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allerfrüheste Zeit die alten, theils volksthümlichen, theils gelehrten Sagen nicht verschmäht. So nennt der eine die Preußen Nachkommen von Sachsen, welche vor den Waffen Karls des Großen übers Meer geflüchtet wären, ein anderer erzählt gar, der polnische König Leszek habe Cäsars Schwester Julia geheiratet und ihr Samland zur Morgengabe bestimmt. Dergleichen würde nun heutzutage keinen Schaden mehr anrichten, und für ihre eigene Zeit erzählen jene Chronisten durchaus Glaubwürdiges und in glaubwürdiger Weise. Aber gegen Ende des funfzehnten Jahrhunderts hat der krakauer Domherr Johannes Longinus (Dlugosz) eine sehr umfangreiche polnische Geschichte von den Urzeiten ab geschrieben und nicht bloß die vorhandene Tradition darin aufgenommen, sondern auch mit eigener Erdichtung und absichtlicher Entstellung nachgeholfen. Preußen gegenüber will er ein uraltes Anrecht seines Volkes und Reiches nachweisen. Die Neneren haben dann, wo für die Erzählung des Thatsäch, lichen die ursprünglichen Quellen nicht ausreichen, ohne Weiteres zu ihm ihre Zuflucht genommen. Wenngleich schon Voigt Dlugosz wenigstens hin und wieder als unkritisch und unzuverläßig erkannt und bezeichnet hat, so hat mit voller Konsequenz doch zuerst Röpell die großen Mängel seines Werkes bloßgelegt und den richtigen Weg für die Erforschung der ältesten polnischen Geschichte gezeigt.

Mögen sich immerhin die Preußen und die Polen, wie es bei Nachbarvölkern in ihrem Kulturzustande kaum anders gedacht werden kann, ven je her an ihren Grenzen bekämpft haben, wir erhalten darüber doch nur ganz dürftige, vereinzelte und zusammenhangslose Nachrichten; mag das Bestreben der Polen die Preußen zu unterwerfen so alt sein, als es wolle, auch für seine Erfolglosigkeit spricht der Verlauf der Geschichte und die unbefangene Erzählung, das offene Eingeständniß der gleichzeitigen Chronisten. Gelingt es den Polen einmal einen Sieg zu erringen, so müssen sie sich doch immer mit Eintreibung oder gar mit bloßer Zusage von Tribut begnügen, denn nach ihrem Abzuge kümmert man sich in Preußen, von den undurchdringlichen Sümpfen und Wäldern gedeckt, nicht einen Augenblick weiter um die polnische Herrschaft.

Das erste kriegerische und für den Augenblick nicht ganz erfolglose Unternehmen der Polen auf Preußen sowie auf Ostpommern, von dem wir in ganz unverfänglicher Weise Kunde erhalten, wird ihrem zweiten christlichen Fürsten, Boleslaw dem Kühnen, dem Zeitgenossen Ottos III. und Heinrichs II., zugeschrieben. Mehr aber als diese nackte Notiz erfahren wir nicht, die herkömmliche genauere Erzählung gehört erst Dlugosz an, ja sogar das Jahr 1015. Viel richtiger scheint es diese Begebenheit in das zehnte Jahrhundert zurückzuverlegen, denn so würde sich am Natürlichsten

der Missionsversuch des heiligen Adalbert von Prag, der am 23. April 997 durch die Preußen das Martyrium erlitt, daran anschließen, und überdieß lernen wir bei dieser Gelegenheit bereits das ostpommerische Danzig als eine zu Boleslaws Reiche gehörige Stadt kennen. Die zahlreichen Erzählungen von den früheren Lebensschicksalen, der Befehrungsreise und dem Ende des Bischofs Adalbert, des ersten preußischen Apostels, darf ich hier nicht um eine neue vermehren, das sind ja allbekannte Geschichten, nur über den Ort seines Todes will ich mir einige Worte fung erlauben. Die beiden schon längst bekannten Biographien, beide ganz authentische, unmittelbar nach dem Ereigniß abgefaßte Schriften, bezeichnen nicht einmal die Gegend, in welcher Adalbert fiel, sie lassen ihn nur von Danzig aus durch eine Seereise dorthin gelangen. Daß „der samländische Boden durch die Vergießung seines Blutes geweiht" sei, erfahren wir erst durch eine bischöfliche Urkunde von 1302 und durch die in derselben Zeit aufgezeichneten Wunderberichte. Gegen die Seereise läßt sich bei dem, was wir über Samlands damalige Handelsbeziehungen wissen, nichts Stichhaltiges einwenden; doch glaubte Ludwig Giesebrecht, gestützt auf die Erwähnung eines Marktplates, in dessen Nähe Adalbert erschlagen sein soll, und auf einen später vorkommenden Ortsnamen, dem näher gelegenen Truso den Vorzug geben zu müssen. Da erschien die ebenfalls gleichzeitige dritte Erzählung von den Schicksalen Adalberts, die passio s. Adalperti, welche Wilhelm v. Giesebrecht zwar nicht zuerst gefunden, aber doch zuerst veröffentlicht und in einem in unseren Provinzialblättern (1860) gedruckten Auffage behandelt hat. Sie weiß von einer Seefahrt des Bischofs nichts, nennt aber als Ort seines Todes eine Burg (urbs) Cholinun. Darauf hin glaubte man (auch ich selbst eine Zeit lang) von dem scheinbar so schlecht begründeten Samland absehen zu müssen. An Culm-freilich ist nicht zu denken, denn wenn dieser Ort damals schon vorhanden war, so war er polnisch, also doch auch schon christlich. Bedenken wir aber, daß wir in dieser passio nur einen Auszug aus einer größeren Arbeit vor uns haben, wie Giesebrecht und Dr. Ketrzinski, ich glaube: unwiderleglich, dargethan haben, und daß es dem Epitomator ausschließlich auf die Schilderung der legten Augenblicke Adalberts ankam, so verliert sein Schweigen von Danzig und der Seefahrt alles Auffällige. Wir werden also wol auch weiterhin das Cholinun im Samlande suchen müssen. Den unmittelbaren Nachfolger Adalberts im Martyrium, den deutschen Erzbischof Brun-Bonifacius, der am 14. Februar 1009 sammt allen seinen Gefährten irgendwo an den Grenzen der Russen d. i. der Littauer von den Preußen erschlagen ist, begnüge ich mich hier nur zu erwähnen, da ich dem, was Giesebrecht über ihn in den Provinzialblättern von 1859

erzählt, nichts zuzufügen weiß. Beide Missionsversuche waren ja ohne jeden Erfolg.

Das ganze elfte Jahrhundert hindurch schweigt die authentische Geschichte von Kriegen der Polen gegen die Preußen, nur einmal erscheinen. unter anderen auch preußische Hülfsschaaren auf Seiten eines Empörers im polnischen Reiche. Erst Voleslaw III., der den Beinamen Schiefmanl führt und das polnische Reich durch seine Bestimmungen über die Theilung und Theilbarkeit desselben bis an den Rand des Verderbens gebracht hat, unternahm im Anfange des folgenden Jahrhunderts zwei Züge, dabei hören wir aber nur von Verbrennung der offenen Orte bei der natürlichen Schutzmauer, welche Seen und Sümpfe boten, bedurfte man im Süden der Burgen und festen Plätze nicht von reicher Beute und zahllosen Gefangenen, und ferner davon, daß solche Kriegszüge eben der Sümpfe wegen in der Regel im Winter ausgeführt wurden. Der gleichzeitige Chronist gesteht selbst, daß von einer Unterwerfung ganz und gar nicht die Rede war. Tributpflichtigkeit, vorübergehende wenigstens, oder vielmehr nur Versprechen von Tribut erzwang der nächste Boleslaw, Kraushaar genannt. Nachdem der Bischof Heinrich (Zdiko) von Olmüß 1141 einen neuen, aber gleich den früheren ganz erfolglosen Bekehrungsversuch gemacht hatte, erhob der Polenherzog zur Zeit des Kreuzzuges Kaiser Konrads und in Verbindung mit dem großen Angriffe gegen die Wenden, an dessen Spize Heinrich der Löwe stand, auch gegen die nördlich angrenzenden Heiden die Waffen nnd zwang in der That einen Theil von ihnen zur Unterwerfung; mit der Durchführung des Christenthums aber nahm er es nicht sehr ernst, denn sein Gebot die Taufe bei Verlust von Habe und Leben anzunehmen ließ er sehr bald gegen die Zusage von Tribut wieder fallen. Doch gehalten ist auch dieses Versprechen, wenn überhaupt, nicht lange. Nach kaum zwanzig Jahren (1166), als die räuberischen Einfälle der Heiden kein Ende nahmen, sah sich Boleslaw zu einem neuen Angriffskriege genöthigt; von preußischen Wegweisern, denen man sich anvertraut hatte, in die morastigen Wälder und mit hohem Gras bewachsenen Brücher hineingeführt, wurde das polnische Heer aus dem Hinterhalt überfallen und gänzlich vernichtet, der Herzog selbst entkam, aber einer feiner Brüder fand dort den Tod. Obgleich sich nirgends eine genauere Angabe darüber findet, wo alle diese Kämpfe vor sich gegangen sind, hat man sie doch immer ohne Weiteres an die Weichsel verlegt, indessen die Erwähnung der Sümpfe und Wälder, die niemals fehlt, scheint vielmehr weiter ostwärts hinzuweisen. Nur bei dem letzten Kampfe, dessen ich noch zu gedenken habe, ist die Dertlichkeit bestimmt, und hier der äußerste Osten. Die Jadzwinger oder Pollerianer, die in Sudauen und nach

Südosten hin bis über den Bug hinaus wohnten und von den Polen als eine zu den Geten oder Preußen gehörige Völkerschaft bezeichnet werden, hatten sich lange im Osten den Russen, im Westen den Polen durch ihre Plünderungszüge furchtbar gemacht, zuletzt aber sich ausschließlich gegen die Polen gewandt. Endlich beschloß Herzog Kasimir der Gerechte in den letzten Jahren seiner Regierung, gegen den Ausgang des zwölften Jahrhunderts, Nache zu nehmen. Nachdem er den Hauptort Drohiczin am Bug erobert hatte und ohne auf den Feind zu treffen drei Tage lang verwüstend im Lande umhergezogen war, kam von einem Häuptling das Anerbieten der Unterwerfung und der Tributzahlung. Staum aber hatte das Heer den Rückmarsch angetreten, als die Feinde treß der Geißeln, die sie gestellt hatten, die Wege durch Verhaue verlegten, denn die Freiheit sei ihnen theurer als das Leben ihrer Söhne, und erst nach verzweifeltem Kampfe gelang ihre abermalige Unterwerfung. Doch auch das war nur von ganz vorübergehendem Erfolge. Mit dem plöglichen Tode Kasimirs (1194) brach ein Kampf der piastischen Herzoge gegeneinander nicht bloß um den Seniorat, sondern auch um den Besit der einzelnen Theilfürstenthümer aus, der länger als ein volles Jahrhundert Polen im Innern zerfleischte und nach außen ohumächtig machte: schwere Klagen ergingen in der Folge überall hin über die unaufhörlichen wilden Einfälle der Preußen, der Littauer und der Russen, in alle Lande erscholl der Ruf der zur Selbsthülfe unfähigen Polen um Beistand gegen diese Feinde des christlichen Glaubens.

So viel steht nach allem, was wir über die polnisch - preußischen Verhältnisse in jenen Jahrhunderten gesehen haben, fest, daß den Polen aus ihnen niemals ein Recht dazu erwachsen ist das Land östlich von der unteren Weichsel als einst zu ihrem Reiche gehörig in Anspruch zu nehmen. Karl Lohmeyer.

(Schluß folgt.)

Preußische Jahrbücher, Bd. XXXIII. Heft 2,

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Jan Rudolf Thorbecke.

Wir sind unter dem überwältigenden Eindruck der Ereignisse der letzten Jahre nahezu gewöhnt worden, nur noch denjenigen Männern eine genauere Aufmerksamkeit zu schenken, welche direkt oder indirekt an der Umgestaltung Europas cinen Antheil genommen haben, während die ruhige, sich auf die Grenzen des eigenen Staates beschränkende Thätigkeit eines Staatsmannes beinahe unbeachtet bleibt. Wer tenkt heute noch sonderlich viel an Gladstone, den englischen Minister, dessen Finanzgenie vor einem Dezennium die Welt mit Vewunderung erfüllte, über dessen Privatleben die continentalen Zeitungen die eingehendsten Detailschilderungen brachten, den die Welt mit Entzücken anstaunte, als man eines Tages las, wie ein Bekannter, der ihn auf seinem Landsite besuchen wollte, ihn eben damit beschäftigt fand, einen Vaum eigenhändig zu fällen? Ist aber ein Gladstone noch bei Lebzeiten, noch ehe er seine staatsmännische Laufbahn vollendet hat, schon nicht mehr ein Gegenstand hervorragenden Interesses für die Zeitgenossen, um wieviel geringer muß dieses Interesse sein gegenüber einem bereits aus dem Leben und von dem politischen Schauplag abgetretenen Manne, der, innerhalb des ihm von den Verhältnissen angewiesenen Wirkungskreises gleichsam ein politisches Stillleben führend, eine ausschließlich auf sein kleines Vaterland beschränkte Thätigkeit übte und nie während seiner langen politischen Laufbahn Gelegenheit erhielt, durch diplomatische Aktionen oder durch den Abschluß wichtiger, in das Völkerleben tief eingreifender Verträge seinen Namen zu einem europäischen zu machen! Und doch wird von keiner Seite dagegen Protest erhoben werden, wenn man den größten holländischen Staatsmann der neuern Zeit zu den großen Staatsmännern überhaupt zählt; denn bei ihm stand der Schöpfungsdrang in harmonischem Verhältniß zu seiner Schöpfungskraft, hielt das Wollen stets gleichen Schritt mit dem Können und endlich, oder vielmehr vor Allem, sind die bleibenden und unvergänglichen Spuren seiner langen und ungemein reichen Thätigkeit das sprechendste Zeugniß für seine Bedeutung. Der Maßstab der staatsmännischen Größe kann ja nie und nimmer ein absoluter sein; wenn irgendwo, so tritt hier die Forderung auf, den Mann zu beurtheilen nach dem, was er unter den gegebenen Verhältnissen mit den ihm zu Gebot stehenden Mitteln und für den Wirkungskreis, an

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