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dazu." Nur daß man bei diesen Worten anstatt das Gefafel vom protestantischen Glaubensbekenntniß, das sich daran gehängt oder die Schlegelschen Frrgänge des Gedankens" zu beachten, vor Allem einfach im Sinne haben muß, wie sie zum Vorschein kommen, den bestimmten Punkt wieder ihres Ursprunges aus der Situation : nämlich als hingeworfene Replik gegen Rosenkranz! Hamlet sagt: „Dänemark ist ein Gefängniß" und Rosenkranz darauf: „So ist die Welt auch eins." - „Ein stattliches, erwiedert Hamlet, worin es viele Verschläge, Löcher und Kerker giebt. Dänemark ist einer der schlimmsten." Und nun sagt Rosenkranz: „Wir denken nicht so davon.“ Und Hamlet, hierauf replicirend: „Nun so ist es keiner für euch, denn an sich ist nichts weder gut noch schlimm, das Denken macht es erst dazu." So lautet jene Stelle. Die Wahrheit, welche die Antwort Hamlets enthält, erscheint in derselben so zu sagen im Conversationston: das Denken als die subjektive Weise, die Dinge anzuschn.*) Nichtstestoweniger ist die objektive Wahrheit, die umfassende, die über die Grenze der momentanen Replik hinausgeht, zugleich in den Worten mitgesagt, und diese Wahrheit spricht Hamlet jezt, wo er mit sich allein ist und nicht dem Rosenkranz, sondern sich selber Antwort giebt, jetzt ohne subjektiven Anstrich und mit dem vollen Gewicht ihres Ernstes aus: das Denken, die Betrachtung als die Macht in uns und über uns, als das menschlich Wirksame, das uns zu dem macht, was wir sein können und müssen, το γαρ Thεov εoti vonua: denn das Meiste ja ist der Gedanke!

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Nach der Scene mit Ophelia und ihrem kurzen Monolog tritt dann der König aus seinem Lauschwinkel hervor; er hat die Verstellung des Prinzen durchschaut nud sogleich den Plan gefaßt, ihn nach England zu schicken; Polonius stimmt zu, und mit den Worten des Königs:

„Wahnsinn bei Großen darf nicht ohne Wache gehn“

würde der 2. Act schließen.

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Und hier, meine Herren, ehe ich zum 3. Act übergehe, möcht' ich eine Bemerkung einschalten darüber: daß ich so viel fremde Meinungen. heranziehe und unaufhörlich angreifen und widerlegen muß, das Leyte steht nicht mehr in meiner Wahl, wenn ich nicht das Erste unterlasse; ach und wie gern möchte ich das! In Gemeinschaft mit Ihnen mich in Shakespeares hellem Tag allein zu ergehn, vom literarischen Touristenschwarm seiner Muse unbelästigt, es wäre mir persönlich viel erwünschter, als in all diese kritischen Winkel hineinzuleuchten. Nicht zu meiner Be

*) Nur heißt,,bad" hier nicht böse", wie es die Schlegelsche Uebersetzung giebt, sondern schlimm, übel." In seiner Kritik hat Schlegel es auch so.

friedigung geschieht es, sondern einzig und allein in Ihrem Interesse. Denn für das, was ich Ihnen verdeutlichen möchte, sind diese Folien eine sehr energische Beihülfe. Aber nicht nur das Verständniß des vorliegenden Stückes bestimmt mich dazu, Sie mit diesen Leistungen bekannt zu machen, sondern zugleich der Sinn, aus dem sie hervorgegangen sind. Weil dieser Sinn meist ein unpoetischer, ja in vielen Fällen ein antipoetischer ist, so kommt es mir hier, wo uns die Sache der Kunst beschäftigt, und es giebt keine höhere in der Welt - darauf an, Ihnen zu zeigen, welche Blößen derselbe, einem echten und großen Kunstwerk gegenüber, sich zu geben gezwungen wird. Nicht mit diesem oder jenem Kritiker, auch nicht bloß mit der gesammten ästhetischen Hamlet - Kritik, sondern eben sowol mit dem Verständniß des Publikums und der Darsteller auf der Bühne, denn auch dies liegt ganz unter dem Banne

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jener Kritik

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also mit dem zur Zeit cursirenden Gesammtverständniß

des Stückes habe ich es zu thun in meiner Polemik.

Lang' noch nicht Alle hab' ich erwähnt, die hier zu erwähnen wären; doch denk' ich, die mitgetheilten Proben werden für unsren Zweck genügen.

Ach! man kann ja sehr verdienstvoll und ehrenwerth sein und das sind sie ja Alle, diese Männer, die über Hamlet geschrieben haben, alle verdienstvoll und ehrenwerth, auch die das Falscheste über ihn geschrieben haben; — aber man braucht darum noch nichts vom Drama zu verstehn! Denn das lernt sich nicht allein, auch mit allem Fleiß und dem besten Willen nicht. Und wenn man denkt: außer der speziellen Force, in der man etwa excellirt, könne und verstehe man das noch nebenbei: so ist das ein sehr anmaßlicher Irrthum, der sich denn auch bestraft durch Dilettantenwerk. Gelehrsamkeit oder wissenschaftliche Tüchtigkeit - und Kunstverstand: das sind zwei sehr verschiedene Dinge. Es giebt Dramen genug, für deren Kritik jede solide Bildung hinreicht. Aber das Drama in seiner Wahrheit, das Drama Shakespeares, das ist der Gipfel des menschlichen Vermögens! Wandeln da droben und

sich ergehn im Aether dieser Höhen kann Jeder, aber den Geheimnissen dieses Wunderreiches nachzuforschen: dazu gehört ein andrer Sinn und ein andrer Dienst, als der unberufenen Begier innewohnt, auch in dieser Region einmal den Cicerone zu machen.

Politische Correspondenz.

Berlin, 10. Januar.

Gewöhnlich pflegt die Weltgeschichte dem eine Neujahrsrundschau haltenden Bublicisten nicht den Gefallen zu thun, in der Sylvesternacht durch ihr eignes Werden und Schaffen einen Strich zu ziehen, entsprechend der Kerbe, wodurch der Kalendermacher das alte und das neue Jahr scheidet. Indessen für ein Stück unsres Vaterlandes hat diesmal mit dem mitternächtigen Glockenschlag, welcher das endende Jahr aus- und das beginnende eingeläutet hat, allerdings eine neue Periode der politischen Existenz angehoben. Der Sylvestertag von 1873 ist der letzte Tag jener Uebergangszeit gewesen, während deren das dem deutschen Reiche neu einverleibte Elsaß-Lothringen seine Gesetze aus der nur an die Zustimmung des Bundesraths, nicht an die des Reichstags gebundenen Initiative des deutschen Kaisers empfing. Man hat diese Uebergangszeit eine „Dictatur" taufen wollen, allein die Elfäßer und Lothringer selbst, welche auch heute und vermuthlich noch längere Zeit nur über ihre westliche Grenze hinüber zu schauen brauchen, um ihre ehemaligen französischen Mitbürger zum großen Theil noch dem vollen Belagerungsstande unterworfen zu finden, werden zugeben müssen, daß, wenn sie in diesen letzten drei Jahre statt Unterthanen des deut schen Kaisers französische Republikaner gewesen wären, sie bessere Gelegenheit gehabt hätten, das Wesen einer wirklichen, in Willkür und Gefeßlosigkeit bestehenden Dictatur kennen zu lernen. Hat die Verwaltung des Reichslandes während der abgelaufenen Periode einen anomalen Charakter gehabt, so ist derselbe in dem geraden Gegentheile einer harten und gewaltthätigen Militär- und Polizeiherrschaft zu suchen, nämlich in der außerordentlichen und, wie mehr als ein unbefangener Beobachter glaubt, in der übermäßigen Zartheit und Rücksichtsfülle, welche die Behörden der widerhaarigen Bevölkerung entgegengebracht haben. Die sogenannte Dictatur ist nicht sowohl ein feindseliges als ein freundliches Privileg für die Bewohner des Reichslandes gewesen. Ebendarum muß dessen Aufhören gerade im Interesse der Tüchtigkeit der Verwaltung und der Beamtenschaft begrüßt werden. Was durch eine freiere Bewegung der Behörden zu dem Zwecke einer möglichst schonenden Ueberführung der neuen Reichsbürger in die ungewohnten Zustände geleistet werden konnte, hat die „Dictatur“ geleistet; wenn in der sachten Behandlung der Elsäßer und Lothringer bereits des Guten zuviel geschehen sein sollte, so möchte eine Ausschreitung in diesem Sinne jedenfalls statthafter gewesen sein als übermäßige Strenge und Straffheit; aber die milde Angewöhnung des entfremdeten Kindes an die Brust der Mutter darf nicht zur dauernden Verwöhnung werden. Die Elsäßer und Lothringer sind in der französischen Schule gelehrt worden, die „Autorität“ des Staates als eine

eifersüchtige, strenge, allgegenwärtige, allgebieterische Macht anzusehen und zu fühlen. Wenn der deutsche Staat seine Autorität allzu wenig sichtbar und fühlbar macht, so wäre dies ein sehr plößlicher Sprung und gewiß kein leiser Uebergang. Die Elfäßer und Lothringer würden nicht sowohl glauben, daß Deutschland keine Lust, sondern daß es nicht die Kraft habe, streng zu sein, ja, sie würden sich nur in ihrem Wahne bestärken, daß ihnen arges Unrecht geschehen sei und daß wir im Bewußtsein der Schuld, die wir an ihnen begingen, ihre Verzeihung zu verdienen suchten.

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Wenn aber der Eintritt der Reichsländischen" in das volle deutsche Reichsbürgerrecht vor Allem geeignet ist, ihnen den Ernst ihrer neuen Staatsgehörig keit zum Bewußtsein zu bringen, so liegt auch wiederum gerade in der raschen Hereinziehung dieser fremd und scheu gewordenen Söhne in die vertraute Gemeinschaft der nationalen Familie der deutlichste Beweis der Achtung und der Sympathie, die wir für sie empfinden. Als wir die rohe Gewaltthätigkeit der Franzosen, welche uns nicht erlauben wollte, innerhalb unsrer bisherigen Grenzen unfren Staat aufzurichten, in gerechtem Vertheidigungskriege heimgewiesen hatten, da forderten wir die uns ehemals von Frankreich entrissenen Grenzlande zurück kraft des ersten und unbestreitbarsten aller Rechte des Rechtes der Nothwehr. Hatte der französische Angriff unsre Sicherheit gefährdet, so waren wir befugt, uns Bürgschaften gegen die Wiederkehr einer solchen Gefährdung zu verschaffen. Wir verschafften sie uns und wurden dafür als „Eroberer" verschrieen. Als ob es nicht berechtigte und unberechtigte Eroberungen gäbe! Die Elsäßer und Lothringer, unter denen, soviel wir uns entsinnen, Niemand etwas wie sittliche Entrüstung gezeigt hatte über den von Frankreich mit der Absicht der Eroberung des linken Rheinufers unternommenen völlig unberechtigten Angriff, fühlten sich in ihren sittlichen Empfindungen aufs Tiefste verlegt, als ihren bisherigen Landsleuten zur gerechten Strafe die Abtretung des Elsaßes und Deutschlothringens auferlegt wurde. Indessen so wenig diese Empfindungen vor dem Tribunal einer höheren Logik oder eines wahrhaftigeren Gerechtigkeitsgefühles Stand hielten, so sehr waren wir von Anfang an geneigt, auf zwar weder logische noch gerechte, aber darum doch sehr menschliche Gefühle sehr menschliche Rücksicht zu nehmen. Gewiß, wie wir zunächst um unfrer Sicherheit willen Deutschlands alte alemannische Grenzmarken wieder in Besitz genommen hatten, so war und ist die Sicherheit dieses Besizes das oberste Gebot unsrer Politik in dem Reichslande. Aber wenn wir es verschmähten, den völkerrechtlichen Titel unsrer Revindication in etwas anderem zu finden als in der Nothwendigkeit uns gegen einen bösen Nachbar zu schüßen, so haben wir doch nie daran gedacht, den Elsäßern und Lothringern gegenüber uns auch nur einen Augenblick länger auf diesen unfren Rechtstitel zu berufen als ihre eigne Haltung es uns auferlegt. Wir haben sie nicht alsbald im ersten Augenblicke der Eroberung zu deutschen Vollbürgern gemacht etwa wie Frankreich die Nizzarden sofort nach der Einverleibung von Nizza für ganze Franzosen erklärte oder wie, wenn der Krieg anders ausgegangen, wenn nicht

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wir sondern die Franzosen Sieger geblieben wären, man durch eine geschickt in Scene gesetzte Abstimmungsposse die ehrlichen Rheinfranken im Handumdrehen zu vollbürtigen Söhnen Frankreichs umgeschaffen hätte. Wir glauben eben nicht an Plebiscite und sonstige Wunder. Wir überlassen es den Franzosen das Recht des Stärkeren heuchlerisch abzuleugnen, wenn sie, darauf gestüßt, den Italienern eine alte Provinz nehmen, wenn sie, darauf vertrauend, leichten Herzens einen Raubzug gegen Deutschland versuchen; den Franzosen geziemt es, ein luftiges modernes Recht zu erfinden, dessen elastisches Wesen und schillernder Name sich trefflich dazu eignet, vor den Augen der Thoren die nackte Gewalt unter einer beschönigenden Hülle zu verdecken. Die Elfäßer, die ja im geschäftlichen Handel und Wandel nüchterne, verständig rechnende Leute sind, werden sich nicht ewig in politischen Dingen von französischen Winkbeuteleien bethören lassen. Wir haben sie allerdings nicht abstimmen lassen, ob sie zu uns gehören wollten oder nicht, und wir haben damit begonnen, unsre Herrschaft in der Form der Dictatur aufzurichten. Aber während die Nizzarden troß des Plebiscits im Herzen Italiener geblieben sind und heute nur durch den Belagerungsstand in der französischen Botmäßigkeit erhalten werden, haben wir von Anfang an unfre sogenannte Dictatur in dem Reichslande dazu gebraucht, nicht in Strenge sondern in Milde von einer regelmäßigen Regierungsweise abzuweichen, und jezt, nach weniger als drei Jahren, räumen wir den Bewohnern zweier eroberten Provinzen zwar nicht das hohle Recht ein, in einer trügerischen Volksabstimmung die Eroberung anzuerkennen, wohl aber sehen wir sie aufrichtig und ernsthaft in die Lage, durch freie, volle, gleiche Theilnahme an den nationalen Rechten und Pflichten das, was eine nothwendige Eroberung gewesen, in freiwillige Gemeinschaft umzuwandeln.

Der Ausfall der Wahlen im Reichslande und die Haltung der gewählten Abgeordneten im Reichstage wird uns belehren, inwieweit der Liberalismus unsrer reichsländischen Verwaltung und Politik auf die Stimmung der Elsäßer und Lothringer versöhnend gewirkt hat, und was wir uns von einem weiteren Borangehen in dieser liberalen Bahn versprechen dürfen. Nicht als ob auch ein fortgesetzt unwirsches Verhalten der reichsländischen Bevölkerung uns irre machen könnte an unsrer Aufgabe, ihnen soviel Freiheit der Bewegung, soviel Wohlbehagen zu verschaffen, als sich irgend mit unsrem obersten Zwecke, der Wahrung unsres Besigstandes, dem Schuß unsrer Grenzen, verträgt. Wenn die Art, wie wir die „Dictatur" gehandhabt, die Lächerlichkeit der vielmißbrauchten Phrase, welche die Elfäßer und Lothringer mit Lombarden und Venetianern verglich, zur Genüge ins Licht gestellt hat, so ist, nachdem die reichsländische Gesetzgebung Sache des deutschen Parlamentes geworden, in welchem die reichsländischen Abgeordneten Siß und Stimme haben, vollends dafür gesorgt, daß Elsaß-Lothringen nicht als ein abhängiges Nebenland zum Vortheil des übrigen Reiches bedrückt und verkürzt werde. Nur den Namen nach kann das Verhältniß des Reichslandes" zum Reiche an die Stellung erinnern, in welcher

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