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thiger und entschlossener als sie und Niemand von schärferem und klarerem Blick, und während sie sonst bei einem Widerstand, dem sie nicht grade auf ihrem eigenen Gebiete begegnete, leicht zurückwich, wußte sie in solchen Fällen ihrem Willen in einer Weise Geltung zu verschaffen, vor der dann nicht nur ihr Sohn, sondern auch selbst ihre Schwiegertochter sich respect voll beugten.

So erging es denn auch jetzt. Sie ging mit der Jungfer hinab und drang in Räume ein, die sie seit ihrer Einrichtung vielleicht noch mit keinem Schritt betreten hatte, die nach Frau von Wehlow's Willen überhaupt für alle Welt verschlossen blieben. Nur das Schlafzimmer verschonte sie, da die Bewohnerin desselben noch schlief. Im Uebrigen nahm sie Alles in Augenschein, sah nach jeder Thür und wohin dieselbe führte, durchmaß den Corridor, der die vordern von den hintern Gemächern trennte, schritt in die berufene "zweite Garderobe," die allerdings dem Hause der Wittwe Gotthelf am gradesten gegenüberlag, und ging endlich in die bei den anstoßenden, mit der Garderobe aber durch keine Thür verbundenen kleinen Zimmer, in denen Dorette hauste.

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Es fand sich allerdings nichts Neues und keine weitere Spur. Nur in dem Salon oder Boudoir wie man es heißen will — meinte Dorette, welche fieberhaft umherspähte, an der Perlmuttereinfassung des Schlüssellochs in jenem uns bekannten, schönen Schränkchen eine aus gesprungene Stelle als neu und auffällig bezeichnen zu müssen. Da ist von fremder Hand ein falscher Schlüssel probirt worden!" rief sie triumphirend aus. Den rechten läßt die gnädige Frau nicht von sich und einen solchen Schaden richtet sie unmöglich an. Gestern, da ich abwischte, fehlte das Stück noch nicht. Und das stimmt wieder!" schloß sie mit zornigem Blick und in drohendem Ton. „Aber warte!"

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„Was soll das heißen, Dorette ?" fragte Frau Martha fast barsch und sah die Zofe durchdringend an. Sie hat vorhin droben schon Andeutungen gemacht das duld' ich nicht. Denn entweder sind's Redensarten und ein leerer Verdacht, und dann ist solch ein Gerede eine Nichtswürdigkeit, oder es ist ein wirklicher, ernster Verdacht,

und dann darf man, zumal in Ihrem Falle, nicht damit zurückhalten. Also, heraus damit ohne Widerrede!"

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Dorette wurde von neuem ganz demüthig vor diesem Blick und diesen Worten. „Muß ich's denn sagen, so muß ich's wohl," versezte sie zögernd und ohne die Augen aufzuschlagen; aber Gott soll mich bewahren, Frau Bürgermeisterin, daß ich dabei an den Unglücksschmuck denke! Aber wer hier in den Zimmern gewesen ist, dort hinten, und hier am Schrank darauf möcht' ich schwören!“

"Heraus damit, sage ich," sprach die alte Dame, die Stirne faltend. "Fräulein Bertha." sagte die Zofe zögernd und leise.

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Was soll der nichtsnußige Schnack?" fuhr Frau Martha heftig auf. „Wie kann Sie sich unterstehen, eine junge, bescheidene und achtungswerthe Dame in solcher Weise anzuklagen ?"

Dorette sah flüchtig und scheu auf. „Frau Bürgermeisterin," redete sie dann aber, wenn auch in bescheidenem Tone, „ich sage: Gott soll mich bewahren, daß ich dabei an den Schmuck denke. Das thu' ich nicht. Wenn das Fräulein so schlecht wäre, hätten wir schon früher 'was erleben müssen. Da giebt's Gelegenheit genug die gnädige Frau sind gar nicht mißtrauisch. Aber daß das Fräulein der gnädigen Frau nachspürt und sich gern in ihren Zimmern umsieht, das weiß ich -"

„Das weiß Sie? zu welchem Zweck sollte sie das thun?" fiel Frau Martha ungeduldig und zugleich überrascht ein.

„Das weiß ich nicht, Frau Bürgermeisterin, aber es ist so. Auf den Schrank hier hat sie auch ein Auge -"

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,Aber wozu, in des Himmels Namen, wozu? Eine junge, anständige, bescheidene und -"

Sie hielt inne vor dem eigenthümlich sicheren und unleugbar spöttischen Blick, den Dorette, aufschauend, auf sie richtete.

„Frau Bürgermeisterin," sagte die Zofe dann gedämpft, ich weiß nicht, ob das auch anständig ist, wenn man Be= suche zu einer Zeit annimmt, wo man sich sonst vor keinem Fremden -“ Der scharfe Klang einer Glocke, welche ganz in der Nähe angebracht sein mochte, ließ sie plößlich abbrechen. Die gnädige Frau wachen und wollen aufstehen," sprach sie hastig.

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So gehe Sie und richte Sie's ein, wie | Räume, keine verborgenen Winkel gab. und endlich lenkte auch der Diebstahl selber den Verdacht auf einen oder mehrere solcher zufälligen Besucher. Das Object desselben war im einen, wie im anderen Falle von der Art, daß die Entdeckung der That nothwendig in kürzester Frist folgen mußte. Ein Hausgenosse, der sich trotzdem zu dem Verbrechen hätte hinreißen lassen, wäre nicht sowohl der bekannten Verbrecherverblendung unterlegen, als vielmehr gradezu für wahnsinnig zu erklären gewesen.

es sich paßt," bemerkte Frau Martha sehr ernst. Von dem, was Sie hier aber zulest sagte, läßt Sie gegen meine Schwie gertochter kein Wort laut werden. Davon will ich die Beweise haben, nur ich, versteht Sie wohl? Und zwar heut noch. Denn wenn Sie nicht lügt und sich nicht täuscht, so ist das meine Sache allein. Die faßt man nicht mit Handschuhen an," schloß sie noch strenger, sondern nur mit einer zugleich warmen und festen Hand. — jenachdem. Also Sie versteht mich, Dorette, oder wir sind die längste Zeit im gleichen Hause gewesen."

V.

Häusliche Folgen.

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Fragen blieben trotzdem doch noch genug übrig, auf welche man einstweilen keine Antwort fand. Hatte man es z. B. mit einem Diebe zu thun, oder waren es ihrer zwei gewesen? Gab es zwischen solchen eine Verbindung und Verabredung, oder trafen sie zufällig mit ihrer Unternehmung in die gleiche Nacht? Der Gelddieb hatte sich mit seinem großen Funde nicht begnügt, sondern hübsch, wenn auch vergeblich, weiter gesucht. Der Dieb des Schmucks war, so viel man für jeßt bemerken konnte, mit diesem zufrieden gewesen und hatte sich jedes weiteren Griffs enthalten, obgleich noch Lockendes genug in diesen Zimmern zu finden war. Dieser Umstand sprach allerdings. beinah wieder gegen einen Fremden, sowie man erlaube uns diesen Ausdruck! gegen einen Mann vom Fach. Oder war derselbe bei seinem Geschäfte vielleicht nur gestört und verscheucht worden?

Die Untersuchung der Polizeibehörde führte, wie sich allerdings voraussehen ließ, für jezt zu keinem Resultate, geschweige denn zu einer wirklichen Spur und einem wirklichen Verdacht gegen irgend Jemand im Hause selber. Der geöffnete Laden, die vollkommen kunstmäßig eingedrückte Scheibe -vergittert waren nur die Fenster des eigentlichen Kassenzimmers und die ebenso regelrecht aufgesperrten Pultschlösser | deuteten nicht auf einen Dilettanten, sondern auf einen gelernten und sachverständi- | gen Dieb hin, den man aller Vermuthung nach unter den Hausgenossen nicht zu suchen hatte. Und nicht anders schien es, bei ruhiger Ueberlegung, mit dem Diebstahle des Schmuckes zu stehen. Daß der Thä ter im Hause Bescheid wissen mußte, war allerdings offenbar; verdächtigt wurden durch diesen Umstand aber entweder Viele, oder, wie meistens in solchen Fällen, Niemand. Das Wehlow'sche Haus war ein offenes und der Portier neben der großen Hausthür im Hauptbau im Grunde nur ein Luxusgegenstand. Es gab andere Eingänge, wie wir wissen, und es kamen Leute genug in das alte große Gebäude, die we-Geräusch zu vernehmen gemeint, sei aufgeder ein Geschäft, noch bei der Herrschaft etwas zu thun hatten. Von einer wirklichen Controle war da keine Rede. Aber der langwierige Umbau und die alle Jahre sich erneuernden baulichen Anordnungen und Einrichtungen brachten auch eine Menge von Handwerkern und Arbeitern in das Gebäude, für die es keine verschlossenen

Für eine solche Annahme ergab sich plözlich ein Anhalt, wo man ihn am wenigsten vermuthet hatte. Als die Kunde von dem verschwundenen Schmucke sich im Hause verbreitete, fand sich nämlich Fräulein Bertha bei dem bereits eingetroffenen Polizeibeamten ein und erklärte, daß sie, ohne Schlaf im Bette liegend, bald nach ein Uhr ein Geräusch vernommen habe, als werde drunten im Hause eine Thür geöffnet, und zwar diejenige, welche, für gewöhnlich nicht mehr benutzt, in die enge Seitengasse führte. Dann habe sie auch droben ein näheres

standen, durch den Privatcorridor hinter und zwischen Adinens Gemächern gegangen, habe in die beiden hier ausmündenden Garderobenzimmer geblickt und darauf ihren Weg, die Hintertreppe hinab, bis zu der benannten Thür fortgeseßt. Verdächtiges habe sie indessen nirgends bemerkt, die Thür sei verschlossen gewesen, und so

mit habe sie beruhigt ihren Rückweg ge- | Hause und die Tochter eines braven, aber sucht. An Diebe habe sie allerdings weni- armen, höheren Offiziers, dessen Einkomger gedacht, schloß sie, als an eine plöß- men allerdings für die Erziehung seiner liche Erkrankung. Frau von Wehlow sei beiden Kinder und zur anständigen Weiterihr am vergangenen Abend nicht wohl er- führung des ihm durch seinen Rang aufschienen. gezwungenen Lebens genügte, aber feinerlei Zurücklegen möglich machte. Als seine Gattin und er selbst bald hinter einander starben, blieben die Kinder in der dürftigsten Lage zurück und fanden sich, ohne Verwandte und, wie das wohl zu passiren pflegt, nunmehr auch ohne rechte Freunde, auf ihre eigene Kraft angewiesen. Der Sohn war ein blutjunger Offizier, der fortan Mühe genug hatte, seinen eigenen, auf das äußerste eingeschränkten Bedürfnissen gerecht zu werden, und die Tochter, der troß ihrer guten Bildung doch die einer Gouvernante nothwendigen Kenntnisse fehlten, hatte nur die Wahl zwischen dem Leben einer - Lohnarbeiterin und der ihr neben Frau von Wehlow angebotenen Stellung. Die Entscheidung konnte nicht zweifelhaft sein.

Das war eine Erklärung, die nicht blos für den Beamten mehr als einen wichtigen Fingerzeig enthielt, sondern in Folge deren auch der Frau Martha ein Stein vom Herzen fiel. Denn der von der Kammerjungfer gegen das Fräulein erweckte Verdacht hatte die alte Dame mehr bestürzt und betrübt, als sie es merken ließ. Bertha war ihr nach und nach um so lieber geworden, als sie dieselbe anfangs mit großem Mißtrauen aufgenommen und beobachtet hatte; die Bürgermeisterin war eben eine streng denkende, an der alten Weise hängende Frau. In dieser Strenge und Anhänglichkeit konnte sie gegen das Neuere zuweilen fast ungerecht werden. Bei ihrem klaren Verstande und guten Herzen währte es indessen gewöhnlich nicht lange, bis sie ihr Unrecht einsah und dann auch nach Kräften gut zu machen suchte. Ja, sie that dann auch wohl einmal zu viel.

Sie hatte anfangs nicht begriffen, wie ein Mädchen von Bildung und Selbstgefühl sich zu einer Stellung „herablassen“ konnte, wie diejenige Bertha's neben Adine war, und noch weniger hatte sie verstanden, wie ein „gesundes und vernünftiges" Menschenkind sich ohne Widerstand in all die Thorheiten und Narrheiten" ergeben mochte, welche in ihren Augen ihre Schwiegertochter selber trieb und ihrer Umgebung aufzwang. Wie gesagt, kam ihr aber all mälig die Einsicht, daß es dennoch Verhältnisse giebt, die einen Menschen zuweilen in eine, an und für sich ihm wenig zu sagende Stellung hineintreiben, und daß es in solchem Falle mehr Tüchtigkeit und Tact als Schwäche anzeigt, wenn der Mensch sich einerseits in das Gegebene und Unver meidliche fügt, andererseits aber stets nach Kräften bemüht ist, nicht blos die besten Seiten der herrschenden Zustände aufzu suchen und hervorzuheben, sondern auch allmälig und leise auf eine weitere Aenderung zum Besseren hinzuarbeiten. Das fand bei der Gesellschafterin," denn diesen Titel führte Bertha etwa, statt und ging nach allem Anschein von ihr aus.

Bertha von Meiring war aus gutem

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Sie war nicht ungeeignet für eine solche Stelle, wie für ein solches Leben. Ganz fremd waren ihr die Formen und der Ton desselben, denen sie hier begegnete, am Ende keineswegs: ihre Eltern hatten, wenn auch in unendlich engeren Grenzen, nothgedrungen auch ein Haus gemacht“ und mit den Ihren inmitten der besten Gesellschaft gestanden. Der unermeßliche Luxus, der sie nun umgab, die Raffinerie in Allem und Jedem, was sie sah und -- theilen mußte, blendeten sie augenscheinlich nicht, und Adinens Weise, ihre Kälte, die stete Beobachtung und Bewahrung der Formen, die eingeführte -sagen wir: Etikette, verführ= ten sie weder, noch täuschten sie sie über die wirklichen Zustände. Sie fand bald heraus, daß der Schein auch hier überall um vieles schlimmer war, als die Wirklichkeit. Dem Zwange, den diese und jene Stunde ihr auferlegte, stand zu anderen, ja den meisten Stunden des Tages die unbeschränkteste Freiheit gegenüber. Adine war, wenn man von ihrer einmal angenommenen Weise absah, eine sehr nachsichtige, leicht befriedigte und gütige Gebieterin, die ihrer Umgebung das Leben mit ihr nichts. weniger als schwer machte und von derselben daher auch im allgemeinen wirklich verehrt und mit aller Aufmerksamkeit bedient wurde - Stellen freilich, wie sie

allerdings nicht, aber es war doch eine Wendung zum Guten, meinte die Bürgermeisterin, und ebenso, wie in diesem Falle, würden auch die übrigen Anklagepunkte von dem Mädchen beantwortet und widerlegt werden können.

ihrer Umgebung geboten waren, fanden sich vermuthlich selbst in fürstlichen Familien | felten oder nie. Dazu kam endlich, daß auch Adinens Kälte und Förmlichkeit für die Gesellschafterin allmälig einen anderen Anschein gewann. Das Innere der schönen Frau war bei weitem anders, als ihr Wissen Sie, Kind," sagte Frau MarLeben es verrieth. Sie war und stand in tha, als Bertha und ihre Enkelin nach dem der Gesellschaft so gut, wie in ihrem näch Mittagessen der alten Dame wie gewöhnsten Kreise, sehr vereinsamt da, und das lich die Stunde bei derselben zubrachten, Bedürfniß des Erschließens, das Verlan- | während welcher Adine drunten an solchen gen, sich hinzugeben und zu vertrauen, grauen und unfreundlichen, eine Ausfahrt mochte durch, Gott weiß welche Verhält- verbietenden Tagen, ihre Briefe zu schreis nisse und Erfahrungen weit zurückgedrängt ben pflegte, wissen Sie, Kind, nur daß sein, war aber entschieden noch immer vor Sie die Courage hatten, allein den Weg handen. zu machen, wenn Sie wirklich an Diebe dachten das bewundere ich!"

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Von dieser letteren Entdeckung hielt Frau Martha, als Bertha ihr darüber sprach, allerdings nichts oder nur sehr wenig die Schwiegertochter war und blieb ihr fremd und fern. Aber sie sah aus allem Angeführten, wie wir oben schon sagten, daß die Gesellschafterin sich mit Tact und Würde in den neuen Verhältnissen aufrecht erhielt und trotz aller Bescheidenheit und Vorsicht einen gewissen guten Einfluß auf die schöne Frau erreichte. Es verschwand, wie zufällig, mancher kleine übertriebene Zug, es zeigte sich hin und wieder eine gewisse, befriedigende Milde und Nachgiebigkeit, und es erschien zuweilen eine, wenn auch nur flüchtige Theilnahme für höhere und geistige Interessen - Bertha las sehr gut vor und wußte eine vortreffliche Wahl der Lectüre zu treffen.

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Nicht am wenigsten bestach zuletzt Frau Martha einerseits die Bescheidenheit des Mädchens, welches seine Stellung in der schlichtesten Weise aufzufassen schien sie hatte sich z. B. das ihr gebührende „gnädige Fräulein" von Anfang an auf das bestimmteste verbeten und andererseits | die Entschiedenheit, mit welcher Bertha vor den sagen wir: Auswüchsen dieses häuslichen und gesellschaftlichen Lebens zurückwich. Sie nahm von den Vergnügungen und Zerstreuungen nur den Theil an, den sie nicht zurückweisen konnte, ohne aufzufallen, und war und blieb in der „Gesellschaft" eine Fremde.

Die plötzliche Anklage, auch wenn sie ausdrücklich das Schlimmste zurückwies, durfte die alte Frau daher wohl bestürzen und die neu hervortretende Erklärung sie beglücken: eine vollständige war die lettere

Bertha schüttelte sanft lächelnd den Kopf. ,,Die Courage war schwach genug, Frau Bürgermeisterin," entgegnete sie; allein zuerst dachte ich wirklich an eine Erkrankung der gnädigen Frau, und als dort und bei Doretten Alles still war und ich merkte, woran ich sei, wollte ich nicht mehr umkehren."

„Sie glauben also noch immer, daß Sie wirklich etwas hörten? Die Gassenthür ist doch ein gutes Stück von Ihnen entfernt."

Gewiß, Frau Bürgermeisterin; aber über unsere kleine Hintertreppe schallt es, zumal in der stillen Nacht, schon herauf. Und sehen Sie," fügte das Mädchen hinzu, „grade, daß die Thür so laut geschlofsen wurde, ließ mich zuerst noch weniger an Diebe, vielmehr an eine plötzliche Erkrankung denken. Ich verstand nur ́nicht, daß Dorette mich dann nicht geweckt habe. Aber freilich ist Frau von Wehlow häufig fast allzu rücksichtsvoll.“

Die alte Dame stricte eifrig an ihrem Strumpfe. Das war alles recht schön und gut und befriedigte sie auch noch immer wie gleich anfangs. Eines war aber dennoch dabei, das ihr nicht gefiel, zum mindesten ihr von neuem Bedenken erregte, und das war grade der Muth des Mädchens, der sich nicht mit dem Horchen an den Thüren und dem Gang durch den Corridor begnügt, sondern sie über den offenen Vorplatz durch das alte Haus und hinab zu jener Thür geführt hatte. Es war allzu viel, meinte Frau Martha, eine solche Pflichttreue selbst ging allzu weit, und zum mindesten blieb es räthselhaft, daß Bertha nicht wenigstens Dorette geweckt und zur

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Bertha war schon bei Mariens Worten erröthet und wurde nun von Frau Martha's Frage noch heftiger erregt.

Begleiterin gewählt habe. Hier schloß sich | aufblickend, ein. „Leiden Sie an der schlechein sehr unangenehmer Gedanke an was ten Gewohnheit der Selbstgespräche, oder die Kammerjungfer von dem Fräulein ge- mit wem disputiren Sie sonst, daß es die sagt hatte, war allerdings theils sehr selt da neben Ihnen hinter der Thür hören sam und theils, in Frau Mariha's Augen, kann?" so ungeheuerlich, daß sie gar nicht daran. denken, geschweige denn daran glauben mochte. Allein wir Menschen sind leider so schwach, daß ein Mißtrauen und Verdacht, die in uns gegen irgend Jemand erweckt werden, durchaus thatsächlich widerlegt und gehoben werden müssen, wenn sie troß alles bessern Glaubens und Wissens, troß aller Vernunftgründe nicht dennoch eine gewisse Gewalt über uns behalten sollen.

Daß hier geholfen werden mußte, verstand sich schon und vor allem um des Mädchens selber willen von selbst. Jener Vorwurf des Spionirens und mehr noch jener andere furchtbarere durften auf Bertha nicht haften bleiben. Die alte Dame hatte allerdings von Doretten Beweise verlangt und dieselben abwarten wollen, bevor sie weitere Schritte versuchte. Allein jezt, wo sie das Mädchen neben sich hatte und die Freude über die erhaltene Aufkläs rung, wie wir eben hörten, durch neue Bedenken getrübt fühlte, merkte sie wohl, daß sie sich zu viel Geduld und Kälte zugetraut hatte: sie hatte Bertha eben zu lieb gewonnen, als daß sie mit einem solchen Zweifel im Herzen dieselbe hätte neben sich sehen

können.

Als sie so dachte und überlegte, sagte Marie, welche bisher still mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen war, plöglich munter aufsehend:

„Es ist doch recht gut, daß ich all diese schrecklichen Geschichten erst am hellen Tage erfahren und heute Nacht, als ich deine Thür gehen hörte, an nichts Aehnliches gedacht habe. Ich hätte mich schier todt geängstigt."

„Also du hast auch etwas gehört?" fragte Frau Martha. „Das ist eine unruhige Nacht gewesen."

Freilich, freilich, Großmama! Und es ist mir wirklich unbegreiflich, wovon ich aufgewacht bin. An dem Fehler leide ich sonst nicht. Wenn die Uhr zehn schlägt und ich meinen Kopf aufs Kissen lege, kann passiren, was da will, und mag Bertha neben an reden, so viel sie Luft hat

„Ei ei, liebe Bertha, reden?" fiel die alte Dame, überrascht und beinah finster

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„O, Marie treibt Thorheiten und neckt mich eben," entgegnete sie, sich zusammennehmend und mit einem vorwurfsvollen Blick auf die — Freundin, dürfen wir wohl sagen, denn das waren die jungen Mädchen einander längst geworden. „Öder vielmehr, sie thut mir weh," fügte sie hinzu.

„Aber Bertha!" rief nun auch die Andere ganz bestürzt und in klagendem Tone aus.

„Laß es gut sein, Herz; du meinst es nicht böse, aber du machst es so. Denn du weißt von mir selbst, wie ernstlich mich erschreckt und erzürnt hat, worauf du anspielst. Zu Anfang December," fuhr sie, gegen die fast streng blickende alte Dame gewendet, fort, „bekam ich einen Stadtbrief von einem Berwandten meines seligen Vaters, der hier in der Stadt lebt und mich zu sprechen verlangte. Seine Zeit sei sehr beschränkt, schrieb er, und er könne nicht wohl anders als Abends nach sieben Uhr kommen. Das schlug ich ihm ab, zumal ich zu dieser Jahreszeit grade am wenigsten über diese Stunde disponiren könne, und nannte ihm dafür die Zeit zwischen eins und zwei Nachmittags. Troßdem trat er einige Tage später Abends bei mir ein, als wir uns schon zurückgezogen hatten."

Frau Martha sagte nichts, aber sie schüttelte sehr ernsthaft den Kopf.

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Als er einmal da war und ich von seinen Umständen erfuhr, hatt' ich nicht das Herz, ihn gleich fortzuweisen ich sah und hörte nur, daß er ein unglücklicher alter Mann war, dem es niemals gut erging, der sich mühsam mit einem kleinen, ihm bewilligten Posten in der Gerichtskanzlei durchzuhelfen hatte und durch Alles und Alles nach und nach nicht sowohl zum Menschenfeinde, aber menschenschen gewor= den war. Es kam dazu, daß er eine große Freude an mir hatte mein Vater war sein ältester und bester Jugendfreund gewesen, ein paar Jahre hatten sie auch zusammen gedient, bis mein Onkel - er

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