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ahnungslos erhalten hat, daß sie sich ohne Abscheu von Ihnen trennt! Leben Sie wohl."

Hier aber verlor Herr Grünlich den Kopf. Er hätte von kurzer Trennung, von Rückkehr und neuem Leben sprechen und vielleicht die Erbschaft retten können; aber es war zu Ende mit seiner Überlegung, seiner Regsamkeit und Findigkeit. Er hätte den großen, unzerbrechlichen, bronzenen Teller nehmen können, der auf der Spiegel-Etagère stand, aber er nahm die dünne, mit Blumen bemalte Vase, die sich dicht daneben befand, und warf sie zu Boden, daß sie in tausend Stücke zersprang

...

„Ha! Schön! Gut!" schrie er. ,,Geh' nur! Meinst du, daß ich dir nachheule, du Gans? Ach nein, Sie irren sich, meine Teuerste! Ich habe dich nur deines Geldes wegen geheiratet, aber da es noch lange nicht genug war, so mach nur, daß du wieder nach Hause kommst! Ich bin deiner überdrüffig ... überdrüssig ... überdrüssig ...!“

Johann Buddenbrook führte seine Tochter schweigend hinaus. Er selbst aber kehrte noch einmal zurück, schritt auf Herrn Grünlich zu, der, die Hände auf dem Rücken, am Fenster stand und in den Regen hinausstarrte, berührte sanft seine Schulter und sprach leise und mahnend:

Fassen Sie sich. Beten Sie."

10.

Das große Haus in der Mengstraße blieb lange Zeit von einer gedämpften Stimmung erfüllt, als

Madame Grünlich, zusammen mit ihrer kleinen Tochter, dort wieder eingezogen war. Man ging behutsam umher und sprach nicht gerne „davon“

ausgenommen die Hauptperson der ganzen Ange= legenheit selbst, die im Gegenteile mit Leidenschaft davon sprach und sich dabei wahrhaft in ihrem Elemente fühlte.

Tony bezog mit Erika im zweiten Stockwerk die Zimmer, die ehemals, zur Zeit der alten Budden= brooks, ihre Eltern innegehabt hatten. Sie war ein wenig enttäuscht, als ihr Papa es sich keineswegs in den Sinn kommen ließ, ein eignes Dienstmädchen für sie zu engagieren, und sie durchlebte eine nachdenkliche halbe Stunde, als er ihr mit sanften Worten auseinanderseßte, es zieme sich vorderhand nichts Anderes für sie, als in Zurückgezogenheit zu leben und auf die Geselligkeit in der Stadt zu verzichten, denn wenn sie auch an dem Geschick, das Gott als Prüfung über sie verhängt, nach menschlichen Begriffen unschuldig sei, so lege doch ihre Stellung als geschiedene Frau ihr fürs Erste die äußerste Zurückhaltung auf. Aber Tony besaß die schöne Gabe, sich jeder Lebenslage mit Talent, Gewandtheit und lebhafter Freude am Neuen anzupassen. Sie gefiel sich bald in ihrer Rolle als eine von unverschuldetem Unglück heimgesuchte Frau, kleidete sich dunkel, trug ihr hübsches aschblondes Haar glatt gescheitelt wie als junges Mädchen und hielt sich für die mangelnde Geselligkeit schadlos, indem sie zu Hause mit ungeheurer Wichtigkeit und unermüdlicher Freude an dem

Ernst und der Bedeutsamkeit ihrer Lage Betrachtungen über ihre Ehe, über Herrn Grünlich und über Leben und Schicksal im Allgemeinen anstellte.

Nicht Jedermann bot ihr Gelegenheit dazu. Die Konsulin war zwar überzeugt, daß ihr Gatte korrekt und pflichtgemäß gehandelt habe; aber sie erhob, wenn Tony zu sprechen begann, nur leicht ihre schöne weiße Hand und sagte:

,,Assez, mein Kind. Ich höre nicht gern von dieser Affaire."

Clara, erst zwölfjährig, verstand nichts von der Sache und Cousine Thilda war gleichfalls zu dumm. „Oh Tony, wie traurig!" war Alles, was sie langgedehnt und erstaunt hervorzubringen wußte. Dagegen fand die junge Frau eine aufmerksame Zuhörerin in Mamsell Jungmann, die nun schon 35 Jahre zählte und sich rühmen durfte, im Dienste der ersten Kreise ergraut zu sein. „Brauchst nicht Furcht haben, Tonychen, mein Kindchen,“ sagte sie; ,,bist noch jung, wirst dich wieder verheiraten.“ Übrigens widmete sie sich mit Liebe und Treue der Erziehung der kleinen Erika und erzählte ihr die selben Erinnerungen und Geschichten, denen vor fünfzehn Jahren die Kinder des Konsuls gelauscht hatten: von einem Onkel, im Besonderen, der zu Marienwerder am Schluckauf gestorben war, weil er sich das Herz abgestoßen" hatte.

Am liebsten und längsten aber plauderte Tony, nach dem Mittagessen oder morgens beim ersten

Frühstück, mit ihrem Vater. Jhr Verhältnis zu ihm war mit einem Schlage weit inniger geworden, als früher. Sie hatte bislang, bei seiner Machtstellung in der Stadt, bei seiner emsigen, soliden, strengen und frommen Tüchtigkeit, mehr ängstliche Ehrfurcht, als Zärtlichkeit für ihn empfunden; während jener Auseinanderseßung aber in ihrem Salon war er ihr menschlich nahe getreten und es hatte sie mit Stolz und Rührung erfüllt, daß er sie eines vertrauten und ernsten Gespräches über diese Sache gewürdigt, daß er die Entscheidung ihr selbst anheimgestellt und daß er, der Unantastbare, ihr fast mit Demut gestanden, er fühle sich nicht schuldlos ihr gegenüber. Es ist sicher, daß Tony selbst niemals auf diesen Gedanken gekommen wäre; da er , es aber sagte, so glaubte sie es, und ihre Gefühle für ihn wurden weicher und zarter dadurch. Was den Konsul selbst anging, so änderte er seine Anschauungsweise nicht und glaubte seiner Tochter mit verdoppelter Liebe ihr schweres Geschick entgelten zu müssen.

Johann Buddenbrook war in keiner Weise persönlich gegen seinen betrügerischen Schwiegersohn vorgegangen. Zwar hatten Tony und ihre Mutter aus dem Verlaufe einiger Gespräche erfahren, zu welch unredlichen Mitteln Herr Grünlich gegriffen hatte, um 80000 Mark zu erlangen; aber der Konsul hütete sich wohl, die Sache der Öffentlichkeit oder gar der Justiz zu übergeben. Er fühlte in seinem Stolz als Geschäftsmann sich bitter gekränkt und verwand

schweigend die Schmach, so plump übers Ohr gehauen worden zu sein.

Jedenfalls strengte er, sobald der Konkurs des Hauses B. Grünlich erfolgt

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der übrigens in Hamburg verschiedenen Firmen nicht unerhebliche Verluste bereitete mit Entschlossenheit den Scheidungsprozeß an ... und dieser Prozeß war es hauptsächlich, der Gedanke, daß sie, sie selbst den Mittelpunkt eines wirklichen Prozesses bildete, der Tony mit einem unbeschreiblichen Würdegefühl erfüllte.

"

,,Vater," sagte sie; denn in solchen Gesprächen nannte sie den Konsul niemals Papa“. „Vater, wie geht unsere Sache vorwärts? Du meinst doch, daß Alles gut gehen wird? Der Paragraph ist vollkommen klar; ich habe ihn genau studiert! Unfähigkeit des Mannes seine Familie zu ernähren ... Die Herren müssen das einsehen. Wenn ein Sohn da wäre, würde Grünlich ihn behalten ..."

Ein anderes Mal sagte sie:

„Ich habe noch viel über die Jahre meiner Ehe nachgedacht, Vater. Ha! also deshalb wollte der Mensch durchaus nicht, daß wir in der Stadt wohnten, was ich doch so sehr wünschte. Also deshalb sah er es niemals gern, daß ich überhaupt in der Stadt verkehrte und Gesellschaften besuchte! Die Gefahr war dort wohl größer, als in Eimsbüttel, daß ich auf irgend eine Weise erfuhr, wie es eigentlich um ihn bestellt war! ... Was für ein Filou!"

,,Wir sollen nicht richten, mein Kind," erwiderte der Konsul.

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