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min und ließ sich niedergleiten. „Es ist schon spät und wenn wir noch die Probe machen wollen, wird es Zeit. Seßen Sie sich hier, mir gegenüber und geben Sie Acht und seien Sie hübsch artig!"

Und als sie so gesprochen hatte, nahm sie die Handschuh' vom Tisch und begann sie über die schmalen Hände zu streifen, gleichsam als wolle sie sich auch durch eine solche, leichte und gleichgültige Beschäftigung noch mehr seiner verlangten Artig keit" versichern und ihn zur ruhigen Haltung mahnen. Dann blickte sie plöglich mit dem früheren festen Blick zu ihm hinüber und sagte gedämpft:

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„Haben Sie es schon gehört, daß er heute Abend abgereist ist?"

* Wir haben schon gesagt, daß Herr von Landenberg zum mindesten bis auf einen gewissen Grad die verlorene Fassung wie dergefunden hatte, und grade in den letzten Momenten, wo ihr Wesen gewisser maßen mehr und mehr zur Alltäglichkeit zurückkehrte, war dies noch entschiedener und sichtbarer der Fall gewesen: derjenige, welcher ihr dort gegenübersaß, war nicht mehr voll der Alles besiegenden und übertäubenden Leidenschaft, welche selbst sie in ihre Wirbel fortzureißen drohte, sondern er schien mit jeder verrinnenden Minute mehr wieder zu dem stolzen und ernsten, beinah finsteren Mann zu werden, der zuerst bei ihr eingetreten war, ein Mann, der trotz seines Stolzes und seiner Festigkeit nicht leicht am Leben trug und sich dessen vollkommen und bitter bewußt war. Zu verwundern war bei einem solchen plöß- | lichen Wechsel der Stimmung nichts: der Rausch, der ihn erfaßt und fortgerissen hatte, war von einer Gewalt und zugleich von einer Unnatürlichkeit, daß die Ernüichterung und Abspannung ihm unmittelbar folgen mußten, sobald die Reizung nachließ. Und wie unwiderstehlich auch die Reize der schönen Frau sein mochten; wie dämo nisch der Zauber wirkte, der von ihr über ihn ausging; wie sinnverwirrend und betäubend die ganze Situation gewesen war

es war in dieser Situation dennoch ein Etwas, das selbst durch den wildesten Rausch nicht verdeckt noch übertäubt werden konnte, sondern selbst dem Unterliegenden noch zur Qual werden, ihn wie ein finsterer Vorwurf gemahnen mußte ohne Aufhören. Daß die Mittheilung, die sie ihm in

ihren leßten Worten machte, von ernster Bedeutung für ihn, wo nicht für Beide sein mußte, ging schon aus dem Ton hervor, in dem sie erfolgte, und noch besser erfannte man es an der Wirkung, welche sie auf ihn ausübte. Seine Fassung und Haltung ging, wenn auch nur für eine Secunde, von neuem vollständig verloren: er zudte zusammen und fuhr auf, als habe ihn ein plößlicher Donnerschlag getroffen, und in seinen Augen zeigte sich jene tiefe, ungezügelte Gluth, welche vorhin die höchste Leidenschaft in ihnen angefacht hatte. Es währte freilich, wie gesagt, nur einen einzigen Moment es war gewissermaßen bloß das eine Aufzucken, der eine Blick — dann war auch bereits die Reaction da. So hoch er aufgezuckt war, so tief sank er in den Sessel zurück, und der jähen, furchtbaren Anspannung jedes Zuges in seinem edelstolzen Gesicht folgte ein düsteres Besinnen und Träumen, das ihn der Gegenwart vollständig zu entrücken schien.

Sie beobachtete dies alles mit einer Aufmerksamkeit, die mit jeder weiteren Secunde des Schweigens eine starrere und endlich sogar fast finstere wurde. Ja es zeigte sich ein Zug um ihre Augen und ein Zucken um die feinen Lippen, als würden die letteren sich demnächst zu einem bittern, vielleicht harten Wort öffnen. Dem kam er indessen zuvor, denn indem er nun plöglich auf und mit langem, tiefem, nachdenklichem und zugleich fragendem Blick zu ihr hinübersah, sagte er gleichfalls gedämpft:

„Das ist eine Nachricht, Adine, von der ich noch nicht fasse, ob sie mich mehr beglücken oder betrüben soll. Die Gedanken, die sich daran knüpfen, oder vielmehr die Folgerungen

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Scheinen Sie in gleicher Weise zu erschrecken, Roderich ?" unterbrach sie ihn mit einer Gereiztheit, die der spöttische Ton und Blick nicht zu verdecken vermochte. „Geben Sie sich keine Mühe, Roderich! Ich hatte wohl ein Recht, an dem Erfolg der Probe ein wenig zu zweifeln."

,,Wie unrecht Sie mir thun!" sprach er vorwurfsvoll. ,Wie schwer man die Erfüllung seiner Wünsche und sein Glück häufig der Welt und den Verhältnissen abzuringen hat, weiß ich besser als irgend ein. Anderer. Mag ich Ihnen vorhin erschienen sein wie ich will, so weit verblendet mich weder der Rausch noch der Hochmuth, daß ich ohne

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weiteres vorausseßen oder gar verlangen cher Qual, daß du heut Mittag nicht könnte, jene Gedanken oder Folgerungen famest dein Anblick hätte mich gekräfdürften auf Ihrer Seite nur beglückende, tigt! Und darum harrte ich dein so traunur zweifellose sein - von mir ist dabei rig und träumte so schwer. Konntest und gar keine Rede!" wolltest du mir das Opfer lohnen?“

„So kalt rechne ich nicht," versette sie, die schlanken Arme über der Brust faltend und mit dunklem Blick. Für mich gab es nur einen Gedanken und nur eine Folgerung; für Sie

„Vergiß, Adine, wie ich vergesse! Denken wir nur an uns. Und nun komm'," brach er ab. „Die Uhr geht stark auf Zehn. Man wird sich über dein Ausbleiben wundern, und ich muß zuvor noch einmal nach Hause."

Wenn diese Worte auch für den Leser unverständlich sind, für Landenberg waren sie es augenscheinlich nicht. In seinen ausdrucksvollen Zügen spiegelte sich ihr Eindruck wieder, und es war ein sehr tiefer Er stand auf und kniete wieder auf der und wechselvoller: Theilnahme und ZürFußbank nieder, sein Arm legte sich um sie, nen, Schwermuth und Zärtlichkeit folgten er faßte ihre Hände und zog sie, troß ihres und drängten einander, und voll der lezAbwehrens gegen sich. Und dazu sprach er teren zog er die schöne Frau nach ihrem mit hörbarer Bewegtheit und mit einem leßten Wort noch fester an sich, tüßte ihre sein ganzes Wesen beherrschenden und durch- | Hände und sagte, sich erhebend: dringenden Ausdruck von tiefer Jnnigkeit: „Adine, Zauberin, verblende und verhärte dich nicht selber wider uns! Noch einmal: ich bin weder so berauscht noch so eingebildet, daß ich für dich im Voraus hätte entscheiden können. Nach mir frage nicht. Du kennst mich weder als kalt noch als undankbar. Daß ich anders rechne als vordem, versteht sich von selbst. Mein Schiff treibt mich nicht mehr in voller Freiheit lustig auf und ab," fügte er mit einem ernsten Lächeln hinzu. Nun heißt's zuerst Anker heben und Ketten lösen. Und darum sprech' ich nun aus, was mich zuerst bei deinen Worten verstummen ließ: hätt' ich es nur früher gewußt, daß ich blos des Glückes und deiner Liebe hätte zu gedenken brauchen! Nun heißt es noch sorgen, lü gen und heucheln!"

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Sie hatte sich längst ihm zugewendet, ihre Hände ihm gelassen, sich weich an ihn geschmiegt, und man sah's wohl, daß seine innige und zugleich offene Weise einen um vieles tieferen Eindruck auf sie machte, sie mehr seiner Herrschaft unterwarf, als es vorhin selbst der Sturm seiner Leidenschaft vermocht hatte. Denn ihr ganzes Wesen athmete Hingebung und dieselbe klang auch aus ihrer Stimme, als sie entgegnete:

„Ach Roderich, hab' ich es besser? Du weißt es nicht, was mir diese Reise, diese Freiheit für Opfer kostet! Du hast es viel viel besser als ich! Du hast in dir keine Liebe zu besiegen, aber ich nuß kämpfen mit Haß und Verachtung und mich dennoch dennoch beugen, dennoch opfern! Glaube mir, es ist so schwer für mich, daß ich es kaum vermochte, die Freiheit anzus nehmen. Und darum wurde es mir zu sol

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Geht Blanca nicht?" fragte sie, indem sie sich gleichfalls erhob.

"Doch, ich bat fie, nicht auf mich zu warten," entgegnete er mit einem flüchtigen Falten der Stirn. „Du wirst sie hoffentlich schon dort finden."

Sie schritt fort zu einem Schränkchen, von kostbarer, mit Gold und Perlmutter ausgelegter Arbeit. Das schloß sie auf und nahm aus einem der Schubfächer ein zusammengewickeltes Papier, das sie, zurückkehrend, nach einem langen, tiefen Blick in Landenberg's Hand legte. Und plöglich beide Arme um seinen Nacken schlingend, sagte sie voll Leidenschaft:

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Verlasse mich nicht, Roderich, verlasse mich nicht! Ich lebe nur noch durch dich!" Er küßte ihre Augen und Hände. Und dann sprach er, sie sanft von sich schiebend: „Auf Wiedersehen, Adine!" und verließ das Gemach.

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Eine Viertelstunde später, als Adinens Wagen eben vom Hofe gerollt war und die Jungfer in das Gemach der schönen Frau zurückkehrte, um die Lampen zu löschen und wenn es dergleichen gab zuräumen, wurde die Thür, welche der Lage des Zimmers nach auf den Flur oder in ein Vorzimmer führen mußte, vorsichtig geöffnet und zwischen den Vorhängen der Portiere erschien die Gestalt der jungen Dame, die wir vorhin unter dem Namen Bertha kennen gelernt haben. Auch sie schien

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Die Zofe machte eine, ein wenig wegwerfende Miene. „Wie so ?" versette sie. „Sie wissen's ja so gut wie ich, Fräulein, daß unsere Dame niemals krank oder auch

noch, sie sollte sich mehr schonen. Diese unruhigen Nächte müssen ihr schaden. Das geht nun noch wochenlang so fort!"

„Ei, sie holt es ja am Tage nach. Sie kennen das noch nicht so, Fräulein jest wird es bei uns erst zu Mittag Morgen. Heut hat sie den Wagen übrigens schon zu Mitternacht befohlen."

Als die Beiden sich im Vorzimmer trennten, sah die Zofe der in der Thür verschwindenden Dame eine Secunde lang mit einem aus Bosheit und Pfiffigkeit gemischten Ausdruck nach. „Die möchte auch gern mehr wissen, als sie sieht und hört!" murmelte sie dabei vor sich hin. Aber ich möchte nur wissen, ob sie am Ende auch für den Hauptmann Herr, Herr, das wäre ein Spaß!"

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(Fortseßung folgt.)

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nur leidend ist. Sie war nur ein wenig Das Märchen vom deutschen Michel.

ungeduldig über den Herrn ich kann's ihr nicht verdenken. Der Herr kommt mit seinen Gesprächen auch regelmäßig, wenn es am ungeschicktesten ist, und viel Unterhaltliches wird wohl nicht dabei sein; davon weiß der Herr nichts. Da lob' ich mir den Herrn Hauptmann," segte sie hinzu, indem sie die Carcelllampe über dem Tisch im Hintergrunde ausdrehte. „Das ist ein stolzer und ernster Herr und lachen sah ich ihn, glaub' ich, noch nie; aber schon, daß er da ist, und sein ganzes Wesen macht's Einem behaglich."

„War Herr von Landenberg noch hier?" fragte Bertha mit anscheinender Verwunderung.

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Von

Nikolaus Hocker.

Nachdrud wird gerichtlich verfolgt.

Bundesgeses Nr. 19, v. 11. Juni 1870.

Vor einigen Jahren verkaufte man zu Paris auf allen Boulevards ein Puppenpaar, das an einem Kautschukfaden in tanzende Bewegung gesezt und den Vorübergehenden folgendermaßen empfohlen wurde:

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Le Michel allemand jouant avec Monsieur de Bismarck." Die Schlafmüze kennzeichnete den deutschen Michel, während der Rock und die weiße Halsbinde den preußischen Minister andeutete. Die Fran„Gewiß, Fräulein," lautete die gleich- zosen freuten sich des kindischen Spielwerks gültige Antwort. Das ist ja immer so, und kauften nach Herzenslust. Waren sie wenn er Mittags fehlte. Und wie ich sage: doch von jeher gewohnt, im deutschen Volke schon wenn er ins Zimmer tritt, sieht's eine träge, schläfrige Masse zu sehen, die darin anders aus. Er blieb nur eine Vier- ungeheuer viel Bier trinkt, viel Sauerkraut telstunde, aber unsere Dame war wieder und Schinken consumirt und stark raucht. ganz freundlich geworden. Aber ich muß Leipzig und Waterloo hatten unsere Nachnun auch die Lichter ausblasen - darf ich barn durchaus vergessen, von andern glorbitten, Fräulein?" schloß sie mit einem reichen Momenten unserer Geschichte ganz flüchtigen Blick in das nachdenkliche Ge- abgesehen. Grade in Paris ist von jeher sicht Bertha's. „Es ist eigentlich schade, der Spott über den deutschen Michel heidaß Sie die Gnädige nicht noch gesehen misch gewesen, wie die Lectüre der dort erhaben," sagte sie im Hinausgehen. Sie scheinenden Zeitungen, besonders der Wißwar doch gradezu wunderschön!" blätter in den letten fünfzig Jahren be„Das ist sie immer, Dorette! Und den- | wiesen hat.

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Man hat den deutschen Michel für eine historische Person gehalten, obgleich mit Unrecht. Im wildromantischen Strombergerthale, das zum Hunsrück gehört und vom Goldenbache durchrauscht wird, liegt nämlich das Städtchen Stromberg, überragt von den Trümmern alter Burgen. Hier wurde Michel Oberntraut, der Sohn des pfälzischen Amtmanns, geboren, der während des dreißigjährigen Krieges als pfälzischer Reiteroberst manches kühne Stückchen ausführte, und bei den Dänen, unter deren Fahnen er früher diente, als der deutsche Michel" bekannt war. Diesen hat man für den historischen Hinter grund jenes Michel's gehalten, mit dem die Spottluft der Ausländer die deutsche Nation zu symbolisiren für gut fand. Es ist aber gezeigt worden, daß schon Sebastian Frant, der um 1500 geboren wurde, den Aus druck deutscher Michel" kennt. J. Grimm hat in seinem meisterhaften deutschen Wör terbuche" die hierhin gehörigen Stellen gesammelt. Er sagt unter Anderm:

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Der deutsche Michel, ein biederer, gutmüthiger, aber unbeholfener, unwissender, geistig beschränkter Mensch, ist eine alt herkömmliche Benennung. In nötigen sachen aber könden sie (die Weiber) weniger dann der teutsch Michel. Frant Sprichwörter 1, 24b. ein einfeltiger deutscher Michel richt kein ketzerei an. Henisch 684 b. heuchelstu nicht mit, sondern wirst als ein redlicher deutscher Michel frei durch gehen und aus gutem herzen alles meinen, reden und thun wol

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Dazu den Gänsefiel.
Man sieht den Ungefügen
Ohnmächtig dargestellt,

Als läg' in lesten Zügen
Der wunderstarke Helt.

Ihm ließ so oft zur Ader
John Bull und auch Mynheer,
Der war der schlimmste Bader,
Nief stets: jusqu'à la mer.
Mit Aderlässen, Schröpfen
Erschöpfen sie ihn ganz,
Am Ende wird ihn köpfen
Noch gar sein Nachbar Franz.

Es erhellt aus diesen Anführungen, daß auch den deutschen Schriftstellern die Vorstellung des deutschen Volkes als eines schläfrigen, schwerfälligen Menschen wohl bekannt war. Es wird sich wohl nie ermitteln lassen, wann und wo diese auffam, ob sie bei den Franzosen oder unter den Deutschen selbst sich herangebildet hat. Das aber steht fest, daß jener obengenannte deutsche Michel nicht das Urbild sein kann. nen Ursprung der Mythe verdankt, zumal Näher liegt die Annahme, daß derselbe seimanischen Gottes getreten ist und mannigda der h. Michael an die Stelle eines gerfache Sitten, Bräuche und mythische Vorftellungen zu der Annahme berechtigen, jener Gott sei als Schöpfer alles Lebens, als Herr des Lichts bald stark, bald schwach Idee mochte sich bei unsern Nachbarn viel und dunkel gedacht worden. Die lettere leicht als Erbtheil der Franken erhalten haben, während die erstere durch die Einwirkung des Christenthums verloren ging. Nichtsdestoweniger haben sich Spuren vor gefunden, die darauf hindeuten, daß Sanct Michel, der „dux Michael protector Gerund Macht, ersetzt habe, weshalb auch maniae," einen Gott der Kraft, Stärke die deutschen Krieger des Mittelalters vor der Schlacht ihn um Hülfe und Beistand anriefen und dann eine lateinische Hymne sangen, die übersetzt folgendermaßen lautet:

Dunbesiegbar starker Held,
Herzog Michael!

Führ' du das deutsche Heer ins Felt,
Herzog Michael;

steh' uns zur Seite,
hilf uns im Streite,
Herzog Michael!

Du unser Herzog in dem Streit 2.
Beschirmest stark die Christenheit x.
Des Himmels Geister allzumal 2.
Vermehren deiner Streiter Zahl 2.

Durch alle Welt zu Meer und Land xc.
Sind deine Schlachten wohlbekannt. 2c.
Durch dich, du tapfrer Degen, liegt 2c.
Der alte böse Feind besiegt 2c.

Held, des Name wohlbekannt 2c.
Beschirm' das deutsche Vaterland 2c.
Die Engel rufe auf zur Wehr 20.
Entbinde dein Vasallenheer. 2.
Wirf nieder grimmer Feinde Wuth 2c.
Belebe der Verjagten Muth 2.

Gieb dann dem blutigen Gefild xc.
Den holden Friedenssegen mild 20.
Bor Pest und Hunger uns befrei 2c.
Der Knechtschaft Fallen brich entzwei sc.
Mit Schwert und Schild und starker Hand.
Herzog Michael!

teh' uns zur Seite, hilf uns im Streite, Herzog Michael!

Es ergiebt sich hieraus, daß man sich unter Sanct Michael einen starken Helden, einen gewaltigen Herzog dachte, wie solches auch der Name besagt, denn das gothische mikils, althochdeutsche michil bedeutet groß, start, mächtig und mehrere deutsche Ortsnamen sind damit gebildet, wie Michelstadt, Michelbach, Mecklenburg, Micheldorf u. s. w. Die biblische Vorstellung vom h. Michael war wohl geeignet, diesen an die Stelle eines mächtigen germanischen Gottes treten zu lassen. Im Propheten Daniel 10, 13 wird er einer der vornehmsten Fürsten genannt und in der Offenbarung Joh. heißt es 12. 7 bis 9: Und es erhob sich ein Streit im Himmel; Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen und der Drache stritte und seine Engel, und siegeten nicht, auch ward ihre Stelle nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführet und ward geworfen auf die Erde und seine Engel wurden auch dahin geworfen.

Die Besiegung des Drachen, des Fürsten der höllischen Heerschaaren, bot dem Christenthum die geeignete Anknüpfung, um den Erzengel Michael den Neubekehrten als Ersaz für den heidnischen Sonnengott zu geben, der den Drachen des Dunkels und des Winters im Frühlinge besiegt und dann mit dem leuchtenden Goldschwerte die Erde rigt, um fie fruchtbar zu machen. In den ersten Jahrhunderten kam das Christenthum nicht

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mit Feuer und Schwert, wie Karl der Große es den heidnischen Sachsen gebracht hatte; es kam als Religion der Liebe, Sanftmuth und Duldung und suchte schrittweise Terrain zu gewinnen. Dabei gingen die christlichen Bekehrer mit großer Umsicht zu Werke. Sie wußten recht gut, daß der starre Troß der deutschen Heiden sich eher durch Ueberredung, als durch Gewalt beugen lasse, auch kannten sie diese sehr gut, um nicht zu wissen, daß ihre Religion zu innigst verwachsen war mit allen ihren Anschauungen, Vorstellungen, Traditionen und staatlichen Einrichtungen, um dieselbe ausrotten zu können, wie man das Unkraut auf dem Felde beseitigt. In dieser Hinsicht verdient der Brief des großen Papstes Gregor an den Abt Melittus Beachtung. "Sagt dem Augustinus," schreibt er, daß man die Gößenkirchen bei jenem Volke (den Angelsachsen) ja nicht zerstören, sondern nur die Gößenbilder darin vernichten, das Gebäude mit Weihwasser besprengen, Altäre bauen und Reliquien hineinlegen soll. Denn sind jene Kirchen gut gebaut, so muß man sie vom Gößendienste zur wahren Gottesverehrung umschaffen, damit das Volk, wenn es seine Kirchen nicht zerstören sieht, von Herzen seinen Frrglauben ablege, den wahren Gott erkenne und um so lieber an den Stätten, wie es gewöhnt war, sich versam, melt. Und weil die Leute bei ihren Gößenopfern viele Ochsen-zu schlachten pflegen, so muß auch diese Sitte ihnen zu irgend einer christlichen Feierlichkeit umgewandelt werden. Sie sollen sich also am Tage der Kirchweihe oder am Gedächtnißtage des h. Märtyrers, von dem Reliquien in ihren Kirchen niedergelegt worden sind, aus Baumzweigen Hütten um die ehemaligen Gößenkirchen machen, den Festtag durch religiöse Gastmähler feiern, nicht mehr dem Teufel Thiere opfern, sondern sie zum Lobe Gottes zur Speise schlachten, dadurch dem Geber aller Dinge für ihre Sättigung zu danken, damit sie, indem ihnen einige äußerliche Freuden bleiben, um so geneigter zu den innerlichen sind."

Aehnliche Instructionen werden an andere christliche Bekehrer erlassen worden sein. So erklärt sich auch die innige Verschmelzung heidnischer Mythenreste in Sagen und Märchen und nicht minder heidnischer Sitten und Bräuche mit christlichen Elementen, wie sie uns in Legenden und Volks

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