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Notizen.

Oftmals wurde in diesen Blättern beklagt, wie wenig bisher noch gescheh.n ist für die Staats- und Rechtsgeschichte Preußens. Ganze Generationen deutscher Juristen haben einst an der historischen Erforschung des Reichsrechts gearbeitet, und die Unbeweglichkeit der Reichsverfassung bot ihnen den Vortheil, Daß der Rechtshistoriker auch in den Streitfragen der Gegenwart als eine Autorität galt. Dem preußischen Staate, der doch auch troß seiner Jugend einen streng historischen Charakter trägt, hat die staatsrechtliche Wissenschaft erst spät ihre Thätigkeit zugewendet. Soeben erscheint das erste Buch, das die Anfänge des preußischen Beamtenthums bis zur Stiftung des Geheimen Staatsraths eingehend betrachtet (S. Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtenthums. Bd. 1. Berlin 1874). Wer über diesen alten Staatsrath, die große Centralbehörde des siebzehnten Jahrhunderts, sich unterrichten will, sieht sich noch immer angewiesen auf das veraltete Werk von Cosmar und Klaproth, das man mit Recht „ebenso unbrauchbar wie unentbehrlich" genannt hat. Die Verwaltungsorganisation Friedrich Wilhelms I. hat in die Entwicklung aller deutschen Staaten nicht weniger tief eingegriffen, als Napoleons Präfectursystem in die Geschichte Frankreichs; aber auch hier ist unser Wissen noch Stückwerk, wir müssen uns trösten mit der Hoffnung, daß G. Schmoller seine bahnbrechenden Untersuchungen über „Preußens größten inneren König“ zu einer ausführlichen Darstellung zusammenfassen werde. Die Stein-Hardenbergischen Reformen harren noch immer eines Geschichtsschreibers. Wie es zuging, daß nur vier Jahre nach Steins grunddeutscher Städteordnung das ganz im königlich westphälischen Geiste gehaltene Gensdarmerie - Edict erschien, wie diese beiden Richtungen der Reform einander abstießen und ergänzten, das Alles liegt noch im Dunkeln. Das Beste was darüber geschrieben worden, eine Reihe kurzer gehaltvoller Paragraphen in Ernst Meiers Verwaltungsrecht, beweist aufs Neue, wie viel noch zu thun übrig bleibt. Ueber den Kampf der ständischen und der conftitutionellen Gedanken, der sich nach 1815 abspielte, haben die Jahrbb. erst kürzlich neue Aufschlüsse gegeben. Ueberall Anfänge und Bruchstücke, nirgends eine zusammenhängende Staats- und Rechtsgeschichte der Monarchie. Auch die Behandlung des heutigen preußischen Staatsrechts hat lange im Argen gelegen. Das grundgelehrte, stoffreiche Werk von Rönne wird als Nachschlagebuch immer einen hohen Werth behaupten. Eine wissenschaftliche Beherrschung des Stoffs zeigt sich erst in dem Werke von Hermann Schulze, das preußische Staatsrecht, auf Grundlage des deutschen Staatsrechts dargestellt (Leipzig 1872), wovon der erste Band und die Hälfte des zweiten Bandes vorliegen. Im Anschluß an seine bekannte „Einleitung in das Deutsche Staats

recht" schildert der Verfasser zugleich die Eigenart des preußischen Staatslebens und seinen Zusammenhang mit dem Staatsrechte des gesammten Deutschlands. Voran steht eine historische Uebersicht, welche troß der mangelhaften Vorarbeiten ein treues und lebendiges Bild von der Entwicklung der Monarchie giebt. Es folgt ein Capitel über das Königthum; hier bewegt sich der gelehrte Kenner aller Hausgeseße der deutschen Dynastien auf seinem eigensten Gebiete. Seine Gesinnung ist streng monarchisch, obwohl er auch den parlamentarischen Institutionen ihr volles Recht zu geben weiß. Daran schließt sich die Lehre von den Staatsdienern und den Staatsbürgern. Durchweg zeigt sich der Verfasser nicht blos als ein scharfsinniger, vielbelesener Jurist, sondern auch als ein staatskundiger Mann, der in parlamentarischen Kämpfen maßvolles Urtheil und umsichtige Erwägung gelernt hat. Der zweite Band handelt von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und von der Volksvertretung. Hier ist bereits der Entwurf der Kreisordnung benußt und die Richtung angegeben, welche die Reform der Provinzialverwaltung einzuschlagen hat. Ueber Einzelheiten läßt sich rechten. Mit dem Namen „organischer Staat", welcher den Gegensatz des bureaukratischmechanischen Staats bezeichnen soll, können wir uns nicht befreunden, er giebt allzu leicht Anlaß zu Mißdeutungen. Ebenso wenig läßt sich zugeben, daß die Bestimmungen der Bundesacte über die Rechte der Mediatisirten noch heute rechtsverbindlich seien; der Bundesrath selbst hat bekanntlich vor Kurzem diese Ansicht zurückgewiesen. Doch wir hoffen, daß die Jahrbücher nach Vollendung des Werkes eine eingehende Besprechung aus der Feder eines Juristen bringen. werden. Für heute genügt uns die Aufmerksamkeit unserer Leser auf das treffliche Buch zu lenken. Allen praktischen Politikern sei es als ein unentbehrlicher Rathgeber empfohlen, namentlich den jungen Beamten, die sich so schwer von der Einseitigkeit ihrer privatrechtlichen Vorbildung befreien; auch weitere Kreise wird die einfache, klare, lebendige Darstellung fesseln. Wenn der verheißene Schluß des Buches den Anfängen entspricht, so wird das preußische Staatsrecht unter allen deutschen Particularstaatsrechten die beste wissenschaftliche Bearbeitung gefunden haben.

Anleitung zum Studium der Kriegsgeschichte von 3. v. H., Mitglied der f. schwedischen Akademie der Kriegswissenschaften. Fortgesetzt von Th. Frhrn. v. Troschke, k. preuß. General-Lieut. 3. D. Zweite wesentlich vermehrte und verbesserte Auflage des in erster Auflage unter dem Titel: Vorlesungen über Kriegsgeschichte erschienenen Werkes. 1. bis 11. Lieferung. Darmstadt und Leipzig, Ed. Zernin 1868-1873.

Das Werk 3. v. Hardeggs (so ist die Chiffre des Titels aufzulösen) erfreut sich eines wohlverdienten Rufes in der Militär-Litteratur. Es ist keine vollständige Geschichte aller Kriege - wie viel Bände würden zu einer solchen erforderlich sein, aber eine sehr brauchbare Anleitung zum Studium der=

selben. Ausgehend von dem Gedanken, daß gut gewählte Beispiele schneller und sicherer belehren als systematische Abhandlungen, macht der Vf. an einzelnen besonders hervorragenden Kriegen und Schlachten die Entwickelung der Strategik, der Taktik, des Heerwesens überhaupt anschaulich; er analysirt nicht den Stamm von der Wurzel bis zur Krone, er macht vielmehr Querschnitte und zeigt an tiesen die Momente des Fortschrittes. Im einzelnen wird hierbei folgender Gang beobachtet. Die gesammte Kriegsgeschichte ist in sechs Perioden getheilt, welche in je sieben Kapiteln abgehandelt werden. Das erste, überschrieben „Kriegerische Ereignisse", zählt immer die in der betreffenden Periode gelieferten Kriege auf, bezeichnet die Kriegsschaupläge, bespricht die gleichzeitigen Quellen und wendet sich dann der Hauptaufgabe zu, welche in der Darstellung einzelner Kriege und Schlachten besteht. Die Schlachten werden noch ausführlicher behandelt als die Kriege; alles was irgend zum Heerwesen gehört kommt da zur Sprache: leitende Persönlichkeiten, Organisation, Zusammensetzung, Verpflegung, Waffen, Geräthe u. s. w.; eingezeichnete Pläne und Figuren erläutern das, was ter Anschauung bedarf. Das zweite Kapitel ist jedes Mal den Persönlichkeiten gewidmet und zwar nicht nur den Feldherrn und Organisatoren, sondern auch ten Schriftstellern auf dem historischen und didaktischen Gebiete der MilitärLitteratur. 3m dritten Abschnitt werden die Erfindungen und neuen Einrichtungen ter Periode besprochen, die der Waffen- und Ingenieurtechnik sowohl als die der Taftif, Strategie, Administration und Disziplin. Dann folgen die „Friedensleistungen", d. h. die Leistungen der Befestigungskunst, Schriftstellerei, Kartographie; hier ist auch von den Turnieren, Manövern, Schießübungen, Waffenfabriken, Militärschulen die Rede. Fünftens werden die nationalen, politischen, jecialen und Culturverhältnisse der Periode erörtert, sechstens wird eine syndronistische Zusammenstellung gegeben, den Schluß bildet eine Uebersicht der Resultate.

Wer den Umfang der hier gestellten Aufgabe im Auge behält, wird nachichtig sein gegen die bei ihrer Lösung vorkommenden Mißgriffe und Irrthümer, an denen es allerdings nicht fehlt. Einige derselben, falsche Jahreszahlen, irrige Schreibungen, kleinere Verwechselungen sind so beschaffen, daß ein wohlwollender Recensent sie noch in die Kategorie der Druckfehler verweisen kann, was an antern Stellen nicht mehr möglich ist; das Werk läßt die lette scharfe das Detail centrolirende Durchsicht vermissen. Die Litteraturnachweise des biographischen Theils hätten theils vollständiger, theils gerechter sein sollen; Varnhagens Biographien mag man wohl noch erwähnen, aber nicht mehr loben. Ganz verfehlt erscheint die Beurtheilung Friedrich Wilhelm I. und nach dem heutigen Stande der Quellenforschung - die Darstellung der Schlacht von Kolin; meistens überflüssig das 5. Kapitel jeder Periode: den Zusammenhang des Heerwesens mit der politischen und der allgemeinen Geschichte nachzuweisen ist zwar eine sehr hohe, aber auch sehr schwere Aufgabe, die man nicht mit einigen aphotistischen Bemerkungen lösen kann.

Indeß wir wiederholen: die Brauchbarkeit des Hardeggschen Werkes wird Preußische Jahrbücher. Bd. XXXIII. Heft 1.

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durch diese Mängel wohl etwas verringert aber in keiner Weise aufgehoben, jedenfalls bleibt es das beste von allen denen, welche in das Studium der Kriegsgeschichte einführen wollen. Deshalb haben die betheiligten Kreise mit Freude vernommen, daß die Verlagshandlung, nachdem Hardegg durch ein Nervenleiden an der Vollendung der 11. und der folgenden Lieferungen verhindert wurde, in ihren Bemühungen nicht nachließ, bis sie einen Ersag für den zurücktretenden Autor fand. General Troschke, der nun hoffentlich das Werk zu Ende führen wird, beginnt in der 11. Lieferung bereits das 7. Beispiel der lezten Periode, die Belagerung von Sebastopol, er verspricht, auch den Krieg von 1870 und 1871 mit in die Darstellung hineinzuziehen. Seine Arbeit hält sich im Allgemeinen auf der Höhe des Vorgängers. Auffällig ist die unvollständige Erzählung des russisch-polnischen Krieges S. 273 und der doppelte Abdruck von vier Seiten (S. 285 bis 288 entsprechen S. 289-292); dafür hat die gewissenhafte Ausnußung der litterarischen Hülfsmittel und die erschöpfende Behandlung des geographischen Theils gerechten Anspruch auf unsre Anerkennung.

M. L.

Cornelius' Nachlaß ist von Professor Cornelius zu München, in dessen Hände er gelangte, Ernst Förster übergeben worden, welcher den ersten Theil einer aus diesen neuen Quellen fließenden Biographie des Meisters foeben er scheinen läßt. Das Buch wird in diesen Blättern besprochen werden, wenn der den Abschluß bringende zweite Theil herauskommt, was im Herbste der Fall sein soll.

Verantwortlicher Redacteur: H. Homberger.

Druck und Verlag von Georg Reimer in Berlin.

Alessandro Manzoni und die italienische Romantik.

(Schluß.)
6.

Seinen Dichterruhm in und außerhalb Italiens verdankt Manzoni nicht seinen Dramen, sondern dem geschichtlichen Roman: die Verlobten, welcher 1827 zu Mailand erschien.*) Im Drama war Manzoni reformatorisch zu Werke gegangen, im Roman gelang ihm eine schöpferische That. Angeregt durch Walter Scott hat er diese Dichtungsart in Italien begründet, das im erzählenden Fach bis dahin ausschließlich die Novelle und das Epos cultivirt hatte. In diesem glücklichen Wurfe waren erst die Verheißungen der romantischen Schule erfüllt. Wenn die Nation zur Einkehr in ihre eigene Geschichte eingeladen werden sollte, so stand nun hier mit einemmal ein vollendetes Bild aus der nationalen Vergan= genheit vor den bewundernden Augen der Mitwelt. Eine rührende Herzensgeschichte war erzählt. Aber wie der anspruchlose Held und seine Geliebte dem italienischen Volk angehörten, so war jeder Zug dieser Geschichte dem nationalen Leben abgelauscht, überall die strengste Treue in Dertlichkeit und Sitten eingehalten, ja dieser Herzensroman war hineingestellt in ein breites historisches Gemälde, das mit merkwürdiger Kraft des Pinsels die Zustände des lombardischen Volkes im 17. Jahrhundert in fast umfassender Weise zur Anschauung brachte. Von der Sphäre der kleinen Landleute beginnend, der Renzo und Lucia angehören, werden wir mit der kostbaren Figur des Don Abbondio in die Welt der Kirche eingeführt, vom Landpfarrer zum frommen Klosterbruder, zum weltklugen Pater Provincial und zu dem mit fast überirdischem Nimbus in seiner Diözese waltenden Kardinal. Den kleinen räuberischen Landadel lernen wir in dem Leben seiner Burgen kennen, wie den großen Edelmann, dessen Macht in den anderen weltlichen Gewalten kaum eine Schranke findet. Der Handwerker und der Bettelbruder, der Kaufmann und der Kneipwirth, der Bravo und der Polizeispion, der räuberische Advocat und der

*) C. M. Sauer, (Alessandro Manzoni, eine Studie 2. Aufl. Prag 1872) erwähnt eine Ausgabe in 3 Bden. Mailand 1825-1826.

Preußische Jahrbücher. Bd. XXXIII. Heft 2.

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