit einer gewissen Freiheit walten mag.

Nämlich so:

Wie der Held, trotzdem er in geheimnißvoller Weise mit der Idee zugleich em

mit der Idee ist, dennoch als ein lebendiges, d. h. endliches und beschränktes Wesen die Idee zwingt, sich in gewissem Betrachte nach ihm zu richten, oder besser ausgedrückt, an seiner Endlichkeit und Beschränktheit zu participiren, also daß er niemals Alles thun und sagen kann, was der Dichter ihn thun und sagen lassen möchte so gehen die anderen Personen, troßdem sie gewissermaßen nur im Dienste des Helden stehen, keineswegs vollkommen in diesem Dienste auf, sondern behaupten oft zur Verzweiflung des Dichters hartnäckig ihre spröde Selbständigkeit. Sie werden gerufen, folgen willig dem Rufe; aber wenn sie einmal da sind, werden sie schwierig und sagen: dies will ich thun, jenes nicht; dies kann ich thun, jenes muß ich lassen.

Nun darf diese Widerspenstigkeit natürlich nicht so weit gehen, das Ganze umzustoßen, denn dann würde der Dichter das Recht und die Pflicht haben, die sich Zudrängenden seinerseits wieder wegzudrängen; aber sie geht fast immer so weit, daß der Plan des Ganzen nicht in den großen, ein- für allemal feststehenden Umrissen, aber im Einzelnen wesentlich modificirt werden muß. Da giebt es denn oft ein Handeln und Markten hinüber und herüber, ein Streiten und Debattiren, ein Abwägen zwischen Mein und Dein, daß dem armen Dichter vor dem Wirrwarr der Kopf springen möchte.

Aber er behalte nur den Kopf oben; er lasse sich nur durch all das Hin- und Herreden nicht verwirren, und er wird bald

manchmal zu seiner eigenen Verwunderung wahrnehmen, wie über dem Lärm der Plan des Ganzen in aller Stille immer weiterrückt, und wenn die Liste der Personen fertig ist, sich in jeder Beziehung zugleich verkörpert und vergeistigt hat.

Ich sage: die Liste der Personen, nicht in Anspielung auf jenes Curiosum, von dem ich Ihnen vorhin erzählte, sondern weil ich mir wirklich in diesem Stadium unweigerlich eine Liste derjenigen Personen anfertige, die ich bis jezt kenne, d. h., wie wir bald sehen werden, so ziemlich aller, die überhaupt im Romane auftreten werden.

Und zwar enthält diese Liste nicht blos die Namen der Personen und etwaigen Titel, sondern auch ein ausführliches Signale

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ment in dem guten alten Stile der Pässe, und Steckbriefe, in welchen eben Alles: das Alter, die Größe, die Statur, die Farbe der Haare und Augen, der Teint, und last not least: die besonderen Kennzeichen ganz ausführlich notirt waren. Sie wissen vielleicht, ich mache in meinen Romanen von dieser meiner Wissenschaft selten oder nie directen Gebrauch, weil ich mich aus langer Erfahrung überzeugt habe, daß ich nie einem Leser einreden werde, meine Heldin sei braun, wenn er sich dar auf capricirt hat, sie blond zu sehen, oder umgekehrt; aber diese geheime Polizeicon- | trole ist mir in diesem Stadium noch nöthig; später freilich, wo mir alle diese Gestalten vertrauter sind, als manche Menschen der Wirklichkeit, mit denen ich Jahre lang gelebt, muß ich oft selbst über die pedantische Genauigkeit lächeln, mit welcher ich in den er sten Stadien unserer Bekanntschaft ihnen auf Stirn und Augen gespäht habe.

Und wie ich zu dieser Wissenschaft komme? Genau auf dieselbe Weise, wie ich zu meinem Helden kam: durch Combination meines inneren Bildes mit einem ganz bestimmten Modelle, bei welcher — ich brauche das kaum zu wiederholen - das lettere sich dem ersteren gern oder ungern accommodiren muß, und accommodirt, aber nur um den manchmal theuren Preis, daß auch das innere Bild etwas von seiner Allge meingültigkeit abläßt und einbüßt.

Wäre es da nicht besser, ganz ohne Modelle zu arbeiten? fragen Sie hier; oder nein: Sie fragen es nicht, denn Sie has ben sich mittlerweile längst überzeugt, daß diese Frage in meinem und, ich bin gewiß, in jedes Dichters und Künstlers Ohr nicht mehr Sinn hätte wie die andere: wäre es nicht besser, wenn der Mensch fliegen könnte? Ich weiß nicht, ob es besser wäre; ich weiß aber, daß er nur im Traume fliegen kann. Und solchem Traumfliegen und solchen Traumflügen möchte ich die dichterischen Figuren vergleichen, welche, in Ermangelung eines Besseren, ohne Modell von dem Dichter gearbeitet sind.

Ich sage: in Ermangelung eines Besse ren, weil es mir außer aller und jeder Frage steht, daß der wahre Künstler nun und nimmer ohne Modell arbeiten wird, so lange er es vermeiden, d. h. so lange er noch eines, und wäre es selbst ein schlechtes, auftreiben kann.

Denn, glauben Sie mir, gerade die kluge, gewissenhafte Benutzung seiner Modelle, die ihm in reichster Zahl und Auswahl zu Ge= bote stehen, ist es, was den wahren Künstler vom leeren Phantasten einerseits und vom Pfuscher andererseits unterscheidet; ist es, was seinen Gestalten das vollkräftige Leben, die Fülle sprechender Züge giebt, daß sie, wie ein Portrait Titian's oder Van Dyf's, aus dem Rahmen der Dichtung heraustreten und unter uns wandeln. — Oder, um nicht in der Schulsprache zu reden: was uns in den Werken der wahren Dichter so entzückt, das ist ihre intime Menschenkenntniß, die offenbar nur durch das sorgfältigste Studium der wirklichen Menschen erworben ist, welches wiederum auf der unermeßlichen Fülle der Beobachtungen basirt.

Aber unermeßlich wie die Fülle scheint, der Dichter weiß, daß sie ermeßlich ist, erfährt nur zu oft, daß ihm bei seiner Bergwerksarbeit in der geheimnißvollen Tiefe der Menschenseele das Licht der Erfahrung ausgeht und er im Dunkeln sigt.

Er sucht sich nun natürlich zu helfen, wie er kann; ja, ehrgeizig und auf seinen Vortheil bedacht, wie er ist, aus der Noth eine Tugend zu machen. Und zwar so:

Er zeigt die Figur, die er in voller Plastik herauszuarbeiten nicht im Stande ist, immer nur von einer, und zwar einer und derselben Seite; läßt sie nicht zu viel, und wenn auch scheinbar viel, in Wahrheit immer nur dasselbe sprechen; sie gleichsam nur immer auf einer Saite E- oder GSaite, gleichviel - geigen; giebt ihnen, wo möglich irgend ein äußeres, ganz besonderes Kennzeichen: eine quäkende Stimme, Haare, die fortwährend bürstenförmig zu Berge stehen, einen engen Wachshut, der ihnen ein- für allemal einen rothen Streifen um die Stirn gezogen, und was der= gleichen Kunststückchen mehr sind, deren er sich mit um so größerer Unbefangenheit bedient, als er längst aus Erfahrung weiß, wie leicht sich das gutmüthige Publicum dadurch blenden läßt. Mir ist es wenigstens oft genug begegnet, daß sehr einsichtsvolle Leute von dergleichen humoristischen Figuren, die ich gleichsam nur auf eine willkürliche Absonderlichkeit construirt hatte, als von ganz vorzüglich gelungenen und nur durch die intimste Beobachtung und die fleißigsten Experimente in corpore vili zu Stande gekommenen Charakterköpfen spra

chen und mir darüber große Lobsprüche machten. Ich hoffe, Verehrtester, daß Sie gerade von diesem Geständniß auf keinen Fall Gebrauch machen werden.

Ich versprach es meinem Freunde, der nach dieser Unterbrechung also fortfuhr:

Ich fürchte, Ihre Geduld ist erschöpft, obgleich es mein Thema noch lange nicht | ist. Ich will mich deshalb für das, was mir noch zu sagen bleibt, einer größeren Kürze befleißigen, und darf dies um so eher, als die dichterische Methode, mit der Sie doch jetzt schon vertrauter sein werden, in allen Stadien der Arbeit wesentlich die selbe ist.

Wir treten nämlich jest in das dritte Stadium, wobei Sie sich aber wieder er innern wollen, daß, was ich hier nothgedrungen streng von einander sondern muß, im wirklichen Verlaufe des Processes viel inniger zusammenhängt, ja zum Theil in einander verläuft; z. B. in das erste Stadium: die Conception der Idee des Gan zen mit dem Helden, vielfach schon das zweite: das Herandrängen der Helfer und Helfershelfer mit dem genaueren Aufriß des Planes, hineinreicht; wie dieses wiederum in das dritte Stadium vorgreift. Dieses dritte Stadium aber ist die ganz specielle Durch arbeitung des Grund- und Aufrisses, gleich. sam eine sorgfältig auf dem Papier mit Lineal und Zirkel ausgeführte Zeichnung der Haupt- und Seitenfaçaden mit Ein tragung der bestimmten Maße und sauberer Durchführung aller anzubringenden Ornamente; welchem dritten Stadium dann das vierte und legte: nämlich der wirkliche | Bau, das Auf- und Vermauern jedes ein zelnen Form- und Backsteines folgen würde. So müßte es jedenfalls sein; ich kann nur sagen, daß es bei mir so nicht ist, ich vielmehr in das vierte Stadium hinein gerathe, ohne das dritte jemals vollständig zu durchmessen.

Oder genauer: ohne es jemals durchmessen zu können; denn nicht, wie manche freundlich gesinnte Asthetiker meinen: der ungestüme Schaffensdrang, die Ungeduld, nun endlich ans Werk zu gehen, ist es, welche den Künstler jenen von Buch zu Buch, von Kapitel zu Kapitel detaillirten Plan nicht zu Ende bringen läßt, sondern einfach der Umstand, daß das theoretisch Geforderte praktisch seine Kräfte, ich will sagen: meine Kräfte übersteigt.

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Ich hoffe, mich Ihnen durch ein Bild deutlich machen zu können. Sie versuchen von einem etwas erhöhten Standpunkte, nehme ich an einen meilenlangen Weg zu überblicken, der Sie durch nicht gerade gebirgiges, aber auch nicht ganz ebenes Terrain zu Ihrem Ziele führen soll. Ueber das Ziel sind Sie und können Sie nicht in Zweifel sein, denn es ragt, sagen wir, als vom hellsten Sonnenlichte überglänzte Domkuppel, troß der gewaltigen Entfernung deutlich erkennbar, in Ihren Horizont hinein. Auch über die Richtung des Weges im Großen und Ganzen kann aus demselben Grunde keine Ungewißheit stattfinden; zwischen zwei Bunt ten giebt es nur eine gerade Linie, die nebenbei der kürzeste Weg ist.

Daß dieser kürzeste Weg nicht der Ihre ist, sehen Sie nun freilich auf den ersten Blick. Denn schon unmittelbar vor Ihnen macht der Weg eine Krümmung nach rechts, um sofort eine nach links zu machen; um dann etwas abwärts und sogleich wieder aufwärts zu steigen, um dann durch ein Gebüsch zu gehen, wo er für eine kurze Strecke Ihren Blicken entschwindet, um jenseit des Gebüsches auf einer sanftansteigenden Wiese wieder sichtbar zu werden, um sich dann durch Felder Sie wissen nicht mehr, ob rechts oder links zu schlängeln;

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Sie vermuthen links, wenn anders der einzelne Baum, den Sie auf dem Rücken des Hügels erblicken, da, wo derselbe Ihren Horizont abschneidet, an der Wegseite steht. Was von dem Wege hinter der Hügelwelle liegt, sehen Sie gar nicht mehr — aber was schadet das? Das Ziel ist sicher; der erste Theil des Weges liegt bis in die kleinsten Einzelheiten deutlich vor Ihren Augen; und wenn Sie bis zu dem allein stehenden Baume auf dem Rücken des Hügels angekommen sind, wird sich das Weitere schon finden.

So ungefähr verhält es sich zwischen dem detaillirten Plan und der Ausführung.

Ich stelle den Inhalt eines Theils des Ganzen, sagen wir des ersten Bandes eines mehrbändigen Romans mit allen Einzelheiten fest, und gehe dann getrost an die Arbeit, weil ich weiß, daß, bevor ich noch dieses Stück des Weges zurückgelegt habe, ich bereits eben so deutlich das nächste Stück sehe, u. s. m., bis ans Ende; und ich arbeite mit dieser Methode so sicher, daß

aber ich will das Blümchen Bescheidenheit Gejagt wohl, erwiederte ich, als mein nicht zertreten, das auch dem Plauderer Freund schwieg, aber leider noch nichts ers aus der Schule am Wege blühen muß. flärt. Und dann es ist dafür gesorgt, daß es dem Wanderer, und wäre er sich des rechten Weges noch so gut bewußt, an Ueberraschungen aller Art nicht fehlt. Er weiß, daß da und da ein Bach seinen Weg durchschneidet; er hoffte, es führe eine Brücke hinüber; aber als er an den Bach tommt, ist keine Brücke da, wohl aber ein Fährmann, der ihn für ein Geringes an das jenseitige Ufer bringen will.

Diese plöglich aus dem Röhricht auf tauchenden Fährmänner, die gar nicht in der Liste, von der wir oben sprachen, figuriren, aus dem einfachen Grunde, weil ich, bevor sie erscheinen, von ihrer Existenz keine Ahnung hatte, sind mir immer besonders merkwürdig gewesen. Als Kinder des Augenblicks, jenes mächtigsten Herrschers, und der allgewaltigen Nothwendigkeit, sind sie so voll frischesten, blühendsten Lebens, daß | ich an diesen sonderbaren Kindern oft die herzlichste Freude gehabt habe, und die Genugthuung, daß meine Leser diese Freude nachträglich im vollsten Maße theilten.

Ich glaube, ich kann Ihnen den Rest des Weges ersparen, denn, was ich etwa noch zu sagen wüßte über das vierte Stadium: die Ausarbeitung, würde immer wie der auf dasselbe hinauskommen, was wir als Gesetz bei der Genesis des Helden und der anderen Personen festgestellt hatten. Auch bei der Ausarbeitung muß uns in je dem Augenblicke die Fülle der Erfahrungen und Beobachtungen vollständig zu Gebote stehen, welche in ihrer Gesammtheit ich denn hier und für diese Zwecke ebenfalls Modell im weitesten Sinne nennen würde. Wohl uns, wenn diese Fülle wirklich vorhanden ist; wenn ein glückliches Geschick uns Viel und Vieles hat sehen, erfahren lassen; ein glückliches Gedächtniß die sen Schat treu gehütet, und eine glückliche Gegenwart des Geistes uns im rechten Augenblick das Rechte finden läßt! Dann wird keine Sturmeswolfe über den Horizont ziehen, die nicht ihren Schatten in das Gemüth des Lesers wirft; fein Sonnenstrahl durch das Laubgitter zittern, der nicht dem Leser ins Herz scheint; kein Bogel in den Zweigen singen, dessen Sang| nicht im Ohre des Lesers wiedertönte. Und damit ist doch schließlich Alles gesagt.

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Wie so? fragte mein Freund erstaunt. Ich meine, sagte ich, daß damit ebenso wenig erklärt sei, wie mit jenem Schillerschen Worte in dem Briefwechsel mit Goethe, „daß er nur den, welcher seinen Empfindungszustand in ein Object zu legen im Stande sei, so daß dieses Object mich nöthigt, in jenen Empfindungszustand überzugehen, folglich lebendig wirkt, einen Poeten, einen Macher nenne; daß ihm gerade der Schritt vom Subject zum Object den Boeten macho" denn, was ich eben zu wissen wünsche und von Ihnen zu erfahren hoffte, das Geheimniß der Nöthigung nämlich, das Geheimniß des Schrittes vom Subject zum Object das sind Sie mir noch immer schuldig. Ist es denn auch Ihnen, der Sie doch so Manches an sich beobachtet haben, nicht möglich, uns einen Einblick zu verschaffen in jenen Zustand be= geisterter Stimmung, in welcher sich nothwendig der Poet befindet, der so Großes bewirkt, und den Hörer, den Leser zwingt, ihm zu folgen in die höchsten Himmel und die tiefste Hölle?

Ich weiß in der That kaum, wovon Sie sprechen, sagte mein Freund; ich weiß nur, daß es vermuthlich mit der Begeisterung, von der Sie reden, reiner Schwindel ist; und daß ich für mein Theil immer gestimmt bin, wenn ich eine Arbeit und gut ausgeschlafen habe. Auch habe ich entdeckt, daß es die Arbeit noch ganz besonders fördert, wenn mir das Feuer ein wenig auf die Nägel brennt.

So wäre doch Ihre Arbeit eine Arbeit wie andere auch ? fragte ich.

Ich vermuthe es, erwiederte mein Freund, besonders, wenn ich bedenke, daß sie im allerhöchsten Grade das erfordert, was so recht eigentlich das Kriterium der Arbeit ist, und diese von, ich weiß nicht welchen, paradiesischen Spielereien unterscheidet. Das wäre? fragte ich.

Zum ersten Fleiß! erwiederte mein Freund, und Fleiß zum zweiten, und zum dritten Fleiß, dem nichts zu klein, nichts zu groß ist; Fleiß, der wieder und wieder feilt und schabt, und dem die Rückseite der Figuren des Parthenonfrieses, die nie Jemand zu sehen bekommen wird, nicht minder wichtig ist als die Vorderseite, die Je

der sieht. Fleiß und Energie, nimmer zu brechende Energie, die, wenn sich ihr eine Schwierigkeit in den Weg stellt, sich nun erst recht zusammenrafft und mit dem Objecte, das sich ihr nicht beugen will, ringt und zu ihm spricht: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Und glauben Sie mir, mein Freund, wenn ich Erfolge gehabt habe, oder in Zukunft haben werde, ich habe sie verdankt und werde sie verdanken jenem Funken energischen Fleißes, von dem ich ja wohl bekennen darf, daß er fortwährend in mir brennt, und den ein guter Stoff zur hellen, stetig brennenden Flamme anfacht.

Wissen Sie, woran mich dieses Wort gemahnt, sagte ich: an ein Wort Jean Paul's, der in seiner Vorschule zur Aesthetik den Kunstjüngern eine lange Liste der goldensten Regeln giebt und damit schließt: vor Allem, lieben Freunde, habt nur recht herrliches Genie und Ihr wißt nicht, wie weit Ihr es noch bringen könnt.

Mein Freund lachte. Nun ja, sagte er. Es wird damit sein, wie mit den beiden Dachdeckern, von denen Lichtenberg erzählt. Der Eine, bevor er an eine schwierige Arbeit ging, sprach ein kurzes Gebet, der Andere nahm eine Unze pulverisirten Kaßengehirns. Ich vermuthe, daß der Erfte ein Idealist war, der an supranaturalistische Einflüsse glaubte, der Andere ein Realist, der sich von dem Nexus materieller Ursachen und Wirkungen überzeugt hielt.

Und daß, sagte ich, wenn die braven Männer nicht Dachdecker, sondern Dichter gewesen wären, der Erste sich für einen Erfinder ausgegeben haben würde, der Zweite sich schlechtweg einen Finder genannt hätte.

Ja so! sagte mein Freund, von der Frage waren wir ja wohl ausgegangen; aber es scheint, daß wir, wie das bei einer Plauderei so zu gehen pflegt, ein wenig von der Hauptsache abgekommen sind. Nun, fagen Sie selbst, haben Sie sich nach meiner Darstellung eine bestimmte Ansicht über den fraglichen Punkt bilden können?

Darf ich Ihre Frage mit einer andern erwiedern? sagte ich. Wie nennen Sie die Farbe eines Kleides, das in diesem Momente roth und im nächsten, wenn das Licht nur ein ganz klein wenig anders fällt, blau erscheint ?

Couleur changeante, sagte mein Freund. Nun wohl, sagte ich, genau so doppelfarbig erscheint mir die Arbeit des Dichters. Und jenes Bild ist noch viel zu materiell; es schlingen sich die beiden bestimmenden Momente feiner Thätigkeit nicht wie Zettel und Einschlag eines Gewebes durch einander; sie spielen fortwährend in einander, seßen sich eine in die andere um. Eine vollständige Analyse ist ganz unmöglich, denn, nach Ihrer Darstellung, ist diese Doppelthätigkeit in jedem Atom des dichterischen Werkes wirksam. Es scheint Alles gegeben, und wenn man genauer zusieht, ist nichts gegeben; denn nichts kann so verwandt werden, wie es gegeben ist, und es so verwenden, wie es verwandt werden muß, das kann doch schließlich einzig und allein der Dichter.

Also doch Finder und Erfinder in einer Person; sagte mein Freund. Es wird wohl nicht anders sein; sagte ich.

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Die Schöpfungskraft der Phantasie, wie sie in Andersen's größeren Erzählungen aus früherer Zeit waltete, fehlt in dieser neuesten Geschichte, die gar wenig Originalität in der Erfindung zeigt; dagegen hat sie alle die liebgewordenen Eigenthümlichkeiten aufzuweisen, mit denen dieser Dichter zu dem Gemüthe seiner zahlreichen Verehrer spricht. Diese Art von naiver Vortragsweise, die so tief poetische Momente hat, bald kindlich zu plaudern scheint, bald tragisch zu erschüttern versteht, ist ganz spez ciell dem Märchenerzähler Andersen eigen, dessen Gestalten das Kindergemüth anheimeln und in ihrer Deutung dem Manne zu denken geben; wenn man daher bei ihm von Manier reden könnte, so würde es jedenfalls nur im løbenden Sinne sein. Namentlich verdient die sittliche

Bedeutung der vorliegenden Erzählung hervorgehoben zu werden, die auch nicht durch einen Theatergeschichte, wie sie oft und von Andersen Hauch von Frivolität getrübt wird. Es ist eine selbst schon ähnlich erzählt wurden, aber gerade die Art, wie er dieses schlüpfrige Terrain be schreitet, charakterisirt ihn vor vielen Andern.

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