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Elsaß-Lothringen unter deutscher Verwaltung.

Eine Denkschrift.

III.

3. Kirche, Schulen und Universität.

Elsaß-Lothringen ist das am meisten katholische Land im deutschen Reiche. Auf eine und eine halbe Million Einwohner hat es nur 250,000 Evangelische. Unter 1000 Einwohnern sind 797 Katholiken, 177 Erangelische und 26 Juden. Die letteren sind der deutschen Sache meist abgeneigt, da sie noch immer für ihre staatliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung fürchten. Von den Evangelischen kommen nur etwas über 13,000 auf Lothringen, 51,000 auf Ober- Elsaß hauptsächlich im Münsterthal und in der Stadt Mühlhausen die weitaus größte Anzahl 186,000 wohnt im Unter-Elsaß, davon 31,000 in Straßburg.

Die französischen Verfassungen und Gesetze enthalten viele Bestimmungen über die Gleichberechtigung aller Bekenntnisse, aber diese Geseze wurden nicht ausgeführt, besonders nicht unmittelbar vor dem Kricge. Man wollte den Evangelischen nicht wohl und einzelne Präfekten berichteten fogar, daß dieselben zu Deutschland hinneigten. In Bezug auf die Gebildeten unter den Evangelischen in Elsaß-Lothringen waren diese Berichte ganz gewiß unrichtig. Wenn dieselben auch etwas mehr Zusammenhang mit Deutschland behalten hatten als die gebildeten Katholiken, so waren sie doch in politischer Gesinnung und allen ihren Anschauungen ganz ebenso französisch geworden, als diese. Die alten reichsstädtischen Familien in Mühlhausen, die alle zum evangelischen Bekenntniß gehören, sind z. B. die entschiedensten Gegner der deutschen Regierung.

Anders steht es mit den evangelischen Bauern. Es ist mehr als eine Redensart gewesen, daß der Krieg von 1870 ein Religionskrieg sein würde. Im Elsaß waren die religiösen Leidenschaften in der That geweckt worden und es war nach der Kriegs-Erklärung so weit gekommen, daß einzeln gelegene evangelische Dörfer bei Nacht Wachen ausgestellt haben gegen ihre katholischen Nachbaren. Für sie brachte die Schlacht von Wörth die

Befreiung aus einer fast unerträglichen Lage. Die deutsche Regierung hat es zwar auf das sorgfältigste vermieden, ein Bekenntniß vor dem andern irgendwie zu bevorzugen, aber sie kann die Ereignisse vor dem 6. August 1870 nicht ungeschehen machen. Der evangelische Bauer betrachtet den deutschen Kaiser als seinen Befreier und die Aushebungen haben gezeigt, daß es ihm Ernst ist mit seiner deutschen Gesinnung.

Die Verfassung der beiden Kirchen der evangelischen und der katholischen beruht auf dem Geseze vom 8. April 1802 (18 germinal X.). Ueber die Verfassung der katholischen Kirche wurde von Napoleon als erstem Konsul mit dem Papst Pius VII. im Jahre 1801 ein Konkordat geschlossen. Dasselbe wahrt die besondere Stellung, welche vor der Revolution die gallikanische Kirche einnahm, auch das Ernennungsrecht zu den wichtigsten kirchlichen Aemtern, welches die französischen Könige seit dem Vertrage von 1516, zwischen Franz I. und Papst Leo X., ausgeübt hatten, ist aufrecht erhalten. Das Staatsoberhaupt ernennt die Erzbischöfe und Bischöfe. Die letteren ernennen zwar die Pfarrer, aber die Ernennung kann nur auf solche Personen fallen, welche der Regierung genehm sind.

In Bezug auf das Ernennungsrecht der Bischöfe und auf die übrigen dem Staatsoberhaupte in dem Konkordat eingeräumten Rechte enthält dasselbe einen besonderen Vorbehalt. In dem Artikel 17 ist bestimmt, daß diese Rechte durch einen neuen Vertrag geregelt werden sollen, falls einer der Nachfolger des Ersten Konsuls nicht katholisch sein sollte. Der deutsche Kaiser, welcher jetzt die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ausübt, ist nun nicht katholisch. Er ist zwar nicht der Souverän des Reichslandes, aber Napoleon konnte, so lange er Erster Konsul war, auch nicht als Souverän von Frankreich betrachtet werden, und die Meinung, daß mit dem Frankfurter Frieden und dem Vereinigungsgesetze der Fall des Artikels 17 eingetreten sei, ist daher keineswegs eine grundlose. Es hat im Jahre 1871 sogar verlautet, daß die Kurie das Konkordat von 1801 überhaupt als durch die Kriegsereignisse in Wegfall gekommen betrachte. Zur Zeit wird es jedoch von den Behörden in seinem ganzen Umfange angewendet und es würde für die Kurie nicht unbedenklich sein, die fernere Gültigkeit des Konkordats für das Reichsland nicht anzuerkennen. Auf dem Artikel 14 desselben beruht die Verpflichtung des Staats den katholischen Geistlichen Gehalt zu zahlen. Zur Entscheidung muß die Frage übrigens kommen, wenn die Erledigung eines der Bischofssige eintritt, von deren Sprengel ein Theil zum Reichslande gehört.

In den organischen Artikeln, welche mit dem Konkordat festgesett wurden und mit diesem durch das Gesez vom 8. April 1802 zu Staatsgesezen erklärt worden sind, ist das Verhältniß zwischen Kirche und Staat

geregelt. Die Artikel 1 bis 4 bestimmen, daß ohne Genehmigung der Regierung Erlasse der Kurie nicht veröffentlicht oder ausgeführt werden. dürfen, daß kein Nuntius oder sonstiger Beauftragter der Kurie auf französischem Boden in Bezug auf die gallikanische Kirche irgend eine Befugniß ausüben darf ohne Ermächtigung der Regierung, daß die Beschlüsse selbst allgemeiner Konzilien in Frankreich nicht eher verkündet werden dürfen, als bis die Regierung die Form derselben geprüft und sich überzeugt hat, daß sie nichts enthalten, was den Gesezen, Rechten und Freiheiten des Staats oder der öffentlichen Ruhe (tranquillité publique) zuwider ist, daß endlich alle kirchlichen Versammlungen, in welchen Beschlüsse gefaßt werden sollen, nicht stattfinden dürfen ohne ausdrückliche Genehmigung der Regierung.

Die Artikel 6 bis 8 enthalten die Vorschriften über den sogenannten recours comme d'abus*). Es ist bereits in einem früheren Abschnitte erwähnt worden, daß die Befugnisse des französischen Staatsraths, soweit fie diesen Rekurs wegen Mißbrauchs betreffen, durch § 9 des Verwaltungsgesetzes vom 30. Dezember 1871 dem Bundesrathe übertragen sind. Die Fälle, in welchen dieser Rekurs zulässig ist, sind hauptsächlich: Anmaßung oder Ueberschreitung des Amtes, Verstoß gegen die Geseze des Staats, den in Frankreich angenommenen Kanon und gegen die Freiheiten und Gewohnheiten der gallikanischen Kirche und außerdem soll Gegenstand des Rekurses sein, wie es im Artikel wörtlich heißt:

,,toute entreprise ou tout procédé, qui dans l'exercice du culte, peut compromettre l'honneur des citoyens, troubler arbitrairement leur conscience, dégénérer contre eux en oppression ou en injure ou en scandal public."

Allein so vortrefflich diese Bestimmung ist, so ist sie doch wenig wirksam, denn es ist auf ihre Uebertretung keine besondere Strafe geseßt und für die Anwendung des gemeinen Strafrechts bedarf es des recours comme d'abus nicht. Zwei ganz besonders weise Bestimmungen enthalten die Artikel 45 und 46. Nach denselben soll ein und dasselbe kirchliche Gebäude nicht dem Gottesdienst verschiedener Bekenntnisse gewidmet sein und darf keine gottesdienstliche Handlung außerhalb der katholischen Kirchen vorgenommen werden, wenn in demselben Ort Kirchen anderer Bekenntnisse

*) Im Jahrgange 1872 der Preußischen Jahrbücher ist eine besondere Abhandlung über dieses Rechtsmittel erschienen, in welcher diejenigen, welche sich genauer darüber unterrichten wollen, jede wünschenswerthe Belehrung finden werden. Hier ist darauf nicht näher einzugehen. Dasselbe gilt von den anderen augenblicklich die Welt bewegenden kirchlichen Streitfragen. Dieselben sind von Berufeneren bereits genügend behandelt worden und was diese von Preußen oder Deutschland gesagt haben, gilt auch vom Reichslande.

sich befinden. Ein kaiserliches Dekret vom 25. Februar 1810 hat dann noch den berühmten Beschluß der französischen Geistlichkeit über die Unabhängigkeit der weltlichen Herrschaft von dem Papste und über die Rechte und Freiheiten der gallikanischen Kirche, sowie das Edift Ludwigs XIV. vom 23. März 1682, welches diesen Beschluß genehmigt, ausdrücklich zu einem Staatsgesetze erklärt. Wie man sieht, hat auch der Staat ein Interesse daran, daß das Konkordat, die organischen Artikel und die übrige kirchliche Gesetzgebung in Kraft bleiben und ist es nicht zu verwundern, daß die Klerikalen im Reichslande, wie in Frankreich dieselben mit Abscheu betrachten.

Nicht so gut wie hinsichtlich der Aufsicht ist der Staat in Bezug auf die Ernennung der Geistlichen gestellt. Die Bischöfe ernennt zwar das Staatsoberhaupt und an den wirklichen Pfarreien (curés) dürfen nur der Regierung genehme Personen angestellt werden. Allein in den Nummern 63 und 31 der organischen Artikel ist vorgeschrieben, daß die Nebenpfarrer (desservants) vom Bischofe ernannt und von ihm abgesett werden können. Die Zahl der wirklichen Pfarreien ist nicht festgestellt, nur der Artikel 60 bestimmt, daß in jedem Friedensgerichtsbezirk mindestens eine Pfarrei sein solle. Dies hat die Kirche wörtlich ausgeführt und nur an den Kantonshauptorten wirkliche Pfarreien gegründet. An allen andern Orten befinden sich nur Nebenpfarreien (succursales) und die an diesen angestellten Geistlichen sind vollständig in der Hand der Bischöfe. Ihre Stellung ist noch schlechter als die der Dienstboten. Wenn ein solcher von seiner Herrschaft entlassen ist, so hat er doch noch Aussicht, wieder einen neuen Dienst zu finden. Ein katholischer Geistlicher aber, welcher von seinem Bischofe abgesetzt worden ist, wird von keinem andern Bischofe auf der ganzen Erde wieder angestellt. Diese vom Bischofe ganz abhängigen Geistlichen bilden aber die weitaus größte Zahl. Im Reichslande kommen auf 114 wirkliche Pfarrer (curés) 1508 Vikare und Nebenpfarrer (desservants). Hinsichtlich der wirklichen Pfarrer hilft man sich durch die bekannten „Reverse“ mit dem Entlassungsgesuche und es ist da= her kein Wunder, daß die Bischöfe bei ihren Geistlichen den unbedingtesten Gehorsam finden. Die deutsche Regierung wird dies auf dem Wege der Gesetzgebung ändern müssen, wenn sie bewirken will, daß die katholischen Geistlichen nicht ausschließlich im Sinne des Papstes und für den Landesfeind wirken. Bei der Errichtung neuer Stellen kann die Regierung zwar schon jetzt darauf halten, daß wirkliche Pfarreien gegründet werden, denn der Artikel 62 schreibt vor, daß ohne Genehmigung der Regierung kein Theil des Landes zu einer Pfarre oder Nebenpfarre erhoben werden kann. Es scheint jedoch kein Gebrauch von dieser Befugniß gemacht zu werden.

Zur Ausbildung junger Priester bestehen in jedem Sprengel Seminare, deren Errichtung mit Genehmigung der Regierung durch das Konkordat und die Organischen Artikel gestattet worden ist. Die Regierung hat jedoch nicht die Verpflichtung, diese Seminare auszustatten und zu unterhalten. Im Reichslande sind dieselben, wie jest überall, nicht Size christlicher Liebe und Bildung, sondern Stellen, an denen die jungen Priester zu Fanatikern und zu Feinden des Staates, ganz besonders aber Deutschlands erzogen werden. Es bestanden auch bischöfliche Kinderseminare, doch sind dieselben endlich geschlossen worden, da sie sich der staatlichen Aufsicht nicht unterwerfen wollten. Das Straßburger Knabenseminar hat dieses Schicksal erst vor ganz kurzer Zeit erreicht.

Bisher ist das Verhältniß zwischen Regierung und Geistlichkeit ein leidlich friedliches gewesen. Es wird der ersteren zwar nicht unbekannt sein, in welcher Richtung und zu welchen Zwecken die lettere ihren höchst bedeutenden Einfluß im Lande gebraucht. Aber zu offener Widerseßlichkeit ist es nur in einigen vereinzelten Fällen gekommen, welche Simultanstreitigkeiten, Beerdigungen von Evangelischen und eigenmächtige Verlegung des Wohnsizes betrafen. In diesen Fällen hat die Einstellung der Gehaltszahlungen und die entschlossene Anwendung der durch die bestehenden Geseze verliehenen durchaus genügenden Befugnisse hingereicht, den Widerstand zu brechen.

Die Betheiligung an den Mutter - Gottes Erscheinungen und anderen Wundern scheinen die Ortsgeistlichen jetzt eingestellt zu haben. Es dürfte bei denjenigen höheren Geistlichen, welche noch etwas Bildung bewahrt haben, doch allmählich die Ueberzeugung zum Durchbruch gekommen sein, daß die Theilnahme an solchem Unfuge der Geistlichkeit selbst die Achtung der Leichtgläubigen entziehen würde.

Ein eigenthümliches Verhältniß liegt, wie bekannt, hinsichtlich der Eintheilung des Reichslandes in Bisthümer vor.

Mit der Abschließung des Konkordats von 1801 war eine völlig neue Eintheilung des damaligen Frankreichs in Erzbisthümer und Visthümer verbunden gewesen. Die Friedensschlüsse von 1814 und 1815 entzogen dieser Eintheilung vielfach die Grundlagen und die Regierung der Restauration wollte überhaupt die alten kirchlichen Einrichtungen wieder herstellen. Sie schloß zu diesem Zwecke am 11. Juni 1817 ein Konkordat mit dem Papste, durch welches das von 1801 aufgehoben, das von 1516 wieder hergestellt und eine neue Eintheilung der Sprengel in Aussicht genommen wurde. Allein dieses Konkordat fand die Zustimmung selbst der chambre introuvable nicht und ein Gesez vom 4. Juli 1821 ermächtigte die Regierung nur, im Einverständniß mit dem Papste eine

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