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dung der sittlichen Anschauungen, der Sitten und Gewohnheiten in Bezug auf diese Dinge. Die Gesetzgebung aber ist der prägnanteste Ausdruck für die Umbildung der Ideen und zugleich gar oft der kräftigste Anhaltspunkt, um geläuterten Vorstellungen vollends ganz zum Siege zu verhelfen. Ohne daher irgend wie das Machtlose einer Gesetzgebung, die fremd und unvermittelt einem Volke oder einer Zeit oktroirt wird, zu verkennen, kann man doch behaupten, die Gesetzgebung über sociale Dinge sei gerade in der Gegenwart von der höchsten Bedeutung; es hänge von ihr fast so viel ab, als seiner Zeit von der Landtagsgesetzgebung über die bäuerlichen Verhältnisse. Es wird sich fragen, ob es wie damals den Einflüssen der Besitzenden gelingt, die Ansprüche einer abwägenden, über den Parteien stehenden gerechten Auffassung zurückzudrängen.

Und eine gewisse Gefahr in dieser Beziehung ist vorhanden. Sie liegt nicht in einzelnen Personen. Unser Beamtenthum ist freilich nicht mehr das alte; aber es hat noch Charakter und Gerechtigkeitsgefühl genug, um, wenn die Verhältnisse es ihm erlauben, wieder wie in früherer Zeit für das Wahre und Rechte mit Muth und Selbstverleugnung einzutreten. Auch unsere besigenden Klassen sind nicht schlimmer, als dieselben in anderen ähnlichen gestalteten Epochen waren. Sie stehen gewiß über der Grundaristokratie des 17. Jahrhunderts. Es ist auch in ihnen noch viel gesunder deutscher Idealismus. Wer könnte das verleugnen, der die Verhandlungen unserer Kammern mit Unbefangenheit verfolgt. Und noch weniger kann ich zugeben, daß der heutige deutsche Arbeiterstand schlimmer sei, als der französische und englische vor 40-50 Jahren, d. h. in der Zeit war, die etwa unserer gegenwärtigen wirthschaftlichen und socialen Entwicklung entspricht. Aber das hebt die Gefahr nicht auf. Sie liegt einfach in dem furchtbaren moralischen Konflikt, den freie politische Institutionen und ein tiefgehender socialer Klassenkampf jederzeit erzeugen.

Hat man nicht oft behauptet, die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung wäre wegen des Widerspruchs der Besigenden unmöglich gewesen in einem konstitutionellen Staate? Ist nicht das Ergebniß der Gneist'schen Untersuchungen, daß der Parlamentarismus nur dann schöne Früchte zeitige, wenn schwere sociale Kämpfe nicht zugleich dem Staatsleben obliegen. Zeigt nicht das Beispiel des heutigen Frankreichs, wie groß diese Gefahr ist. Sehen wir nicht in Desterreich ein Parlament, in dem fast so viele Verwaltungsräthe vertreten sind, als es Abgeordnete zählt? Klären uns nicht die Steuerdebatten in jeder Stadtverordnetenversammlung und in jedem Parlament darüber auf, daß durch alle Reden über politische und sonstige Theorien die wirthschaftlichen Interessen der gesellschaftlichen Klassen immer wieder durchbrechen und zuletzt den Ausschlag geben. Wir

mögen also noch so hoch von unserem freien Verfassungsleben, von Selbstverwaltung und Constitutionalismus denken. Wir dürfen dabei doch nicht vergessen, daß der Einzelne wie ganze Klassen die Probe des Charakters nur nach dem Maße alles Menschlichen bestehen, daß in der tüchtigsten Partei neben reinen edeln Charakteren Streber, Gründer und vor allem jene Art von Durchschnittsmenschen sind, die viel zu wenig Abstraktionsgabe haben, um nicht überzeugt zu sein, das Staatsinteresse gehe ausschließlich in ihrem Grundbesizer-, Fabrikanten- oder Bankierinteresse auf. Die Wucht fest organisirter wirthschaftlicher Interessen greift mit ihren Polypenarmen in alles politische Leben ein und sucht innerhalb jeder politischen Partei das ideale Element und die rationale Erwägung zu ersticken.

Die Gefahr also ist vorhanden, nur der blinde Doktrinär kann sie leugnen; aber sie soll uns darum nicht schrecken. Je gefährlicher der Weg, desto lohnender das Ziel, desto glänzender der Sieg. Am wenigsten wird sie uns veranlassen können, unsere besten politischen Errungenschaften, die Selbstverwaltung und das konstitutionelle Leben über Bord zu werfen. Sie wird uns aber veranlassen, uns darüber klar zu werden, wie wir diese Güter uns trotz der Gefahr bewahren können.

Ein Theil des fortgeschrittenen Liberalismus, wie der größte Theil des Arbeiterstandes erblickt in der weiteren Radicalisirung unserer politischen Institutionen das einzige Heilmittel. Der Gedanke, der dieser Tendenz zu Grunde liegt, ist nicht ganz unrichtig. Das allgemeine Stimmrecht war und ist ein nothwendiges Korrektiv gegen den überwiegenden Einfluß der Besigenden auf das Staatsleben. Eine freie Presse, ein liberales Vereins- und Versammlungsrecht ist doppelt nöthig in einer Zeit wachsenden Einflusses der höheren gesellschaftlichen Klassen, verminderten Einflusses des Beamtenthums auf den Staat und die Gesetzgebung. Es mag auch dies und jenes nach dieser Richtung noch zu thun sein. Aber niemals wird der sociale Klassenkampf durch Veränderung der rein politischen Formen unseres Verfassungslebens beschwichtigt. Je freier die Gesellschaft als solche sich im Staate bewegt, desto größeren Spielraum hat auch der Egoismus der wirthschaftlichen Klassen. Nicht in Monarchien, sondern in Republiken hat die schnödeste Klassenherrschaft sich im Laufe der Geschäfte gezeigt. Und jedenfalls können die Schritte, die wir etwa in nächster Zeit nach dieser Richtung noch machen können, uns nicht wesentlich helfen. Sollen wir das Wahlrecht noch weiter ausdehnen? Sollen wir etwa noch jüngere Leute und Frauen zulassen? Sollen wir in der Gemeinde das allgemeine gleiche und direkte Stimmrecht einführen? Sollen wir die Staats- und Gemeindebeamten von Volkswahlen abhängig machen, um einem Heer unfähiger Stellenjäger, wie in Amerika, die Staatsgeschäfte in die Hand zu geben. Nein, das

wären Experimente, die uns noch heftigeren socialen Kämpfen und ungewissen Wechselfällen entgegenführten. Eine zeitweise Klassenherrschaft des Arbeiterstandes wäre nur zu beklagen und würde rasch zu einer Reaktion nach entgegengesetzter Seite führen. Die Folge würde dieselbe sein, die wir in Frankreich sehen: eine Klasse folgt der andern in der politischen Herrschaft und keine ist fähig dauernde Zustände zu schaffen.

Nein, den Gefahren der socialen Zukunft kann nur durch ein Mittel die Spize abgebrochen werden: dadurch, daß das König- und Beamtenthum, daß diese berufensten Vertreter der Staatsgedanken, diese einzig neutralen Elemente im socialen Klassenkampf versöhnt mit dem Gedanken des liberalen Staates, ergänzt durch die besten Elemente des Parlamentarismus, entschlossen und sicher, die Initiative zu einer großen socialen Reformgesetzgebung ergreifen und an diesem Gedanken ein oder zwei Menschenalter hindurch unverrückt festhalten.

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Wenn es wahr ist, daß ein Staat, nur durch Festhaltung der Gedanken, die ihn groß gemacht, auch seine Größe festhalten kann, so liegt in dieser Richtung die eigentliche Zukunft der inneren preußischen Politik. Wie es dem Königthum gelang in zweihundertjährigem Kampfe den dritten Stand, das Bürger- und Bauernthum zu retten, zu heben und mit den vorher allein berechtigten Klassen zu versöhnen, so muß es im 19. Jahrhundert den Streit des vierten Standes mit den übrigen Klassen schlichten, den vierten Stand wieder harmonisch in den Staats- und Gefellschaftsorganismus einfügen. Das Königthum wird dabei im Einzelnen nicht die Mittel der älteren preußischen Socialpolitik anwenden können; die gehören einer vergangenen Zeit, einer anderen Epoche des Staatslebens Aber es wird auf dem Boden eines freien, im besten Sinne demokratischen Staatswesens an die socialpolitischen Aufgaben herantreten müssen mit demselben Geiste hochherziger idealer Auffassung der Zukunft, mit demselben Geiste versöhnlicher Gerechtigkeit und sympathischer Theilnahme für die unteren Klassen, mit demselben Geiste selbstvertrauender Gestaltungskraft, welcher die ältere preußische Socialpolitik kennzeichnet. Gustav Schmoller.

an.

Ueber die Schlacht bei Kolin.

Der Marquis von Chambray, der Verfasser jener Geschichte des Feldzugs von 1812, die zu den ersten Mustern kriegsgeschichtlicher Darstellung gehört, hat es für gewissermaßen unmöglich erklärt, eine ganz wahrhaftige Kriegsgeschichte zu schreiben, und ein neuerer Historiker, dessen Name einen nicht minder guten Klang hat, meint, daß man wenigstens auf eine Detailschilderung der Schlachten verzichten und sich vielmehr begnügen müsse, die Widersprüche der verschiedenen Relationen und außerdem etwa noch die Motive, aus denen sie hervorgegangen, aufzudecken. Eine so pessimistische Anschauung schießt doch wohl über das Ziel hinaus. Wer die Schriften unseres Generalstabes über die Actionen der Jahre 1866 und 1870/71 studirt und mit den gegnerischen, namentlich den füddeutschen über den Mainfeldzug, verglichen hat, wird mit uns jener Ansicht nur in so weit eine Berechtigung zuschreiben, als sie die Schwierigkeiten der Aufgabe würdigt; und diese sind allerdings enorm. Die ersten, dem Ereigniß zunächst stehenden Berichte werden mit Uebereilung geschrieben, mitten im Tumult der Waffen, unter dem Einfluß der Persönlich feiten, oft noch unter dem Drucke der politischen Lage, die späteren verfallen der Gefahr, welche dem abnehmenden Gedächtniß ihrer Verfasser entspringt, alle werden beeinflußt von einer Eigenliebe, die mit der Höhe der eingenommenen Stellung und mit der Größe der bestandenen Gefahr wächst.

Die Wirksamkeit des leßten Factors ist die gefährlichste von allen. Auf seine Rechnung kommen die meisten Dunkelheiten der napoleonischen Schlachten; nicht Leipzig, nicht Waterloo wollte Napoleon verloren haben, dort warf er die Schuld auf die Sachsen, hier auf den Marschall Grouchh; er cafsirte die archivalische, wahrheitsgetreue Schilderung der Schlacht bei Marengo, befahl seinen Rückzug als einen geordneten anzugeben, verbot die Nennung ihm mißliebiger Namen, entwarf neue Zeichnungen und ließ nach diesen eine neue Relation anfertigen: alles um das Verdienst des Sieges nicht mit anderen zu theilen. So grobe Fälschungen liegen dem Charakter des deutschen Volkes fern, immer aber behält auch in

unserer Kriegsgeschichte die Unwahrheit ein weites Feld, und naturgemäß werden die Entscheidungsschlachten von ihr am meisten betroffen.

Unbestritten gehört zu diesen die Schlacht bei Kolin. Hätte Friedrich fie gewonnen, so würden sich, wie er selber sagt, bei den Franzosen „die stolzen Wellen" gelegt haben und er würde nach Bedürfniß seine Waffen entweder gegen sie oder gegen die Russen gekehrt haben; denn die letzte Feldarmee, welche Desterreich besaß, war in die Mauern Prags eingeschlossen und dem Schicksal der Kapitulation verfallen. Durch Daun's Sieg aber wurde der König aus der Offensive in die Defensive geworfen, er durfte nun nicht mehr hoffen, eines seiner Gegner Herr zu werden, ehe die anderen zur Stelle waren, erst jetzt begann jenes aussichtslose Ringen gegen die Kräfte des europäischen Kontinentes, dessen höchster Preis in der Behauptung des bereits Errungenen bestand. Nimmt man hinzu, daß es die erste Schlacht war, die der bis dahin für unbesiegbar gehaltene König verlor, so wird die Heftigkeit begreiflich, mit der seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts über die Frage: wer trug die Schuld der Niederlage? gestritten worden ist.

Es ist nicht unsere Absicht, den vorhandenen Darstellungen der Schlacht eine neue hinzuzufügen; um aber den einen Moment derselben, über welchen wir neues Material vorlegen wollen, klar zu legen, scheint ein Ueberblick über ihren Gang im Ganzen unentbehrlich.

Daun hatte mit dem Heere, welches Prag entsegen sollte, auf die Nachricht von Friedrich's Anmarsch eine Stellung westlich von Kolin bezogen, welche in der nordwärts gerichteten Front so gut wie unangreifbar war. Deshalb ließ der König, ohnehin in der Minderzahl, seine Avantgarde unter den Generalen Zieten und Hülsen an der Front Daun's entlang ziehen und den rechten österreichischen Flügel angreifen; sie bildete also in der nun beginnenden Schlacht den linken Flügel des preußischen Heeres. Das Centrum desselben unter dem Sohne des alten Dessauers, dem Fürsten Moriß, und der rechte Flügel unter dem Herzog von Braunschweig-Bevern wurden vorläufig zurückgehalten, um später nach Bedürf= niß den engagirten Flügel zu unterstüßen. Es war dasselbe Manöver, welches dem Könige sechs Monate später bei Leuthen zu seinem glänzend sten Siege verhalf: hier bei Kolin schlug es gänzlich fehl. Man ist darüber einig, daß schon auf dem linken Flügel nicht alles der Ordnung ge= mäß herging, ebenso aber darüber, daß hierdurch die Schlacht noch nicht verloren wurde; dies geschah erst durch das unzeitige Eingreifen der in der Marschkolonne auf Hülfen folgenden Truppen. Indem sie angriffen, kam es nun doch zu der Frontalschlacht mit ihren unvermeidlichen Folgen; an der Festigkeit der österreichischen Stellung scheiterten die Anstrengungen

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