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Bekanntlich war es die Aufgabe der zweiten deutschen Nordpolarexpedition, wenn möglich bis zum Pol zu Schiffe oder zu Lande, vorzudringen. Die Germania gelangte nicht viel weiter als der englische Kapitän Clavering mit dem Schiffe Griper im Jahre 1823. Schwere Eisbarrieren hinderten jedes weitere Vordringen. Kapitän Koldewey unternahm daher im Früh jahre 1869 eine Schlittenreise auf dem Landeise nach Norden. Die Erlebnisse auf derselben bilden den Inhalt der nachstehenden interessanten Skizze, welche wir Herrn Koldewey selbst, dem Führer der Expedis tion, verdanken:

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Die Sonne, deren belebenden Glanz wir drei volle Monate entbehrt hatten, war uns endlich am dritten Februar wieder er schienen, die Tage wurden rasch länger und länger, eine größere Thätigkeit entwickelte sich am Bord der Germania" und die Lust zu reisen und wieder Neues zu entdecken, äußerte sich in Excursionen auf der Insel und dem naheliegenden Festlande. Unser Schiff, das wußten wir, konnte vor Juli nicht aus den Banden des engum schließenden Eises befreit werden, und so lange kein Thauwetter eintrat, mußten alle Entdeckungen und Forschungen mit Schlitten gemacht werden.

Unsere Hauptaufgabe bestand bekanntlich darin, so weit als möglich an der Küste von Grönland aufwärts nach Norden vorzudringen. Eine große Wahrscheinlichkeit, diese Aufgabe mit Schiff im kommenden Sommer noch erheblich zu fördern, war nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres nicht vorhanden; die ganze Formation des Landes nördlich von 75 Grad mit den vorliegenden Inseln und die Thatsache der festen und troß der Herbststürme unab änderlich gebliebenen Eisschranke* nördlich der Shannoninsel sprach dagegen. Es mußte deshalb unsere erste Schlittenreise längs der Küste nach Norden gerich tet, auch die meisten verfügbaren Mittel und Kräfte für dieselbe verwandt werden. Bei der Wichtigkeit der Aufgabe war es geboten, daß ich das Commando über alles Technische und was die Mannschaft betraf, selbst übernahm, die Aufnahme des Landes und alle wissenschaftlichen Arbeiten mit

Clavering hat hier im Jahre 1823 ebenfalls und zwar schon auf 75 Grad 8 Minuten nördl. Br. festes, dicht an das Landeis gepreßtes Eis angetroffen und konnte Mitte August weiter nach Norden nur Eis erblicken. Wir trafen in beiden Jahren 1869 und 1870 im August auf 752

Grad Breite dieselbe feste Schranke und ist das

Eis zwischen der Shannoninsel und dem Festlande ebenfalls nicht weggegangen.

Ausnahme der absoluten Ortsbestimmungen nebst einer berathenden Stimme über den einzuschlagenden Weg Herrn OberLieutenant Payer übertragend.

einzigen Lurusartikel bildeten Tabak und unsere Pfeifen, was aber kaum als Luxus hingestellt werden kann, da für Seeleute der Tabak wohl ebenso unentbehrlich ist wie irgend ein Nahrungsmittel, und vorzüglich bei einer Schlittenreise eine Pfeife Tabak im Zelte ein solcher Göttergenuß ist, daß alle Beschwerden und Mühseligkeiten dadurch vollständig vergessen und der etwa verloren gegangene Humor sofort wieder angefacht wird.

Eifrig wurden im Februar die Vorbereitungen für die Reise betrieben. Das Studium der arktischen Literatur der Engländer und unsere eigenen Erfahrungen während der Herbstschlittenreisen seßten uns in den Stand, unsere Einrichtungen so zu treffen, daß wir Aussicht hatten, die Gefahren, Hindernisse und Beschwerden einer Am 8. März Morgens waren die Schlitsolchen Reise mit Erfolg bekämpfen zu ten gepackt und wir verließen bei klarem können. Unser Schlitten, nach dem Muster schönen Wetter und prächtigem Sonnender von May Clintock angewandten ver- schein das Schiff. Die Temperatur war fertigt, war gut und dauerhaft gebaut, Zelt, 24 Grad R. Wenn völlige Windstille Decken, Geräthschaften größtentheils neu herrscht, läßt es sich dabei leidlich gut gemacht und so einfach wie möglich einge- marschiren, ohne besonders durch Frost richtet; ebenso war eine große Sorgfalt belästigt zu werden. Wir traten die Reise auf Kopf- und Fußbekleidung verwandt und mit zwei Schlitten an, einem größeren und in Hinsicht des Proviantes die beste Aus- einem kleineren, welcher lettere nur dazu wahl getroffen worden, um bei möglichst dienen sollte, den größeren für die ersten acht geringem Gewichte den größtmöglichsten Tage mit Proviant zu versorgen, und etwa Nahrungsgehalt fortzuschaffen. fünfzehn deutsche Meilen vom Schiff für unsere Rückfahrt ein Depot zu errichten, um dann an Bord zurückzukehren. '

Bei der Herstellung des Zeltes brachten wir die von Kane gebrauchte Form in Anwendung mit einigen Verbesserungen, wie sie der praktische Sinn meines ersten Offiziers, Herrn Sengstacke, an die Hand gab, Verbesserungen, die wesentlich zur stärkeren Befestigung und rascheren Aufschlagung des Zeltes beitrugen.

Die Länge des Zeltes, für acht Mann bestimmt, betrug elf Fuß, die Breite sechs Fuß und die Höhe bis zum Giebel fünf Fuß. Die Decken bestanden aus einer großen durch die ganze Länge des Zeltes reichen den Decke oder vielmehr einem Sack, da der untere Theil selbst unser Lager bildete, und verschiedenen kleineren Säcken von wollenem Pferdedeckenzeuge. Als Fußbekleidung hatten wir außer dicken wollenen Strümpfen Stiefel von Segeltuch mit Coating gefüt tert, Schuhe von Rennthier- und Bären fellen. Leztere haben sich am praktischsten erwiesen, da sie nicht durch den Frost hart und steif werden, was bei den Segel tuchstiefeln leicht vorkommt, wenn sie feucht werden. Unser Koch- und Eßgeschirr war auf das einfachste Maß zurückgeführt: ein Kochtopf, eine Spirituslampe, für Jeden ein blecherner Napf bildete die ganze Ausrüstung. Reservekleidung wurde außer Strümpfen und allenfalls einer wollenen Unterjacke nicht weiter mitgenommen. Den

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Wir nahmen unsern Weg an der Ostseite der Sabine-Insel hinauf, weil dort die Bahn bedeutend besser war, wie in der Straße zwischen der Insel und dem Festlande, wo sich viele bedeutend hohe Schneewehen, die schwer zu passiren waren, vorfanden. Anfangs ging die Reise über das junge einjährige Eis leicht und gut von Statten und schmeichelten wir uns bei dem schönen Wetter mit der Hoffnung, noch an diesem Tage drei deutsche Meilen zurücklegen zu können; doch bald sollten wir die Schwierigkeiten der Reise kennen lernen. Wir kamen gegen Mittag an das alte vorigjährige Eis, welches natürlich weit rauher und unebener und mit meh rere Fuß tiefem Schnee bedeckt war. Der Schnee war zwar an der Oberfläche durch die rasenden Winterstürme und die Kälte hart und fest geworden, doch durch den Wind so ausgefurcht und uneben gemacht, daß die Schlitten nur schwer darüber fortzubringen waren. Die Leute waren bald erschöpft. Augenscheinlich waren für so rauhe Wege unsere Schlitten noch etwas zu schwer. Wir sahen uns genöthigt, zwei Säcke mit Proviant am Lande zu deponiren, erst den einen Schlitten mit alle Mann fortzubringen und dann den andern.

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Um sieben Uhr Abends hatten wir beide Schlitten wieder zusammen. Wir befanden uns ungefähr zwei deutsche Meilen nördlich vom Schiffe und schlugen hier etwa eine halbe Seemeile vom Lande unsere Zelte auf. Ein schneidender Nordwind hatte sich auf gemacht und bei einer Kälte von 25 Grad Reaumur mußten wir uns beeilen schnell in unsere Zelte zu kommen, um nicht einige Glieder zu erfrieren. Einmal eng zusammengepackt in unseren Pelzen und Decken, einen heißen Napf voll Erbsen und Speck im Magen, fühlten wir uns indeß bald bei einer Pfeife Taback ganz behag lich warm und es gelang uns auch, die Temperatur im Zelte bis zu 10 Grad Reaumur zu erhöhen. Wir froren durch aus nicht, doch glaube ich, daß in dieser ersten Nacht, troß der Müdigkeit nach dem anstrengenden Tagesmarsche, im Zelte wohl kaum irgend Einer fest geschlafen hat. Das enge und sehr gedrängte Aneinanderliegen, wobei es natürlicherweise nicht vermieden werden konnte, daß dieser oder jener Körpertheil vom Nachbar stark und dauernd gedrückt wurde, der heftige Wind draußen, welcher am Zelte rüttelte und schüttelte und allen am Dache hängenden Reif von den condensirten Dämpfen auf uns sere Decken und unser Gesicht herabregnen ließ; das ganze eigenthümliche Gefühl, in einer Schneewüste, umtost vom Schneesturm bei einer Kälte von 26 Grad Reaumur, in einem schwachen und luftigen Zelte zu liegen, eine Reise vor uns, reich an Beschwerden, Mühseligkeiten und Gefahren: alles dieses zusammengenom men bewirkte, daß die Meisten der Gesell schaft nicht ruhig schliefen. Wir hatten eben noch viel zu viel vom civilisirten Menschen an uns, waren noch nicht völlig abgestumpft gegen die tausend Unbequemlich keiten und Entbehrungen, noch nicht unempfindlich gegen ein hartes und eng begrenztes Lager und nicht völlig gleichgültig in Bezug auf die Art und Weise und die Qualität des Essens.

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Zum Eskimo waren wir noch nicht geworden und diese Umwandelung muß erst stattfinden, ehe man mit Erfolg eine solche Schlittenreise ausführen kann.

Am Morgen ließ der Wind nach; es wurde Kaffee gekocht und gefrorener Schin fen und Brot gefrühstückt, dann wurden die Zelte abgebrochen und aufgepackt, Jeder

nahm seinen Zuggurt über die Schultern und vorwärts ging es direct nach Norden. Nordwärts der Insel fanden wir eine sehr schlechte Bahn, den Schnee rauh und uneben und an verschiedenen Stellen lose, so daß das Schneefahrzeug nur mit größter Anstrengung vorwärts gebracht werden konnte. Der kleine Schlitten, der etwas anders gebaut war, erwies sich als den Zwecken nicht ganz entsprechend und konnte es mit dem größeren nicht aufnehmen. Ich sah bald ein, daß wir auf bisherige Weise keine Meile täglich zurücklegen würden, und nach Berathschlagung mit Herrn Sengstacke und Oberlieutenant Payer, welchem Lezteren die topographische Aufnahme des Landes übertragen worden war, entschloß ich mich, mit acht Mann statt mit sechs die Reise nach Norden zu machen, auf den großen Schlitten noch so viel Proviant zu packen, wie wir nur irgend fortschleppen konnten, und den kleinen wieder an Bord zurückzuschicken. • Das Zelt, Anfangs nur für sechs Mann bestimmt, wurde an Ort und Stelle mit Hülfe des zweiten Zeltes vergrößert. Die Leute löseten sich alle zehn Minuten beim Nähen ab, um nicht die Finger zu erfrieren, Andere liefen umher, sich warm zu halten, oder kochten. Nachmittags war Alles beendet, der kleine Schlitten wurde nach der Insel zurückgeführt und Herr Sengstacke kehrte mit drei Mann an Bord zurück, allen Proviant nebst Schlitten unter dem Tafelberge, einem steilen, tafelförmigen Berge an der Nordostseite der Sabine-Insel, zurücklassend. Da es zu spät war, um aufzubrechen, so wickelten wir uns in unsere Decken, um eine tüchtige Nachtruhe zu halten. Wir schliefen diesmal schon etwas besser, merkten aber doch, daß sich noch manche Vervollkommnungen einführen ließen und wir unsere Einrichtungen noch mehr vereinfachen konnten und mußten, wenn wir rascher und besser vorwärts kommen wollten. Als daher am anderen Morgen die Temperatur auf

-27,5 Grad Reaumur gefallen war und der Schlitten in Folge dessen über den sich wie Sand anfühlenden Schnee nur mit großer Anstrengung fortzubringen war, auch ein schneidender Wind aus Norden blies, entschloß ich mich, an Bord zurückzukehren, um erst die noch nöthigen Verbesserungen vorzunehmen und dann mit erneuerter Kraft, bei etwas günstigerer Temperatur,

mit mehr Aussicht auf Erfolg unsere Reise | berg erreicht, woselbst wir unseren Proviant wieder anzutreten. noch ziemlich unversehrt vorfanden. Nur über den einen Sack hatten sich Füchse hergemacht und die Schinken benagt, ohne jedoch sonderlichen Schaden anzurichten. Bären waren nicht dort gewesen. In der Nähe des Schiffes hatten sie sich in letter Zeit häufiger gezeigt.

Wir ließen die Proviantsäcke und den großen Schlitten beim Tafelberge zurück und luden Zelte und Decken und alle Geräthschaften, die geändert werden sollten, auf den kleinen Schlitten. Der Wind wurde stark und schneidend, wir seßten ein Segel auf und kamen rasch weiter, auch durften wir wegen der, grimmigen Kälte in dem heftigen Winde nicht stehen bleiben ohne die größte Gefahr, sofort Glieder zu erfrieren. Keiner kam ganz ohne Frostbeulen weg. Um zwei Uhr Nachmittags (10. März) tehrten wir an Bord zurück.

In unserem Hafen herrschte noch immer Windstille, während draußen bereits den ganzen Vormittag über ein frischer Nord geweht hatte; erst Abends frischte der Wind | auf und waren die Stöße Nachts bisweilen stürmisch. Draußen wehte wahrscheinlich | vollkommener Sturm, so daß wir uns be glückwünschten, wieder an Bord zurück zu sein, da wir doch nur unter den größten Entbehrungen im Zelte hätten liegen müs- | sen und nicht vorwärts gekommen wären. Wir sollten noch mehr Ursache finden, uns über unsere zeitgemäße Rückkehr zu freuen, indem bis zum 21. März das Better mit nur wenigen Unterbrechun gen durchweg unruhig war, ja bisweilen für mehrere Stunden ein orkanartiger Sturm über uns dahinbrauste. Endlich am 21. März schienen die Elemente ausgetobt zu haben, der Himmel wurde aber mals rein und klar, die Sonne stieg rasch höher und höher, die Tage wurden mit Macht länger und auch die Temperatur war etwas gestiegen. Um Mittag zeigten die Thermometer durchschnittlich nur noch eine Temperatur von 14 Grad bis 18 Grad Reaumur, bei weitem die beste für arktische Schlittenreisen.

Wir marschirten rüftig weiter und kamen noch eine gute Strecke nordwärts der Insel, bis der Abend hereindunkelte. Die Temperatur war mittlerweile bis auf - 26 Grad gesunken, einige Frostbeulen waren troß der Windstille vorgekommen und Herr Sengstacke hatte sich leider sämmtliche Zehen. des rechten Fußes so vollständig erfroren, daß alle Versuche, die Blutcirculation in denselben wieder herzustellen, fehlschlugen. Am nächsten Morgen war der Fuß voller Blasen und es war dringend nöthig, Herrn Sengstacke sobald als möglich unter ärztliche Behandlung an Bord zu bringen. Es blieb demnach nichts Anderes übrig, als die Leute mit dem kleinen Schlitten an Bord zurückzuschicken. So mißlang dieser Theil des Unternehmens gänzlich und wir konnten jezt nur höchstens vierzig Tage, statt der veranschlagten sechzig Tage für die Reise verwenden, wodurch mindestens ein voller Breitengrad verloren ging; indeß hofften wir immer noch mindestens den 78. Breitenparallel zu erreichen, indem wir vorausseßten, daß die rasenden Stürme jest wohl bei dem bevorstehenden Sommer ausgetobt hätten. Hierin sollten wir aber eine vollständige Täuschung erfahren, und wurden unter den zweiundzwanzig Tagen, die unsere Reise nach dem 77. Breitengrade dauerte, volle acht Sturmtage verzeichnet. Kam es doch vor, daß wir sechzig Stunden und mehr ununterbrochen im Zelte ausharren mußten, ohne für länger als einige Augenblicke das Zelt verlassen zu können. Nur Jest wurden die Schlitten wieder gepackt. die dringendste Noth konnte Diesen oder Alles war nun aufs beste eingerichtet und Jenen der Gesellschaft bewegen, dem Schneeauch ein ganz neuer Schlitten nach dem sturm im Leh unter dem Schuße des Zeltes Muster des großen vom Zimmermann ge- für einige Augenblicke Troß zu bieten. Der baut worden. Nach einem tüchtigen Ab- Schneestaub drang sofort durch alle Fäden schiedstrunke ging es am 24. März mit der Kleidung bis auf die Haut und vollfrischem Muthe unter Hurrah und wehen- ständig gepudert, schüttelnd von Frost, kroch der Flagge wiederum Norden auf. Die der Unglückselige wieder herein, über die Temperatur war beim Abmarsche 20 mit Schnee belastete Pelzdecke und die Grad Reaumur, das Wetter schön und Leiber seiner Gefährten hinwegstolpernd, heiter bei völliger Windstille. Schon um deren grollende Bemerkungen über die unzwei Uhr Nachmittags wurde der Tafel-willkommene Störung er zum Ueberfluß

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