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Preußen, Land und Volk, bis zur Ankunft des Deutschen Ordens.

(Schluß.)

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Ich komme nun auf den mißlichsten Theil meiner Aufgabe, auf Religion und politische Einrichtungen, auf Sitten und Gebräuche der alten Preußen. Hier werde ich vollends alle Widerlegung und Polemik bei Seite lassen, mich jeder irgend willkürlich erscheinenden Hypothese enthalten und nur das, was die allerältesten, womöglich gleichzeitigen Quellen Darüber bieten, und was sich aus ihnen meiner Meinung nach mit einiger Sicherheit entnehmen läßt, in den Hauptzügen vorlegen. Hier ist vollends alles, was Ausführlicheres gäng und gäbe ist und noch immer allgemein nacherzählt wird, erst durch spätere Schriftsteller hineingekommen und beruht so gut wie ausschließlich auf willkürlicher Phantasie, zumeist auf der des tolkemiter Mönchs, der bei seinen unmittelbaren Vorläufern doch verhältnißmäßig wenig fand. Man hat ihm hierin hauptsächlich aus zwei Gründen mit mehr Vertrauen als in anderen Abschnitten seines umfangreichen Werkes folgen zu dürfen geglaubt. Einmal behauptet er vieles, was er da zu erzählen weiß, aus eigener Beobachtung und aus dem Munde des Volkes herzuhaben. Gesetzt auch dem wäre so, so war doch, was er damals sehen und hören konnte, lange nicht mehr das wahre preußische Alterthum, sondern Zerrbilder und wüster Aberglaube, und hieraus das Richtige auszuscheiden, zumal bei der selten bunten Völkermischung, die zwischen Weichsel und Memel vor sich gegangen ist und Preußisches, Deutsches und Polnisches, Heidnisches und Christliches durcheinandergeworfen hat - war das in jener Zeit, bei dem damaligen Stande der Forschung und des Verständnisses für dergleichen Dinge, schon überhaupt geradezu eine Unmöglichkeit, so hatte Grunau gewiß am Wenigsten das Zeug dazu. Ich meine aber, er hat in den hierhergehörenden Traktaten seiner Chronik ebensogut seiner boden- und zügellosen Erfindung freien Lauf gelassen wie in allen anderen: überall, wo man seinen Angaben die ächte Ueberlieferung gegenüberstellen kann, entstehen

die offenbarsten Widersprüche. Fürs Zweite führt er gerade für diese Dinge unter seinen Quellen eine vom Bischof Christian verfaßte Chronik an, in welcher die ältesten preußischen Ueberlieferungen enthalten sein sollten, und das mußte natürlich sehr verlocken. Aber wir wissen jezt, daß eine solche Schrift niemals existiert hat, daß sie mit ihrem ganzen Inhalt nur eine Ausgeburt Grunau'scher Aufschneiderei ist. Nur eines will ich zur Charakteristik seiner Kritik hier anführen. Dem Bischof Christian hätte, behauptet Grunan, ein ihm von einem plocker Domherrn übergebenes Reisetagebuch vorgelegen, welches ein Bithynier Namens Diwones, der zur Zeit Augusts den Norden Europas besuchte, in russischer Sprache mit griechischen Buchstaben aufgezeichnet und, da er hier starb, in Plock niedergelegt hätte. Während man bisher immer, auch in der letzten wissenschaftlichen Behandlung der altpreußischen Mythologie, die Angaben Grunaus, der ja so ausgiebige Belehrung über die alten Preußen zu bieten schien, zu Grunde gelegt und, was anderwärts überliefert ist, in seine Darstellung einzufügen und mit ihr in Uebereinstimmung zu bringen sich bemüht hat, erscheint es mir unabweisbar geboten anders zu Werke zu gehen: ich werde das Eingangs erwähnte Kapitel Peters von Dusburg zum Ausgangspunkt nehmen und seine Angaben durch anderes, was gleich sicher belegt scheint, prüfen und vervollständigen, Grunau aber wird dabei gänzlich außer Acht bleiben, außer etwa da, wo eine Widerlegung ganz landläufiger Sachen, die von ihm herstammen, nicht umgangen werden kann.

„Die Preußen hatten keine Kenntniß von Gott. Weil sie einfältig waren, konnten sie ihn nicht mit der Vernunft erfassen, und weil sie keine Buchstaben hatten, konnten sie ihn auch nicht in Schriften erschauen........... Darum verehrten sie in ihrem Frrthum jede Kreatur als Gott: Sonne, Mond und Sterne, Donner, Vögel, vierfüßige Thiere, selbst die Kröte. Sie hatten auch heilige Haine, Felder und Gewässer, in denen sie nicht wagten Holz zu fällen, zu ackern oder zu fischen." So schildert Dusburg die religiösen Vorstellungen der Preußen vor ihrer Bekehrung, und auch anderwärts finden wir einzelne entsprechende Angaben darüber, indem bald dieselbe Sache - kürzer freilich und, wie es scheint, meist aus gleicher Quelle entnommen mit denselben Worten wiedergegeben wird, bald anderweitigen Andeutungen dieselbe Vorstellungsweise zu Grunde liegt. Auch die Unterhaltung eines ewigen Feuers in dem allgemeinen Nationalheiligthum, von der uns gelegentlich berichtet wird, gehört doch in diesen Zusammenhang. Es ist ein einfacher Naturdienst, dem die Preußen darnach ergeben waren, ein Standpunkt, wie er dem Kulturzustande, in welchem sie uns auch sonst erscheinen, durchaus entsprach: noch war bei

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ihnen an eine Vergeistigung der höchsten Wesen nicht zu denken, noch befanden sie sich in den ersten Anfängen der Gesittung, bis zur bewußten Herrschaft über die Natur hatten sie sich noch nicht erheben können. Genaueres über diese Verehrung von Gegenständen der Natur erfahren wir nicht weiter, als daß uns Dusburg selbst höchst unbestimmt mittheilt, die Pferde wären von ihnen für heilig, den Göttern geweiht gehalten, von den einen freilich die schwarzen, von anderen die weißen oder anders gefärbten. Ueber das Vorhandensein heiliger Wälder, zu denen nach Adam von Bremen kein Fremder Zutritt hatte, in allen Gegenden des Landes belehrt uns eine große Menge von Urkunden aus späterer Zeit, zumal Theilungsurkunden und Grenzbeschreibungen, und auch für manche Feldmark und kleinere stehende und fließende Gewässer bezeugen es uralte Namen, daß sie meist für heilig galten und der menschlichen Benutzung entzogen waren. In dem Mittelpunkte der heidnischen Nation, so fährt Dusburg fort, in Nadrauen, lag ein Ort Namens Romow, leider ohne anzugeben, ob wir uns darunter eine bewohnte Ortschaft oder einen Hain oder ein offenes Feld oder was sonst vorzustellen haben. Dort hätte der sogenannte Kriwe seinen Sitz gehabt, den die Völker gleichwie ihren Papst verehrt hätten, und zwar nicht bloß die Preußen, sondern auch die Littauer und andere, livländische Völker, so daß er also noch den sichtbaren Mittelpunkt aller dieser stamm und sprachverwandten Völker gebildet hatte. Nach der Unterwerfung Nabrauens durch den Orden hätten die östlicheren Völker ihre gemeinsame Opferstätte anderswohin verlegt. Voigt verseßt das Romowe, dessen Namen wol niemand mit Dusburg von Rom herleiten wird, nach Samland, indem er Dusburgs unanfechtbare Angabe einfach übergeht und Gründe anführt, die auch schon an sich nichts Beweisendes enthalten; es hängt das lediglich mit seiner vorgefaßten Meinung von dem Vorrange zusammen, welchen die Samländer zufolge ihrer angeblich dänischen Abkunft vor den anderen Preußenstämmen vorausgehabt hätten. Jedenfalls, so dürfen wir schließen, galt dieses Romowe für den heiligsten aller Orte.

Namen einzelner Gottheiten führt Dusburg weder an dieser Stelle an, noch sonst irgendwo gelegentlich, überhaupt lernen wir deren durch die mittelalterliche Ueberlieferung nur drei kennen, es sind aber nicht die drei Namen, welche uns von Jugend auf als die der preußischen Hauptgötter genannt sind, von ihnen sind nur zwei darunter, und auch diese in etwas geänderter Form. Nur von einer einzigen Gottheit erfahren wir etwas Zuverläßiges nicht bloß über den Namen, sondern auch über die Art ihrer Verehrung und somit zugleich über ihr Wesen, ihre Bedeutung. In einer uns erhaltenen Urkunde von 1249 versprechen Pomesanier, Ermländer Preußische Jahrbücher, Bd. XXXIII. Heft 3.

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und Natanger, welche sich nach ihrer Besiegung dem Orden durch einen Vertrag unterwerfen, weder dem Gößen Kurche, noch den anderen Göttern, welche die Welt nicht erschaffen haben, in Zukunft mehr zu opfern, von dem Kurche aber sagen sie, daß sie ihn sich jährlich einmal nach Einsammlung der Feldfrüchte zu machen und wie einen Gott zu verehren pflegten. Daß unter ihm ein Gott des Feldbaues, unter seinem jährlich wiederkehrenden Feste ein Erntefest zu verstehen ist, dürfte doch unfraglich sein. Die einzige andere aus der Ordenszeit herrührende Angabe von preußischen Götternamen befindet sich in einem Bericht, welchen der erm ländische Bischof im Jahre 1418 zu Gunsten des Ordens an den Papst einfandte: als Dämonen, welche die vom Orden vernichteten Völker einst verehrt hätten, werden da genannt Patollus, Natrimpe und andere gotteslästerliche Phantasmen," aber ohne daß über ihre Natur irgendetwas gesagt wird. Erst zur Reformationszeit werden uns aus verschiedenen Gegenden des Landes ganze Reihen von angeblichen Götternamen aufgeführt. Als man sich damals in den Kreisen, die es ernst mit der Sache des Glaubens und der Kirche nahmen, auch um die religiösen Zustände der niederen Leute auf dem Lande zu fümmern begann, fand man zumal hier in Preußen, daß es entseßlich schlecht darum bestellt war. Man hatte früher zwar das Festhalten am Heidenthum mit Todesstrafe belegt, da man sich aber im Allgemeinen mit dem äußeren Scheine begnügt, fast nichts dafür gethan hatte, um dem Volke ein innerliches Verständniß für den christlichen Glauben beizubringen, so wandten sich die Leute in den großen und kleinen Ereignissen des täglichen Lebens nicht an den für sie wefenlosen Christengott, sondern, wenn auch heimlich und versteckt, an die Wesen, die ihren Vätern und Urvätern in Glück und Unglück beigestanden hatten; Vermittler, Männer und Weiber, fanden sich überall, die tief in den Wäldern oder an anderen verborgenen Orten nach althergebrachter Weise so gaben sie wenigstens vor - Opfer brachten, Weihen vollzogen, Gelübde oder deren Lösungen entgegennahmen. Nun sollten die Geistlichen mit Belehrung und Strafe gegen solches Unwesen einschreiten, auch Berichte über das, was sie fanden und was sie dagegen thaten, an die obersten Behörden einsenden. Zwei solcher Verichte liegen uns vor, der eine noch in seiner ursprünglichen Gestalt — aus Masuren, der andere aus Samland verarbeitet in der Einleitung zur Kirchenagende von 1530. Jeder von beiden Berichten enthält eine Reihe von Namen solcher Wesen, die damals noch in der bezeichneten Weise göttliche Verehrung genossen, sie stimmen aber nur in einem Theil der Namen überein, einige Namen weichen in der Form voneinander ab, andere sind jeder Reihe eigenthümlich. Auch über die Wirkungskreise dieser Wesen wird be

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richtet, an der einen Stelle sind sogar die Namen der nach der Meinung des Berichterstatters entsprechenden römischen Götter beigesetzt. Bisweilen scheint ein Name, wenn man ihn etymologisch zu deuten versucht, mit der dort gegebenen Erklärung zu stimmen, die meisten aber entziehen sich vorläufig noch jeder sprachlichen Erklärung. Ich für meine Person kann alles, was die Geistlichen des sechzehnten Jahrhunderts beim Volke im Schwange sahen oder zu sehen glaubten, durchaus nicht für unverfälschte Reste des ursprünglichen Heidenthums anerkennen, ich sehe darin zunächst nur (ich muß es wiederholen) Zerrbilder, Auswüchse wüsten Aberglaubens, der in seinem ersten Ursprunge allerdings auf altheidnischem Glauben beruhte, aber im Laufe der Jahrhunderte bei der Art seiner Fortpflanzung und aus den schon früher angedeuteten Gründen gänzlich ausarten mußte. Daher erscheinen mir diejenigen auf sehr gefährlichem Wege, die, von dieser späten Ueberlieferung ausgehend, nicht bloß die slavische, die deutsche und die skandinavische Mythologie, sondern auch die altklassische, die celtische, wol gar die indische heranziehen, um sich ein System der preußischen Mythologie aufzubauen. Die bekannte, uns im Jugendunterricht eingeprägte Göttertrias der Perkunos, Potrympos, Pikollos kommt nirgends vor, auch nicht in den eben erwähnten Berichten, welche zwar die Namen haben, aber weder an hervorragender Stelle, noch in der hergebrachten Bedeutung oder Form: Parkuns ist Jupiter, Pekols Pluto, aber Potrympus nicht Neptun (das ist Autrympus), sondern Castor. Nur Grunau allein kennt jene drei als die obersten Götter, dafür aber auch keine andere Gottheit; nur sehe ich nicht ein, warum man ihm nicht in Namen und Ordnung ganz gefolgt ist, sondern wieder willkürlich abgewichen, denn er hat: Patollo, Potrimpo, Perkuno. Was ihn auf den Gedanken der Trias gebracht hat, scheint mir nicht schwer zu erklären. Es schreibt sich das von den schon sehr frühe von der Kirche ausgegangenen Bemühungen her etwas der Trinität Entsprechendes auch bei den heidnischen Völkern zu entdecken, um dieselbe als eine ursprüngliche, allgemein vorhandene Vorstellung der verschiedensten Völker vom höchsten Wesen zu erweisen. Später, in der Zeit des orthodoxen Lutherthums, faßte man eine solche Angabe nicht minder begierig auf, und so hat sie in alle mythologischen Darstellungen leichten Eingang gefunden und sich mit der Zeit als unumstößlich eingebürgert, besonders gefördert durch die symbolische Auffassung.

Noch spärlicher sind wir über die Art der Götterverehrung, über Opfer, Priester und dergleichen unterrichtet. Was gewöhnlich von einer streng ausgebildeten hierarchischen Verfassung mit einer einheitlichen Spite erzählt wird, beruht lediglich auf Grunau, der die Einrichtungen seiner Kirche auch hier gern wiederfinden möchte; die landlänsige Schilderung

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