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halb uns wenigstens dem Namen nach noch bekannten Werken, Bilder Leidender, Sterbender, Rasender. Sie bilden fast eine neue Kunstgattung. ,,Sunt inter opera ejus et exspirantium imagines," führt Plinius von Apelles an.

Die Maler traten mit Stoffen auf, deren Anziehendes nach der psychologischen Seite hin lag und da besonders im Gesichtsausdrucke seinen Gipfel gehabt haben muß. Ich nenne nur den Timanthes mit seiner bekannten Schilderung der Abstufungen des Schmerzes unter den Zeugen der Opferung Iphigenias, welche selbst in einer der uns erhaltenen Kompositionen dieser Szene mit der Niobewendung klagend gen Himmel blickt. Ich nenne ferner Timomachos, der in seinem Ajax die Aufregung der Raserei und die Scham des wieder zu sich Gekommenen, in der Medea den Kampf von Muttergefühl und wilden Rach egedanken in gepriesener Weise zu schildern wußte, und diesem Maler der Seelenzustände gelang ganz besonders ein Gorgonenkopf, jedenfalls die mit feinem Gefühl umgewandelte Bildung jener Anfangs besprochenen, alten, anstößigen Amuletfrage. Man begreift, daß für diese spätgriechische auf erschöpfende Behandlung der Seelenzustände gerichtete Kunst jenes alte Schreckbild zu einem anziehenden Problem wurde. In wie geistvoller Weise es gelöst wurde, davon zeugt die Rondaninische Meduse in München und gar die hinsterbende Ludovisische. Anstatt des überlieferten bärtigen, zungenreckenden und zähnefletschenden Grinskopfes ging aus dem Schmelztiegel der Künstlerphantasie ein von unheimlichem Weh durchzogenes Frauenantlig hervor, mit Schlangen im Lockenhaar, das statt abzustoßen gefangen nimmt, das unsere Theilnahme fesselt, wie mancher Mensch, dessen Züge von erlebtem Leid zeugen. Wie das Haar, ganz anders, als es im altgriechischen Schönheitsideale in typischer Zierlichkeit erscheint, der spätgriechischen Kunst ein neues Mittel zur Unterstützung des physionomischen Ausdrucks bot, daran kann hierbei wenigstens mit einem Worte erinnert werden.

Eine innere Verwandtschaft der in Leiden und Leidenschaft ihre Lieblingsstoffe suchenden, jüngeren griechischen Kunst mit der italienischen Kunst in ihrer Epigonenzeit ist unverkennbar. Im großen Saale der Akademie zu Bologna, wo die Caraccis und ihre Zeit- und Geistesgenossen mit großen und ausgezeichneten Werken in Menge vertreten sind, erstaunt man über die Lust an erregten Darstellungen, an Schilderung von süßem und bitterm Weh, von Verzückungen und Qualen. Die Gestalten sind gewaltsam bewegt, ein Sturmmind geht durch die Gewänder, Aufregung überall und die Gesichter gern in halber Wendung nach oben gekehrt, grade wie es zuletzt in der Antike auch beliebte Manier wurde.

Ich glaube wohl, was erzählt wird, daß Domenichino besonders am sterbenden Alexander und an der Niobe, an der Niobe auch Guido Reni studirt hätten. Da fanden sich Geistesverwandte. Christliche Märtyrerszenen lieferten hier, tragische Ausgänge der Heroen im Alterthume den Stoff: Laurentius auf dem Roste und Sebastian, von Pfeilen durchbohrt, Herakles im brennenden Gewande der Deianira und, die wir in der Gruppe des farnesischen Stiers noch besitzen, Dirke, zur Schleifung an die Hörner des wüthenden Thiers gebunden. Wieder blickt sie mit flehender Wendung empor.

Eine, zur Wahl solcher Stoffe neigende, zu so starken Mitteln greifende Kunst, getragen von dem in den Wechseln der Diadochenperiode umgetriebenen Griechengeschlechte, verfehlte ihre Wirkung dann auch in Rom nicht. Vielleicht ist doch wirklich erst dort, wo die gesteigerte Bearbeitung eines griechischen Vorbildes zum Antlige des belvederischen Apollo führte, das Werk, als geistiges Eigenthum der Diadochenzeit nicht abzustreiten, entstanden, das für uns als ein Endpunkt im graden Verlaufe der ganzen angedeuteten Entwicklungsreihe dasteht, der Laokoon. Es mischt sich im „Dreiklange des Schmerzes" dieser Gruppe Kinderund Vaterjammer, Körper- und Seelenschmerz wirken in einander, und Alles gipfelt in dem einen Antlige, in welchem kein Muskel mehr außer Mitleidenschaft gelassen ist. So entsteht weit über die Niobe hinaus ein Aeußerstes, mit dem die virtuose Handhabung der stärksten Kunstmittel ihren berechneten Triumph feiert.

Für die im Laufe griechischer Kunstbestrebungen immer mehr hervortretende Durchbildung des physiognomischen Ausdrucks wäre noch eine ganze Reihe von Belegen zu liefern gewesen, hätte ich an dieser Stelle auf die Geschichte der Göttergestalten der Griechen mehr, als mit gelegentlichen Hinweisungen, eingehen wollen. Die völlige Loslösung jeder einzelnen derselben aus der Anfangs unterschiedloseren Reihe, die Schöpfung von lauter idealen Individualitäten, nicht nur den Attributen und der Gestalt, sondern auch den Gesichtszügen nach, vollendet sich um dieselbe Zeit, in welcher auch die individuelle Durchbildung von Portraitföpfen nach dem Leben ihren Höhenpunkt erreicht. Damals, da man einen Demosthenes und Aristoteles in ganz anderer Weise leibhaftig portraitirte, als man früher die Züge des Perikles der Nachwelt überliefert hatte, gab man dem Kopfe einer Sagengestalt, wie die des begeisterten blinden Homer oder des mit allen Charakterzügen der Klugheit eines Verwachsenen ausgestatteten Aesop, das Leben und wollte auch in einem Jupiterkopfe die Summe von Ausdruck erreichen, mit welcher die Maske von Dtricoli vor uns steht. Der Reichthum hier gebotener Beobachtung bleibe unerschöpft.

Von römischen Leistungen wollen neben der unerbittlichen Wahrheit, mit der fort und fort das Physiognomische im Portrait der Wirklichkeit entnommen wurde, die flachen Idealgesichter hadrianischer Werke, unter ihnen in seiner leeren Tadellosigkeit der Kopf des Antinous, noch genannt sein. Hier erst sind jene innerlich leeren Profilköpfe zu Hause, kalte Abstraktionen, deren Linie man, zum großen Unrechte für wirkliches Griechenthum, schlechthin als griechisches Profil zu bezeichnen pflegt.

Am Schlusse endlich stehen merkwürdig genug, um ein Wort der Erwähnung zu verdienen, die Gespenster byzantinischer Maskengesichter, Maskengesichter, welche ebenso durchweg in der Vorderansicht, wie die ältestgriechischen Köpfe in der Profilansicht, gebildet, als eine lezte Konsequenz der an den Kunstgestalten schon in Alexanders Zeit beginnenden und dann fortwährend starken Betonung der Vorderansicht erscheinen.

Conge.

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Goethe und Luise Seidler.

(Erinnerungen und Leben der Malerin Luise Seidler. Aus dem handschriftl. Nachlasse zusammengestellt und bearbeitet von Hermann Uhde. Berlin, Wilh. Herß. 1874.)

Die natürliche Ari des Volkes, Große Männer zu feiern, ist weniger, das zu rühmen was sie geleistet haben, als vielmehr noch Größeres von ihnen zu begehren. Es ist falsch, ungeheure Ansprüche für ein Zeichen. von Undankbarkeit und Ungenügsamkeit zu halten. Ein Staatsmann, wie das Volk ihn sich vorstellt, soll alle Tage ein großes Diner und ein Souper mitmachen, dazwischen Deputationen empfangen und Reden halten, die Nacht Depeschen dictiren und Morgens um 5 wieder frisch sein. Friedrich, Napoleon, Alexander hätten Monate lang nicht aus dem Sattel zu kommen brauchen, und müßten dabei regiert, Wissenschaft und Kunst protegirt und die beste Gesundheit gehabt haben. Krankheit wäre fast böser Wille gewesen. Und dabei ist was sie factisch leisteten nichts gegen das, was man ihnen zutraute. Die größten Siege waren die, von denen ihre Soldaten sicher waren, daß sie sie noch erfechten würden, wenn sich nur Feinde und Schlachtfelder fänden. Denn dieses Kämpfen und Siegen war ihnen ja doch nur ein Spiel und sie brauchten am Baume des Glücks nur zu schütteln, um die goldenen Aepfel ins Fallen zu bringen.

Nach allen Seiten hin begegnen wir solchen Ansprüchen. Von den Heroen der Kunstgeschichte sind Raphael und Michelangelo die, bei denen man ungemeine Arbeit durch colossales Verlangen nach neuer Arbeit ehrte. Bei den Dichtern nimmt Goethe diesen höchsten Rang ein. Jedermann glaubte ganz besonders verbrieftes Vorrecht auf seine Person zu haben. Wer Lessing oder Herder in einem ungünstigen Momente begegnete, der hat es ihnen nicht weiter groß nachgetragen: wer aber verzieh Goethe, ihn nur unaufgelegt getroffen zu haben, oder gar gleichgültig? Goethe sollte immer zu Willen sein, obgleich man selbstverständlich sein Recht voll anerkannte, sich einsam zu halten um zu arbeiten. Goethe sollte immer gut gegessen und geschlafen haben, immer bereit sein die Feder hinzulegen, um beliebige Schriften mit höchster Auf

merksamkeit zu critisiren. Schlechte Verse sollten gute sein, nur weil er sie angesehn. Wenn er es nicht wollte, so war er schuld daran, daß sie nichts taugten. Jedem sollte er der nächste sein.

Und ohne Widerstreben und ohne zu ermüden hat Goethe das ge= than. Jedes Menschen, der sich ihm näherte, Schicksal scheint er mit liebender Hand getragen zu haben wie ein Kind ein Vögelchen, das es aus dem Neste nahm. Nicht nur daß er die Leute nicht abstieß: er lockte sie an sich. Es war seine Eigenheit, erzählt er selber. Er hatte immer Zeit wo er Talent vermuthete oder Bedürftigkeit sah; selbst wo man ihm mit Undank lohnte, hielt er fest. Griesgrämige Leute hat er zart behandelt als seien es alte Verwandte. Goethe spannt bei jedem steckengebliebenen Schicksalskarren, mag er noch so schwer beladen sein, seine Rosse ohne weiteres mit vor und hilft vorwärts. Und so natürlich weiß er es meistens einzurichten, als thue er es nur des eignen Vergnügens wegen und es bedürfe des Dankes kaum. Auch vermißt er ihn niemals wo er ausbleibt. Sogar, wo absichtliche Entfremdung eintritt, steckt der gewohnte Strom nicht im Laufe, sondern fließt gleichsam nur in einem unterirdischen Bette weiter, bis er wieder ans Tageslicht tritt. So bei Jacobi oder Tischbein. Selbst bei Herder wäre wieder angeknüpft worden, hätte der Tod es nicht unmöglich gemacht.

Es gab keine Trennung wieder von Goethe. Er drängt sich wie eine fördernde Macht in die Seele derer ein, mit denen er zusammen getroffen ist. Wie die erste Liebe jeden gewöhnlichen Sterblichen zum Genie macht, so sehen wir die, welche mit Goethe in Berührung kommen, sich über sich selbst erheben. Für die Meisten wird der Verkehr mit ihm zum Beginn einer Crisis. Von nun an ist sein Urtheil, (wirkliches oder nur supponirtes: was Goethe sagen würde) ihre Richtschnur. Eine Scheidung ihrer Anschauungen in vor und nach der Bekanntschaft mit ihm" vollzieht sich. Diese Stunden oder Tage oder Jahre werden wie Cometenjahre für ihr Production. Goethe's Blicke lockten jüßeren, feurigeren Wein hervor als die gewöhnliche Sonne des Daseins. Goethe ist an das Deutsche Volk, das, zertrennt und geschieden, sich kaum selbst verstand, herangetreten mit seiner Sprache hat er ihm seine Gedanken geschenkt, und als er starb, nach 60 Jahren der Arbeit und Wirkung, sprachen Alle wie er und seine Gedanken waren Gemeingut. Wie ein Reisender aus fremdem Erdtheile ein paar Blumen mitbringt die Niemand kannte, und die nach 20 oder 30 Jahren in jedem Gärtchen und wild am Wege aufgehn, als sei seit Erschaffung aller Pflanzen dieser Boden ihr natürliches Erdreich gewesen, so haben Goethe's Gedanken in den Deutschen Herzen Wurzel geschlagen.

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