Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Notizen.

Bier Fragen zur deutschen Strafprozeßordnung mit einem Schlußwort über die Schöffengerichte von Rudolf Gneist. Berlin 1874, Verlag von Julius Springer.

Der Verfasser dieser Schrift hatte, wie er uns mittheilt, vom deutschen Reichskanzleramt die chrenvolle Aufforderung erhalten ein Gutachten über den Entwurf des Strafprozesses zu erstatten. Die schweren Arbeiten des deutschen Reichstages und des preußischen Landtages, so wie eine Ueberbürdung mit anderen Berufsgeschäften, werden von Herrn Gneist angeführt um Nachsicht für die Verspätung der Arbeit zu erbitten; wir unsererseits können unsre Bewunderung für eine Arbeitskraft und Abstractionsfähigkeit nicht unterdrücken, welche unter diesen Umständen ein so reises, durchdachtes und in sich zusammenhängendes Werk zu schaffen vermochte wie das vorliegende. Der Ausspruch unseres großen Dichters: Genie ist Fleiß, kann nicht aufrecht erhalten werden, denn Fleiß ist nicht Genie, wohl aber tritt die Unermüdlichkeit des Geistes mit in die vorderste Reihe der menschlichen Eigenschaften. Vergessen wir nicht, daß die Gedankenfolge, welche uns in dem vorliegenden Werke geboten wird, auf dem Studium eines Menschenalters beruht, von dem Verfasser an anderen Orten bis in ihre äußerste Verzweigung verfolgt worden ist, den Mittelpunkt eines Gebietes darstellt, dessen Peripherie Herr Gneist durchaus beherrscht; so erhalten wir in einer Uebersicht, die auch dem juristischen Laien vollständig zugänglich ist, die treibenden Faktoren des Strafprozesses vorgelegt; die Ideen zweiter Ordnung, von denen minder befähigte Autoren sich regelmäßig nicht loszumachen verstehen, find hier ausgeschlossen und die Klarheit und Einheit des Gedankens tritt ungestört hervor.

Der Verfasser giebt dem der Deffentlichkeit übergebenen Entwurf einer deutschen Strafprozeßordnung das Zeugniß vorzüglicher Form, feinen logischen Sinnes der Construction der Offenheit und Objektivität der Motive. Was der bisherigen Rechtsentwicklung zum Vorwurf gemacht wird, ist der Mangel an Entschlossenheit die Neuerung in den Grundprinzipien des Strafprozesses auch in den Einzelheiten durchzuführen, der unbesiegte Gang aus der alten Praxis in die reformirte Gesetzgebung soviel wie möglich hinüberzuretten. Das hängt mit dem konservativen Geist der Juristen, wenigstens in dem, was die Amtsgewohnheiten der Gerichte betrifft, zusammen, hat uns aber wie der Verfasser nachweist zu einem halben Anklageprozeß, einer halben Mündlichkeit und einer halben Deffentlichkeit geführt. Von dem Vorwurf in dieser Richtung sich nicht völlig emanzipirt zu haben, will der Verfasser auch den Entwurf nicht freigeben und begründet in vier Abschnitten seine Aenderungsvorschläge. Es werden behandelt: Staatsanwaltschaft und Privatanklage, die Deffentlichkeit der Voruntersuchung,

das Kreuzverhör, die Construktion des Hauptverfahrens und in einem Nachwort die Frage der Schöffengerichte. In dem Abschnitt: die Staatsanwaltschaft und die Privatklage verlangt Herr Gneist die Ausdehnung des Rechtes der Privatanflage, jedoch nur konkurrirend oder noch eigentlicher fubfidiär gegenüber der öffentlichen Anklage. Die Grundsäße der Selbstverwaltung gemäß unserer heutigen Rechtsanschauungen und Einrichtungen sind sehr fein in diese Betrach= tung verwebt, wie sich der Grundgedanke von Gneist die Festhaltung des Zusammenhanges zwischen öffentlichem Recht und Strafprozeß denn auch hier besonders fruchtbar erweist. Die Tendenz des zweiten Abschnittes über die Deffentlichkeit der Voruntersuchung kennzeichnet der Satz des Verfassers: alle Gründe, welche für die Oeffentlichkeit des Strafverfahrens gelten, sind gültig auch für das Vorverfahren. Jede richterliche Thätigkeit nach außen ist ihrer Bestimmung nach eine öffentliche. Der deutsche Entwurf nun ist weit entfernt sich auf diesen Boden zu stellen, wobei Vorurtheile und Mißverständnisse mancher Art, wie der Verf. nachweist ihre Rolle spielen. Hier vor Allem verlangt der Verf. einen großen Entschluß, die Lossagung von liebgewordenen Amtsgewohnheiten, wie es nicht ohne Anflug von Ironie heißt. Diesen „Amtsgewohnheiten“ entspricht zur Zeit auch mehr das im dritten Abschnitt geforderte Kreuzverhör der Parteien, während der Präsident nur ergänzend, kontrollirend, Streitpunkte entscheidend in die Verhandlung eintritt, seine unbefangene Stellung dabei aber auf das Beste wahren kann. Der vierte Abschnitt giebt dann den Aufriß der Schlußverhandlung, wie sie der Verf. sich denkt und wie sie sich in logischer Berkettung in Folge eines scharfen Einschnittes in die französische Grundform: die Nichtverlefung der motivirten Anklageakte, entwickelt. Dies Schlußwort über die Schöffengerichte stellt nochmals die schon bekannten Ansichten des Verf. über diese nunmehr aufgegebene Neuerung dar, von welcher nachgewiesen wird, daß sie in die schwer errungene Einheit und Sicherheit unseres Prozeßganges durch die Theilnahme der Schöffen an der Entscheidung der Prozeßfragen und durch die Mitentscheidung der Schöffen über das Strafmaß die Grundfäße der Gerechtigkeit d. h. der Verhältnißmäßigkeit der Strafen gefährde. Um die vier „Fragen", welche Herr Gneist aufwirft, wird sich bei Berathung des Strafprozesses im Reichstag der Streit drehen; die vorliegende Schrift hat das Ver= dienst den Kampfplaz klar umschrieben und das noch größere das wissenschaftliche Rüstzeug in eminentem Maße geliefert zu haben, mit welchem, wie wir hoffen dürfen, demnächst ein Strafverfahren gewonnen werden wird, das unter der Controlle vollständiger Oeffentlichkeit um so energischer und schneller seinen Zweck erreichen wird. D.

Zur Erhöhung der Eisenbahntarife. Statistischer Beitrag zu der Eisenbahntariffrage. Von Dr. Hermann Scheffler, Oberbaurath. Braunschweig, Druck von Fr. Vieweg und Sohn. 1873. Es ist nicht häufig und darum besonders erfreulich, wenn aus der Broschürenflut über eine wirthschaftliche Interessenfrage die Arbeit eines in

gleichem Maße praktisch sachkundigen und theoretisch exacten Mannes auftaucht: vorliegende Schrift darf wol als eine solche bezeichnet werden. Die seit längerer Zeit schwebende Diskussion über eine Reform der Deutschen Eisenbahntarife hat neuerdings durch die seitens der Eisenbahnverwaltungen beanspruchte Tariferhöhung einen acuten Charakter angenommen. Mit seinem statistischen Beitrage will der Herr Verf. (welcher in der Direction der Braunschweig.- Eisenbahn thätig zu sein scheint) eine Grundlage für die Berechtigung dieser Ansprüche liefern. Soweit er beweisen will, daß aus der Zunahme des Betriebes wegen der Zunahme der Kosten keine wesentliche Steigerung des Reingewinnes erzielt wird, erscheint uns, wenn auch nicht das Resultat unanfechtbar, so doch die Art und Weise seiner Beweisführung durchaus anerkennenswerth. Aber es ist zu bedauern, daß für diejenige Frage, auf welche das Hauptgewicht fällt, nämlich ob die Forderung einer Tariferhöhung wegen Steigerung der Löhne und Materialpreise begründet ist, der statistische Beweis so gut wie gänzlich fehlt. Die einzige Angabe welche der Verfasser macht ist die Steigerung der Löhne bei der Braunschweigischen Bahn; er nimmt ohne weiteres als ausgemacht an, daß eine gleiche Steigerung bei allen deutschen Bahnen stattgefunden habe; und daran nicht genug behauptet er ferner, ohne irgend einen Beweis zu versuchen, „Ebenso haben die Preise der wichtigsten Materialien, wie Eisen, Holz, Stein, Kohlen u. s. w. eine stärkere Steigerung erlitten. Da es sich hier um einen Schluß auf zukünftige Jahre handelt, so kann man annehmen, daß die abnormen Preise sich allmälig auf denjenigen Saß ermäßigen werden, welcher der als dauernd zu betrachtenden Lohnerhöhung entspricht, d. h. man kann annehmen, daß man zu einer Minimalausgabe gelangt, wenn man die Ausgaben des Jahres 1871 unter Vorausseßung gleicher Leistungen um 25 Prozent erhöht." Wollten wir nun selbst zugeben, daß die angenommene Lohnsteigerung bei allen deutschen Eisenbahnen stattgefunden habe (wiewohl es die Aufgabe des Herrn Verf. gewesen wäre, seine Annahme durch Herbeiziehung der Angaben einer größeren Zahl anderer Bahnen zu begründen weil das allgemeine Hörensagen oder gar die allgemeinen Klagen sehr trügerische Quellen sind) wenn wir also selbst die angenommene Lohnsteigerung als richtig gelten lassen wollten: so erscheint uns doch die weitere Folgerung auf die Preissteigerung der Materialien ganz und gar jener Besonnenheit zu ermangeln, welche im übrigen die Schrift auszeichnet. Hier fehlt nicht allein jeder Beweis, selbst aus den beschränkten Erfahrungen der Braunschw. Bahnverwaltung, sondern die theoretische Schlußfolgerung leidet auch an einem schweren Irrthum. Mit welchem Grunde kann denn die angebliche Lohnsteigerung von 25 Procent ohne weiteres als Maßstab der Preiserhöhung auf die sämmtlichen Ausgaben der Bahnverwaltungen übertragen werden? Der Herr Verf. findet den Grund der Lohnsteigerung in dem Streben der Arbeiter nach einer leidlichen Existenz;" mit einer derartigen Lohnsteigerung kann die Steigerung der Preise von Materialien offenbar nur so zusammenhängen, daß sie die Folge der auf ihre Hervorbringung verwendeten Arbeit ist; da aber die Arbeit nicht der einzige Factor

der Preise, die Produktionskosten nicht blos aus Arbeitslöhnen bestehen, so ist es ganz und gar unstatthaft, die Lohnsteigerung als directen Maßstab der sonstigen Preissteigerung anzusehn. Es ist dies zugleich ein Beispiel dafür, wie gefährlich es ist, wenn man da, wo man Thatsachen zum Beweise anzuführen verpflichtet ist, sich auf abstractes Räsonnement einläßt.

Die entschiedene Hervorkehrung dieser Schwäche in den Beweisführungen des Herrn Verf. kann ihm deshalb nicht erspart werden, weil er just auf diesen schwachen Punkt die am schwersten wiegenden Schlüsse stellt, die auch bereits mit willigen Händen von den dabei interessirten Kreisen ergriffen worden sind. Er folgert ohne Weiteres: Hieraus ergiebt sich die Ausgabe von 141 Millionen Thaler bei einer Einnahme von 2022 Millionen Thaler, also ein Ueberschuß von 61 Millionen Thaler für das Anlagecapital von 14361⁄2 Millionen Thaler. Dieser Reinertrag entspricht einer Rente von 4,2 Prozent auf welche für das Jahr 1873 höchstens gerechnet werden kann. Eine dauernde Reduktion der durchschnittlichen Rente aller Deutschen Eisenbahnen von 6,2 auf 4,2 Prozent, also auf zwei Drittel des bisherigen Standes und auf eine Ziffer, welche ein Prozent unter dem herrschenden Zinsfuße liegt, für welchen Kapitalien mit hypothekarischer Sicherheit untergebracht werden können, ein Vorgang, wodurch fast 500 Millionen Thaler des in Eisenbahnen eingebüßten Vermögens vernichtet werden (?), würde unstreitig als eine große und allgemeine Kalamität zu betrachten sein, welche für viele Bahnverwaltungen gradezu erbrückend werden könnte, welche aber außerdem für das ganze Volk dadurch unheilvoll werden würde, daß sie der Erweiterung des Deutschen Eisenbahnwesens eine Schranke segte." Und weiter heißt es: „Die Vorahnung des eben characterisirten Zustandes macht sich ge= genwärtig schon deutlich bemerkbar. Alle Eisenbahnprojekte, deren Ausführung nicht auf bereits eingegangenen Verpflichtungen beruht oder eine unabweisliche Konsequenz auf einer einmal betretenen Bahn ist, werden zurückgestellt oder temporisirend behandelt; den zur Ausführung bestimmten Projekten bereitet die Geldbeschaffung namhafte Schwierigkeiten; über allen in Angriff genommenen oder beschlossenen Unternehmungen schwebt die Furcht u. s. w.“

Auf solche Grundlagen hin so weit führende Schlüsse! Vernichtung von 500 Mill. Thaler des in Eisenbahnen angelegten Vermögens („Vermögen" doch wol nur vom Standpunkte des Börsenspekulanten) Unheil für das ganze Volk durch Stillstand des deutschen Eisenbahnwesens -- schon jezt die Vorahnung davon und Furcht über allen in Angriff genommenen Unternehmungen! Nein, das geht nicht an. Benuße der Herr Verfasser den Vorzug seiner Stellung, um das Beweismaterial zu schaffen und zwar: 1) Wie stehen die Löhne auf den Deutschen Bahnen 1874 verglichen mit 1871? 2) wie stehen die Preise für Kohlen, Eisen, Steine u. s. w. gegenwärtig, wie standen sie vor einem Jahre, wie standen sie endlich im Jahre 1871? 3) wie standen die Curse der Actien der Deutschen Privatbahnen 1874, 1873, 1872, 1871? (angesichts der Bewegung dieser Curse wird sich die Vorstellung von einem Nationalverluft von

500 Mill. Vermögen auf das berechtigte Maß zurückführen lassen) 4) wie war die Cursbewegung in demselben Zeitraum für die Actien anderer Unternehmungen?

Ehe dieses Material vorliegt, ist es unseres Erachtens rathsam, mit allen Folgerungen der Art wie Herr Oberbaurath Scheffler sie wagt, zurückzuhalten. Inzwischen hat es wol einigen Schein der Wahrheit für sich, wenn man die Furcht, welche über den Eisenbahnunternehmungen im gegenwärtigen Zeitpunkte schwebt, als die allgemeine, nicht den Eisenbahnunternehmungen eigenthümliche Geschäftsstimmung betrachtet, wie das jeder Blick in irgend einen Börsenbericht irgend einer Zeitung seit einem halben Jahre und länger bestätigt.

Vielleicht im Gefühle der Unzulänglichkeit solcher Beweisführung nimmt Herr Scheffler ein dogmatisches Argument zu Hülfe, ein nicht ungewöhnliches. „Die jedermann einleuchtende Thatsache, daß der billigste Tarif die höchste Frequenz erzeugt, bedingt selbst bei der eigennützigsten Bahnverwaltung nicht blos den Wunsch, nein, den unabweisbaren Zwang, den Tarif auf das zuLässige Minimum herabzuseßen" und weiter nichts andres als der Privatvortheil, die Gewinnsucht, der Egoismus der Bahnverwaltungen hat daher die lange Kette von Tarifermäßigungen hervorgebracht, wovon die Geschichte des Eisenbahnwesens Zeugniß ablegt. . . . diese natürliche Verkettung der sozialen Interessen wird zu hohe Tarifsätze in den Augen der Bahnverwaltungen nicht minder wie in denen der Regierungen und des Publikums als ein Uebel erscheinen lassen."

Was Herr Scheffler hier sagt, entbehrt jedes Beweises, es tritt als ein Dogma auf, ein Dogma nicht ganz nen, auch nicht von sonderlichem Ansehn mehr. Leider ist aus diesen und jenen Gründen bei uns zu Lande die Untersuchung der Thatsachen und vor allem die Ermittlung der Thatsachen, zum Behufe der Controle solcher Dogmen, noch ein wenig zurüc; man muß daher die Mühe nicht scheuen und in ein andres Land gehen, in ein Land, wo in großartiger Weise die Thatsachen offen zu Tage liegen, ein Land, nach welchem sich ja so gern die Blicke der Gläubigen zu wenden pflegen, die sich um jenes Dogma scharen. Wohlan so mögen sie die englischen Blaubücher hören, welche seit bald vierzig Jahren einen immensen Stoff für dieses Problem der Intereffenharmonie der Eisenbahnen in sich aufgenommen haben; so mögen sie zum mindesten den Parlamentsbericht vom Jahre 1872 hören, den letzten Ausläufer aller bisherigen Untersuchungen. Darin ist unter anderm Folgendes zu lesen (vergl. G. Cohn, Untersuchungen über die Englische Eisenbahnpolitik Band I. S. 332 ff.):

„Bei der Gestaltung der Eisenbahnunternehmungen als Actiengesellschaften darf nicht eine Wirksamkeit des Privatinteresses vorausgesezt werden wie in anderen Geschäften, welche in der That von Privaten im eignen Interesse gehandhabt werden. Die Eisenbahngesellschaften werden verwaltet durch eine mächtige Bureaukratie von Verwaltungsräthen, Direktoren und Beamten; die wirklichen Leiter der Unternehmung sind weit entrüdt von dem Einflusse der Antheilsbe

« ZurückWeiter »