Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den jahren 1794 bis 1805, Bände 5-6

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J. G. Cotta, 1829
 

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Beliebte Passagen

Seite 34 - Notiz von der Erfahrung nehmen, und in der Erfahrung fängt auch der Dichter nur mit dem Bewußtlosen an, ja er hat sich glücklich zu schätzen, wenn er durch das klarste Bewußtsein seiner Operationen nur so weit kommt, um die erste dunkle Totalidee seines Werks in der vollendeten Arbeit ungeschwächt wieder zu finden. Ohne eine solche dunkle, aber mächtige Totalidee, die allem Technischen vorhergeht, kann kein poetisches Werk entstehen, und die Poesie...
Seite 235 - ... nichts Dunkles, Unzugängliches, und wohin sie nicht mit ihrer Fackel leuchten kann, da ist nichts für sie vorhanden. Darum hat sie eine horrible Scheu vor der Idealphilosophie, welche nach ihrer Meinung zur Mystik und zum Aberglauben führt, und das ist die Stickluft wo sie umkommt. Für das was wir Poesie nennen, ist kein Sinn in ihr, sie kann sich von solchen Werken nur das Leidenschaftliche, Rednerische und Allgemeine zueignen, aber sie wird nichts Falsches schätzen, nur das Rechte nicht...
Seite 314 - Ich habe dieser Tage Woltmanns Schrift über die Reformation, die bis an Luthers Tod fortgeführt ist, gelesen und bin durch jene theologische Revolution an die neueste philosophische erinnert worden. In beiden war etwas sehr bedeutend Reales, dort der Abfall von Kirchensatzungen und die Rückkehr zu den Quellen, Bibel und Vernunft; hier der Abfall vom Dogmatismus und der Empirie. Aber bei beiden Revolutionen sieht man die alte Unart der menschlichen Natur, sich gleich wieder zu setzen, zu befangen...
Seite 18 - Es hat mich diesen Winter oft geschmerzt, Sie nicht so heiter und mutvoll zu finden als sonst, und eben darum hätte ich mir selbst etwas mehr Geistesfreiheit gewünscht, um Ihnen mehr sein zu können. Die Natur hat Sie einmal bestimmt, hervorzubringen; jeder andere Zustand, wenn er eine Zeitlang anhält, streitet mit Ihrem Wesen.
Seite 100 - Im ganzen ist es der ungeheure Anblick von Bächen und Strömen, die sich, nach Naturnotwendigkeit, von vielen Höhen und aus vielen Tälern gegeneinander stürzen und endlich das Übersteigen eines großen Flusses und eine Überschwemmung veranlassen, in der zugrunde geht, wer sie vorgesehen hat so gut als der sie nicht ahndete.
Seite 34 - Ohne eine solche dunkle, aber mächtige Totalidee, die allem Technischen vorhergeht, kann kein poetisches Werk entstehen, und die Poesie, däucht mir, besteht eben darin, jenes Bewußtlose aussprechen und mitteilen zu können, dh es in ein Objekt überzutragen.
Seite 108 - Exposition des Prozesses und der Gerichtsform hat, außerdem daß solche Dinge mir nicht geläufig sind, auch eine Tendenz zur Trockenheit, die ich zwar überwunden zu haben hoffe, aber doch nicht ohne viel Zeit dabei zu verlieren, und zu umgehen war sie nicht.
Seite 76 - Stoffs immer mehr zu überzeugen, und darunter gehört besonders, daß man die Katastrophe gleich in den ersten Scenen sieht, und, indem die Handlung des Stücks sich davon wegzubewegen scheint, ihr immer näher und näher geführt wird.
Seite 105 - Goethe: >Ich habe mich dieser Tage mit dem heiligen Bernhard beschäftigt und mich sehr über diese Bekanntschaft gefreut; es möchte schwer sein, in der Geschichte einen zweiten so weltklugen geistlichen Schuft aufzutreiben, der zugleich in einem so trefflichen Elemente sich befände, um eine würdige Rolle zu spielen. Er war das Orakel seiner Zeit und beherrschte sie, ob er gleich und eben darum weil er bloß ein Privatmann blieb und andere auf dem ersten Posten stehen ließ. Päpste waren seine...
Seite 131 - Wille das alberne Vermögen aus Wahl vom Guten abzuweichen und sich dadurch schuldig zu machen; nimmt man aber den Menschen natürlich als bös an ; oder, eigentlicher zu sprechen, in dem tierischen Falle unbedingt von seinen Neigungen hingezogen zu werden; so ist alsdann der freie Wille freilich eine vornehme Person, die sich anmaßt aus Natur gegen die Natur zu handeln.

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